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Türkisches Dorf trotzt dem Bau eines Atromkraftwerks

In Büyükeceli soll das erste türkische Kernkraftwerk entstehen. Nicht nur aufgrund der Ereignisse im japanischen Fukushima wehren sich die Bürger gegen die Vorstellung: Sie sorgen sich um "ihre" Natur.

Von Steffen Wurzel | 27.05.2011
    Wer sich anschauen will, wo das erste Atomkraftwerk der Türkei genau gebaut werden soll, braucht eine gute Kondition und vor allem gutes Schuhwerk. An einem Stacheldrahtzaun geht es steil den Berg hinauf, quer durch einen Kieferwald über Geröll und trockene Äste. Oben auf dem Berg angekommen, ist eine kleine Lücke im Zaun. Wer hier durchschlüpft, wird mit einem sensationellen Blick belohnt, auf eine idyllische Mittelmeerbucht.

    "Hier soll das Kernkraftwerk Akkuyu gebaut werden. Diese Bucht ist berühmt für ihren Fischreichtum. Im Juni kommen hier sogar Wasserschildkröten an Land und legen ihre Eier ab. Ein wirklich malerisches Gebiet."

    Noch ist von einer AKW-Baustelle in der weiträumig abgesperrten Bucht nichts zu sehen. Stattdessen sattgrüner Nadelwald, der bis ans Meer ragt. Doch der 66-jährige Mehmet Ali Yılmaz aus dem Nachbardorf Büyükeceli blickt voller Sorge auf die Postkartenidylle.

    "Wenn sie das Kernkraftwerk tatsächlich hierhin bauen, wird die ganze Natur zerstört. Und diese schöne Bucht wird es nur noch in unseren Erinnerungen geben."

    Unten im Dorf hat sich bereits herumgesprochen, dass ein deutscher Journalist gekommen ist, der sich fürs geplante Atomkraftwerk interessiert. Einige Kinder drängeln sich in Richtung Mikrofon.

    "Der Ministerpräsident hat gesagt, dass er hier mal vorbeikommen will. Aber bisher traut er sich nicht. Weil er Angst hat vor uns. Er weiß ganz genau, dass wir ihn hier verprügeln würden!"

    Ein älterer Herr schiebt die Kinder beiseite. Aber er gibt ihnen recht: Fast alle Dorfbewohner seien gegen die Atom-Pläne der Regierung Erdoğan. Nicht nur, weil ein AKW die nahezu unberührte Natur in der Gegend zerstören würde, sondern vor allem weil die Landwirtschaft unter einem Kernkraftwerk leiden würde, so das Argument.

    "Drei Provinzen des Landes ernähren die ganze Türkei: Antalya, Mersin und Adana. Wir befinden uns hier genau in der Mitte. Wenn das Atomkraftwerk gebaut wird, dann werden möglicherweise die Gemüsefelder und die Obstbäume verstrahlt. Wie will es Ministerpräsident Erdoğan bitteschön verantworten, dass das ganze Land dann verstrahltes Obst und Gemüse essen muss?!"

    Im türkischen Parlamentswahlkampf spielt die Atomdebatte bisher keine Rolle. Obwohl sich spätestens seit Mitte März, seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima, mehr und mehr Menschen in der Türkei mit dem Thema Kernenergie beschäftigen. Vor allem die Bewohner der betroffenen Küstenregion am Mittelmeer. Sabahat Aslan vom Anti-Atom-Forum NKP:

    "Alle, die sich früher nicht für uns interessiert haben, kommen jetzt in Strömen zu uns und beteiligen sich an unseren Aktionen. Hier in der Region hat es eine kleine Revolution gegeben im Bezug auf die Haltung der Leute zur Atomenergie. Der Zulauf ist so riesig, dass er mich selbst überrascht hat."

    Im kleinen Dorf Büyükeceli, zwischen Antalya und Mersin, haben die Bewohner so gut wie kein anderes Thema mehr als das geplante Atomkraftwerk. Ministerpräsident Tayyip Erdoğan wird hier, das ist sicher, nicht besonders viele Stimmen holen bei der Parlamentswahl am 12. Juni. Das Argument, das Kraftwerk werde bis zu 800 Arbeitsplätze in der Region schaffen, lässt dieser Dorfbewohner nicht gelten.

    "Für einfache Arbeiter wie uns gäbe es doch sowieso nichts zu tun. Hier sind Atom-Experten und Hochtechnologie gefordert. Wir würden nicht einmal die Rohre tragen dürfen. Das werden Baumaschinen tun."

    Und der pensionierte Lehrer Mehmet Ali Yılmaz, der Sprecher der Atomkraftgegner im Dorf fasst es so zusammen:

    "Erdbeben kommen und gehen, Tsunamis kommen und gehen, sogar Tayyip Erdoğan wird eines Tages abgewählt. Aber ein Atomkraftwerk hier wäre eine Katastrophe für immer."