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Türkische Sängerin Akyol
Musikalische Brücke über den Bosporus

Die türkische Demokratie versinkt in einer Verhaftungswelle ohnegleichen. Auch kritische Künstler und Musiker sind davon nicht verschont und so nimmt die Selbstzensur zu. Ein mutiges Gegenbeispiel ist die Musikerin Gaye Su Akyol. Ihr neues Album Hologram Ĭmparatorluğu ist ein politisches Album: ein psychedelischer Trip durch die anatolische Musikgeschichte verbunden mit vielschichtigen westlichen Einflüssen.

Von Florian Fricke | 15.11.2016
    Die in Istanbul geborene türkische Sängerin Gaye Su Akyol
    Die in Istanbul geborene türkische Sängerin Gaye Su Akyol (Barbaros Kayan)
    "Dieser Horrorfilm wird von Tag zu Tag schlimmer."
    Die Künstlerin Gaye Su Akyol lebt in Istanbul. Sie engagiert sich immer wieder auch politisch zum Beispiel bei den Protesten im Gezi-Park 2013, als Demonstranten die Staatsmacht um Präsident Erdogan herausforderten. Die aktuelle Entwicklung in der Türkei nach dem Putsch registriert sie mit größter Sorge.
    "Die Selbstzensur nimmt immer weiter zu. Wir müssen vorsichtig sein mit unseren Worten und unseren Gefühlen. Wir spüren immer mehr, dass wir keine Chance haben das auszudrücken, an was wir wirklich glauben. Denn die Demokratie ist zur Zeit ausgesetzt. Es herrscht der Ausnahmezustand, sie können tun, was sie wollen."
    Wiederbelebung der anatolischen Kunstszene
    Gaye Su Akyol stammt aus einer Künstlerfamilie, ihr Vater ist ein bekannter Maler. Auch Gaye malt, außerdem hat sie Anthropologie studiert. Hologram Ĭmparatorluğu. Hologramm Imperium heißt ihr neues, zweites Album mit der Band Bubituzak. Auf ihm versucht sie eine Brücke zu bauen: eine Brücke zum türkischem Psychedelic Rock aus den 60er und 70er Jahren, zum Beispiel von Baris Manco oder Selda Bağcan.
    1980 putschte das türkische Militär, um das politisch zerrissene Land in den Griff zu bekommen. Es gab 650 000 Festnahmen, 30 000 Türken flohen ins Ausland, darunter viele Künstler. Ihre Musik wurde verboten, für die reichhaltige Szene bedeutete das den Tod. Seit ungefähr 15 Jahren versuchen türkische Bands dieses anatolische Erbe wiederzubeleben. Gaye Su Akyol tut es auf ihre Weise.
    "Meine Musik wirkt wie eine junge Ausgabe dieses Stils. Sie ist eine utopische Vision, die ich unbedingt erreichen wollte."
    Brückenbauen mit Musik
    Die Utopie liegt in der Vereinigung dieser Strömungen, die die Türkei in ihrer Sonderrolle als Scharnier zwischen Orient und Okzident prägen. Denn Gaye Su Akyol spannt den Bogen noch weiter bis hin zur Sanat Musik, der klassischen türkischen Kunstmusik. Die schlägt sich nieder in den zahlreichen Streicher-Arrangements, die orientales Flair verbreiten.
    Als sie in der vierten Klasse war, entdeckte Gaye die Musik von Nirvana, was ihre weitere musikalische Entwicklung nachhaltig prägte. Sie beschäftigte sich mit Grunge und in der Folge mit Nick Cave, Joy Division und Sonic Youth. Einen weiteren großen Einfluss hatte der eindrückliche Gesangsstil von Grace Slick, der Sängerin von Jefferson Airplane, eine der Hippie-Ikonen der Woodstock-Ära. Auf Hologram Ĭmparatorluğu konzentrieren sich die westlichen Einflüsse auf die Twang-Gitarren aus Surf und Rockabilly und eben Psychedelic Rock.
    "Dieses Album klingt sehr nach Istanbul. Auf ihm vermische ich meine Erfahrungen in westlicher und östlicher Musik. Und nicht nur metaphorisch, sondern auch technisch habe ich eine Brücke gebaut wie über den Bosporus. Wenn du das Album hörst, verstehst du, was ich meine."
    Natürlich muss man sich als westlicher Hörer erst einmal an diesen Stil gewöhnen. Der Klangreichtum ist enorm, die Rhythmen gehen etliche Male über das gewohnte 4/4-Maß hinaus, die metaphorischen Texte sind meist rätselhaft, aber manchmal auch ganz direkt. "Ich bin Zigeunerin, Armenierin, Türkin, Kurdin, aber was soll's? Ich bin ein blauer Apfel, aber wen stört das?" Der Bogen zu den psychedelischen anatolischen Bands aus den 70er Jahren ist auch ein politischer, denn wer weiß, wie lange Gaye Su Akyol noch ihre Kunst frei ausüben kann.
    Dieses Album handelt von Macht, von Menschenrechten, von Rebellion. Es spricht über alles, was die Mächtigen nicht hören wollen.
    Von Kampf und Optimismus geprägt
    Hologram Ĭmparatorluğu ist ein mutiges Album, das versucht diesen kritischen politischen Moment in der Türkei einzufangen. Dabei ist es weniger von Verzweiflung, als von Kampf und Optimismus geprägt. Der Albumtitel Hologram Imperium ist dabei ebenso vielschichtig zu verstehen wie die Musik, und zwar im sprichwörtlichen Sinne. Wir alle, die wir uns im Internet und in den sozialen Netzwerken bewegen, haben unsere Persönlichkeiten längst aufgesplittet. Und das Leben unter politischer und rechtlicher Willkür erfordert genau das. Die Grenzen zwischen Authentizität und Schauspiel, zwischen faktischer und post-faktischer Welt, sie verschwimmen immer mehr.
    "Wir können uns gerade gegenseitig kaum helfen. Das Einzige, was wir tun können, ist unsere Jobs so gut wie möglich zu machen. Wenn du ein Lehrer bist, musst du halt den besten Lehrer abgeben, der möglich ist. Und gemeinsam warten wir auf den richtigen Zeitpunkt, um den nächsten Schritt zu machen."