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Türkische Gemeinde in Deutschland
Spaltungen überwinden

Die politische Lage in der Türkei unter Erdogan hat einen Keil zwischen die Türken in Deutschland getrieben. Die Türkische Gemeinde in Deutschland suchte auf ihrem Bundeskongress nach Möglichkeiten, diese Spaltung zu überwinden. Eine schwierige Gratwanderung, denn sie will alle Türken im Land präsentieren.

Von Paul Vorreiter | 12.06.2017
    Die türkische und die deutsche Flagge hängen am 10.06.2017 in Berlin auf dem Bundeskongress der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD) mit dem Motto "Vielfalt leben - Deutschland gemeinsam gestalten".
    Der Bundeskongress der Türkischen Gemeinde in Deutschland am vergangenen Wochenende in Berlin (dpa / Maurizio Gambarini)
    In einer Veranstaltungshalle am Stadtrand von Berlin, auf dem Park-Gelände eines Seniorenheims, klingen armenische und kurdische Klänge an. Ein Musikerduo sitzt vorne auf einer Tribüne: Sehriban Özdemir und Ahmet Tirgil. Sie spielen das Stück "Gulfiras" von einem kurdischen Dichter. Es heißt "Rosenverkäufer". In dem Lied geht es in einem tieferen Sinne darum, seinen Träumen nachzueifern und daran zu glauben, das Unmögliche möglich zu machen. Die gespaltene türkische Community in Deutschland wieder zu vereinen - wäre das so etwas? Das Unmögliche möglich machen?
    Den Klängen lauscht eine junge Frau, schwarzer Rock, schwarze Lederjacke, braune Sandaletten, frisches und freundliches Lächeln. Burcu Özdirlik, Delegierte aus Hamburg, ist zunächst einmal froh, dass sich die Türkische Gemeinde in Deutschland, die für knapp 270 Einzelvereine spricht, so positioniert hat, wie sie es getan hat. Dass sie klare Haltung zeigt: aktuell gegen die Todesstrafe und zuvor gegen das Präsidialsystems-Referendum:
    "Letztendlich geht es um den Erhalt von demokratischen Werten", sagt Özdirlik, "und die sind auch unabstreitbar, und dafür muss man in jeder Situation geradestehen. Natürlich außerhalb der Gemeinde. Man tritt ja überall mit Menschen in Kontakt, da gibt es immer welche, die dafür stimmen. Wobei - in den Gründen für das ‚Ja‘ muss man auch differenzieren, denn teilweise sind das auch aus Sympathiegründe. Da wollten Leute mit ‚Ja‘ stimmen, ohne dass sie den Hintergrund kannten, und da sehe ich ein Bildungsproblem, und das ist etwas, das ist nicht nur bei der türkischen Bevölkerung. Also, dieser Populismus in der Politik, das ist ja ein globales Phänomen, und darauf müssen auch alle achten."
    Auch auf Erdogan-Befürworter zugehen
    Illiberale Ideen zünden in der Tat nicht nur in der Türkei. Aber wie geht man nun damit um, dass viele Türkischstämmige in Deutschland für Erdogans Politik gestimmt haben? In Deutschland hatten gut sechzig Prozent der Wahlteilnehmer "Ja" zur Verfassungsänderung gesagt. Der alte und wiedergewählte Vorsitzende Gökay Sufuoglu warnt vor Abverurteilungen und geht so auf die Erdogan-Befürworter zu:
    "Dabei beobachten wir mit großer Sorge, wie vorschnell und pauschalisierend türkischstämmigen Menschen eine antidemokratische und menschenfeindliche Haltung zugeschrieben wird. Es sind genau diese ausgrenzenden Bilder in der Öffentlichkeit, die missbraucht werden, um die Gesellschaft auseinander zu treiben. Dennoch: Mehr Teilhabe und mehr Rechte lassen sich nicht in der Türkei erreichen. Rechte und Teilhabe müssen erstritten werden und zwar hier in euren Straßen, in euren Nachbarschaften, in euren Städten."
    Mitglieder der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD) am Samstag (10.06.2017) beim Bundeskongress des Verbandes
    Will die Gesamtheit der Türken in Deutschland präsentieren: die Türkische Gemeinde in Deutschland. (Deutschlandfunk / Paul Vorreiter)
    Mehr Partizipation für Türken in Deutschland
    Diese Worte fallen auf dem Bundeskongress häufiger: mehr Partizipation ermöglichen. Dem Verband schwebt ein eigenes Einwanderungs- und Partizipationsgesetz vor. Es soll ermöglichen, dass sich Migranten und Deutsche auf Augenhöhe begegnen, dafür sorgen, dass sich türkischstämmige Menschen stärker zu Deutschland zugehörig fühlen können. Vielleicht kann so mancher damit immun werden gegen autokratische Ideen? Die türkische Gemeinde ist sicher: Mit zurückliegenden Debatten jedenfalls würden Integrationsleistungen in Deutschland aufs Spiel gesetzt. Gökay Sofuoglu meint: "Ich sage das hier, in aller Deutlichkeit: Die Türkische Gemeinde in Deutschland lehnt eine wie auch immer gestaltete deutsche Leitkultur entschieden ab."
    Ähnliches gilt für die wiederaufgeflammte Debatte um den Doppelpass. Deutlich wird: Die türkische Gemeinde will das Leben hier in Deutschland gestalten und ermuntert die türkischstämmige Community, sich nicht von Präsident Erdogan instrumentalisieren zu lassen. Gökay Sofuoglu sagt: "Die Türkei ist nicht Erdogan. Unsere Freiheit muss immer angeknüpft sein an Verantwortung. Diese Verantwortung beinhaltet das Einstehen und das Vertreten von universellen Menschenrechten."
    "Verbale Abrüstung": die Diskussion beruhigen
    Die Menschenrechte zu schützen, ist aber nur ein Anliegen der Delegierten. Dass sich die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei beruhigen, wünschen sich auch viele. Wie das funktionieren soll, ist bei dem vielen Ärger zur Zeit schwierig vorzustellen: Bislang vergeblich hat die Bundesregierung versucht, den Journalisten Deniz Yücel aus der Haft in der Türkei zu befreien. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bereitet wegen des Streits um das Abgeordnetenbesuchsrecht den Abzug der Bundeswehr vom Standort Incirlik vor. Dazu kommen Nazivergleiche aus der Türkei, der Streit um den richtigen Umgang mit der Gülen-Bewegung und PKK, das Druckmittel Flüchtlingsabkommen. Der hessische Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Atila Karabörklü, hofft auf verbale Abrüstung:
    "Es gibt die innenpolitischen Probleme natürlich, aber viele denken auch, dass das zu einem Instrumentarium wird, wenn es um Außenpolitik geht. Und da muss auf beiden Seiten Rücksicht genommen werden, auf der deutschen und der türkischen. Ich appelliere, dass die Probleme auf sachbezogener Grundlage diskutiert werden und dass man nicht diese Anfeindungen weiter verschärft, die Türkei hat auch einen Putsch erlebt, das ist ein wichtiges Thema, die Türkei hat auch Sicherheitsprobleme, Terrorprobleme. Das muss auch sensibel behandelt werden."
    Auf einer Bank vor dem Veranstaltungsgebäude gönnt sich die Sängerin Sehriban Özdemir nach ihrem Auftritt eine Pause. Die Frau mit buntem Rock und lockigem schwarzen Haar ist frustriert über die Situation in der Türkei. Gerade sang sie noch davon, das Unmögliche möglich zu machen. Für sie wäre das: "Die Welt von der ich träume, egal ob in Deutschland oder der Türkei. Eine Einheit, die auf Vielfältigkeit beruht also, das träume ich für Deutschland, die Türkei, für ganze Welt."