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Türkisches Sozialinstitut plant Bildungscampus in Berlin

Das Türkisch-Deutsche Sozialbildungsinstitut Berlin-Brandenburg (Tüdesb) will in Berlin einen Bildungscampus mit 22 Gebäuden errichten. Kritiker vermuten, dass Tüdesb der Gülen-Bewegung nahe steht, bei der Forschung niemals den Werten des Korans und der Lehre der Sunna widersprechen dürfe.

Von Thomas Klatt | 02.04.2013
    Schon das Hofsignal ist besonders. "Mondgesicht", die populäre Melodie einer türkischen Rockband erklingt zur Pause über dem Tüdesb-Gelände in Berlin-Spandau. Früher waren hier britische Soldaten stationiert. Seit 2004 unterhält hier das Tüdesb Bildungsinstitut Berlin-Brandenburg neben einem Gymnasium auch eine Realschule und eine Kita. Insgesamt 420 Kinder und Schüler werden betreut. Das Schulessen wird nicht angeliefert, sondern täglich frisch im eigenen Haus zubereitet. Ein Service, der nicht nur für türkische Schüler interessant ist.

    "Mich hat das interessiert hier, die Kultur hier, die Sprache zu lernen. Ich kannte vorher nur den Klischee-Türken, sag ich jetzt. Ich fand, dass sich das Bild überhaupt nicht bestätigt hat. Ich find das Umfeld, das Klima viel besser. Ich war vorher auf vielen anderen Schulen. Mittlerweile hab ich auch nur noch türkische Freunde."

    "Es ist besser hier als auf den anderen Schulen, vor allem die Lehrer, die achten auf die Schüler, wenn die was nicht verstanden haben, erklären die das noch mal."

    "Meine Eltern haben mich geschickt. Ich habe es nicht bereut, auch wenn ich höre auf deutschen Schulen wegen Rassismus und so, wir haben auch einige deutsche Schüler hier, sie werden auch nicht ausgegrenzt oder so."

    Erste Fremdsprache ist Englisch, zweite wahlweise Französisch oder Türkisch. Hier gibt es keine überfüllten Räume, in einer 10. Klasse etwa werden gerade einmal 16 Schüler unterrichtet. Manche Mädchen tragen Kopftuch, viele aber auch nicht. Das ist hier freigestellt. Außer der Referendarin tragen die Lehrerinnen keine Kopfbedeckung. Die Klassenräume sind hell und sauber, die Chemie-, Physik-, und Biologie-Säle sind auf dem neuesten Stand. Naturwissenschaften werden hier großgeschrieben, erklärt der Tüdesb-Vorstandsvorsitzende Irfan Kumru beim Rundgang über die Flure des Gymnasiums.

    "Wir sind jetzt hier in der Mathestraße. Wir haben jede Straße benannt. Erste Etage ist Deutsch, dann 1. Etage ist English-Town, wo die Fremdsprachen untergebracht werden. Hier jetzt die Mathe-Straße, man versucht sie so schön wie möglich zu gestalten. Es gibt Wettbewerbe, Pangea- oder Känguru-Mathematik-Wettbewerb. Unsere Lehrer haben sich mal die Rechnung der Integration als Mathematikversuch darzustellen mit der Menge Fleiß, Ordnung, Zuverlässigkeit, Hilfsbereitschaft, Selbständigkeit, Sprache. Alles zusammen ergibt den vollständigen Menschen sozusagen."

    Je nach Einkommen sind insgesamt 100 bis etwa 350 Euro Schulgeld monatlich zu bezahlen. Eine schuleigene Moschee oder wenigstens einen Gebetsraum sucht man hier allerdings vergeblich. Dabei gilt Tüdesb als Teil der türkischen Gülen-Bewegung, die auf den islamischen Laienprediger Fetulah Gülen zurückgeht. Der heute in den USA lebende geistige Führer tritt für die Vereinbarkeit von Wissenschaft, Fortschritt und Islam ein. Doch in den Tüdesb-Schulen selbst wird nicht einmal Religionsunterricht angeboten, sondern nur Ethik. Und die Schriften des Fetulah Gülen stehen nicht im Lehrplan, beteuert Tüdesb-Vorstandsvorsitzender Irfan Kumru.

    "Das sollte man sich nicht so vorstellen wie eine Jesuitenschule oder eine evangelische Privatschule, wo der kirchliche Einfluss auf jeden Fall ein anderer ist. Religion an sich ist eine Privatsache für uns. Jeder darf und kann im Rahmen der Gesetze seine Religion ausführen. Herr Gülen ist ein Mensch, der Menschen inspiriert, nicht Einrichtungen. Das heißt, diese Einrichtung hat mit Herrn Gülen organisatorisch oder wirtschaftlich überhaupt nichts zu tun. Die Menschen, die hier arbeiten, zum Teil kennen sie Gülen, andere kenne ihn nicht. Deswegen spielt Gülen für die Organisation Tüdesb keine Rolle. Aber viele Menschen, die hier dazutun zur Schule haben eine Inspiration von diesem Menschen. Herr Gülen hat 70 Bücher, ich hab davon vielleicht zwei bis drei Stück davon lesen können."

    Gülen ist ein Schüler des 1960 verstorbenen türkischen Gelehrten Said Nursi. In den Schriften beider Laien-Theologen geht es um Hizmet, den Dienst für höchste religiöse Werte, um dava, die Einladung zum Islam und um das Engagement im friedlichen djihad, um grenzenlose Opferbereitschaft und Selbstlosigkeit und eben Bildung. Und letztlich wird in den Schriften Gülens betont, dass die westliche Demokratie der wahren Werte des Islams bedarf. Das Bildungs-Ideal Fetulah Gülens steht immer unter dem Vorbehalt, dass das Wissen und die Forschung niemals den Werten des Korans und der Lehre der Sunna widersprechen dürfen. Gesellschaftlicher Fortschritt kann demnach immer nur ein muslimischer sein. Besorgniserregend sei da etwa manche Lektüre der Schriften aus dem Gülen nahen Fontäne-Verlag, weiß Friedmann Eißler, Islam-Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen.

    "Da wird ein sehr starker Gegensatz zwischen Islam und dem Westen aufgemacht. Es wird gesagt, dass die Gesellschaftsordnung sich am Islam orientieren muss. Gülen kann sehr deutlich sagen, dass sich die Demokratie noch entwickeln muss."

    Zur Gülen-Bewegung zählen auch die sogenannten Lichthäuser, streng religiös ausgerichtete Wohngemeinschaften und Hauskreise. Eißler, warnt davor, dass die säkular ausgerichteten Gülen-Schulen, eben auch die der Tüdesb, zur Rekrutierung für diese inneren Kreise genutzt werden, indem besonders religiös interessierte Schüler geworben werden.

    "Die werden dann parallel zur Schule, außerhalb der Schule vor dem Schulhof angesprochen, hättest Du nicht Lust mal mitzukommen. Es gibt hier eine klare Strategie, Menschen aus dem Umfeld der Bildungseinrichtungen gezielt anzusprechen und für die Bildungsinhalte der internen Kreise sensibel zu machen und dafür zu werben."

    Doch Irfan Kumru von Tüdesb weist das zurück. Seine Schulen dienten allein der Bildung und nicht der Werbung für eine Art Gülen-Islam.

    "Das müsste man erst mal beweisen. Ist für mich weit hergeholt. Kann ich nichts zu sagen. Ich als Verein, als Tüdesb, kann ich mich nur distanzieren und kann nur sagen, dass es hier nicht der Fall ist."

    Tüdesb will wachsen. Auf dem ehemaligen Kasernen-Gelände soll jetzt in 22 Gebäuden ein ganzer Bildungs-Campus für bis zu 1000 Schüler und Kinder entstehen. Von der Kita bis zum Gymnasium nebst außerschulischen Bildungs- und Nachhilfeeinrichtungen und Schülerinternat. Der Berliner Journalist Nikolaus Brauns beschäftigt sich seit Jahren mit der Gülen-Bewegung. Er bezweifelt, dass es bei den Schulen allein nur um eine gute Bildung geht.

    "Wir müssen einfach sehen, welche Aufgaben haben diese Schulen aus der Sicht von Fetulah Gülen selber. Es gibt Zitate, in den Fetulah Gülen sagt, wenn ihr eine Schule gründet, dann hat das nur dann einen Zweck, wenn ihre diese Schule dafür einsetzt für die Mission, für unser Werk, für den Islam auszunutzen. Das geschieht nicht, indem in diesen Schulen jetzt der Koran gelehrt wird, sondern diese Schulen dienen hier als ein Köder."

    Die Verantwortlichen von Tüdesb weisen solche Kritik weit von sich. Doch einige Beobachter der Gülen-Bewegung vermuten, dass nun mit dem geplanten neuen Campus ein quasi geschlossenes Bildungs-System im Sinne Fetulah Gülens aufgebaut werden könnte. Nikolaus Brauns hält dabei vor allem die Gülen nahen Wohngemeinschaften, die sogenannten Lichthäuser, für die eigentlichen Lehrzentren der Gülen-Bewegung.

    "Bei uns könnt ihr wohnen, bei uns findet ihr Gemeinschaft. Seid ihr neu in einer fremden Stadt, können wir zusammen Abend essen. Wir diskutieren über gesellschaftliche Fragen. Eltern von Schülern wird versprochen, wenn ihr sie zu uns gebt, dann sind sie in guten Händen. Dann werden diese jungen Männer und Frauen hineingezogen und erhalten eine richtige Gehirnwäsche. Sie dürfen dann nur noch die Schriften der Gülen-Bewegung lesen, sie haben kein eigenständiges Privatleben mehr. Es wird erwartet, dass sie abends an den Gemeinschaftsveranstaltungen teilnehmen, am Predigtschauen, am Diskutieren von Gülen-Texten. Gleichzeitig bietet ihnen diese Bewegung aber auch berufliches Fortkommen. Es gehören ja auch eine ganze Reihe Unternehmer zur Bewegung, von dort kommt das Geld."

    Das Netz der Gülen nahen Einrichtungen wird immer dichter. Schon jetzt zählen Experten nur in Deutschland über 20 Schulen und mehr als 160 Bildungseinrichtungen dazu. Die Gülen-Bewegung ist global in mehr als 120 Ländern aktiv. Nicht nur in arabischen und islamisch dominierten Ländern, sondern etwa auch in afrikanischen ehemals christlich geprägten Staaten werden Schulen und Bildungseinrichtungen aufgebaut. Dabei verneinen die Akteure oftmals, dass es überhaupt so etwas wie eine Gülen-Bewegung gibt. Man sei lediglich von Gülen inspiriert, heißt es etwa auch bei Tüdesb in Berlin-Spandau. Nikolaus Brauns kritisiert aber gerade diese Intransparenz. Zwar seien in der Tat alle Betriebe, Verlage, Schulen und Bildungseinrichtungen rechtlich voneinander unabhängig, aber dennoch seien sie streng hierarchisch organisiert und vernetzt.

    "Ganz oben steht der geistig Führer Fetulah Gülen, der in seinem selbstgewählten Exil in Pennsylvania lebt. Fetulah Gülen hat unser sich einen Beraterrat mit Imamen für die einzelnen Kontinente. Und von da aus geht das immer weiter runter. Immer kleinere Einheiten bis in die Länder, die Stadtteile, die Straßen. Die unterste Stufe sind dann die Abis und Ablas, großer Bruder und große Schwester, die Kader in den Wohnheimen, den Lichthäusern. Und die Schüler und Studenten sind ihnen zum absoluten Gehorsam verpflichtet."

    Natürlich halte sich die Gülen-Bewegung an die Gesetze oder eben die jeweiligen Lehrpläne eines Landes, gerade auch in Deutschland, betonen auch Kritiker der Bewegung wie Nikolaus Brauns. Gewalt oder gar islamistischer Terror ist von den Gülen-Anhängern nicht zu befürchten. Aber es fehle eben weiterhin die für einen vernünftigen Dialog notwendige Offenheit gegenüber Außenstehenden.

    "Es ist eine Gefahr für diejenigen, die hier in diese Bewegung aufgesogen werden. Insofern sehe ich schon die Gefahr, dass wir es hier mit Sektenstrukturen zu tun haben und das ist sicherlich nicht integrationsfördernd."