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Tunesienreise der Expressionisten
Auf den Spuren von Klee, Macke und Moilliet

Hundert Jahre ist es her, da stürzten sich August Macke, Louis Moilliet und Paul Klee in das damals exotische Abenteuer Tunesien. Die Reise sollte Perspektive und Technik der drei befreundeten Maler nachhaltig verändern.

Von Bettina Köster | 02.11.2014
    Mehrere Menschen sitzen auf einer Treppe vor einem Café.
    Café de Nattes (Bettina Köster)
    Der Fischmarkt von Tunis: Marktschreier bieten die verschiedenen Köstlichkeiten des Meeres feil. Die Händler konkurrieren um Kilopreise für Doraden, Tintenfisch oder Schrimps, die auf Eis geschichtet liegen und von Lampen hell angestrahlt werden, damit sie besonders appetitlich aussehen. Nur wenige Hallen weiter der Obst- und Gemüsemarkt, den die befreundeten Maler Macke, Moilliet und Klee auch damals begeistert erkundet haben. Dort leuchten auch heute noch die Früchte in unterschiedlichen Farben. Viele Händler machen sogar aus ihrem Stand ein eigenes Kunstwerk, in dem sie Gemüse und Obst so interessant aufschichten, dass sie für den Besucher zu einer Augenweide werden. Heute ähnlich wie vor hundert Jahren, meint der Kunsthistoriker Dr. Ulrich Weitz.
    "Wie kommt man in 'ne Stimmung, dass ich wirklich euphorisch male durch visuelle Eindrücke. Es ist glaube ich ganz wichtig, nicht nur klick auf ein Foto zu machen, sondern auf meiner eignen Festplatte zu speichern, was ich dort sehe. Der Blumenkohl der braucht jetzt aus Kontrast vom orangenen Kürbis, damit das Gelb vom Gemüse kommt oder die Struktur vom Peperoni, wie der angeordnet war, der Stil nach hinten hat 'ne viel interessantere Struktur gegeben, als wenn alle Spitzen nach vorn gewesen wären. Und ich glaube man kann dann auf einmal ein anderes Verständnis für die Farbfelder entwickeln, die dann (in Kairouan) von Klee entstehen."
    Die Maler schlenderten auch durch die Medina der Lagunenstadt, die im 12. Jahrhundert entstanden ist. In den schmalen Gassen duftet es nach Minze, Weihrauch und Amber. Farbige Ledertaschen und Schuhe werden zum Verkauf angepriesen. Bunte Tücher flattern an den Läden und Ziselleure klopfen mit Stäbchen fein Buchstaben in Messingtaler.
    Ein Gemüsestand auf dem Markt in Tunis. 
    Ein Gemüsestand auf dem Markt in Tunis. (Bettina Köster)
    Und weiter geht es vorbei an Händlern, die filigrane Silberschmuckstücke herstellen und verkaufen. Zwischendurch schenken verschleierte Frauen fremden Besuchern immer wieder gern ein warmes Lächeln. Ein kleiner Junge eilt mit einem Tablett mit Minztee durch die wuseligen Gassen. Dann mitten in der Altstadt von Tunis die Ölbaummoschee aus dem 8. Jahrhundert. Im Innenhof fliegen Schwalben-Schwärme ihre Runden. Vor der Moschee laden Cafés dazu ein, dass bunte orientalische Treiben auf sich wirken und an sich vorbei ziehen zu lassen. Heute wie damals. Klee schrieb in sein Tagebuch:
    "Den Kopf voll von den nächtlichen Eindrücken des gestrigen Abends.
    Sofort ans Werk gegangen und im Araberviertel Aquarell gemalt.
    Noch nicht rein, aber ganz reizvoll, etwas viel Reisestimmung und Reisebegeisterung dabei, eben das Ich. Das wird später schon noch schlichter werden, wenn der schöne Rauch etwas verrauchen wird. Dann im Souk etwas gekauft. Macke lobt den Reiz des Geldausgebens. "
    Schon bald machten sich die drei Maler auf zu weiteren Erkundungstouren, zum Beispiel mit dem Automobil nach Sidi Bou Said, das in der Nähe von Karthago auf einem Felsen gebaut wurde.
    "Die Stadt liegt so schön da oben und blickt weit ins Meer. An einem Gartentor Halt gemacht und eine Aquarellskizze angelegt."
    Im Café des Nattes malten die Künstler
    Sidi Bou Said ist inzwischen zu einem Künstlerstädtchen hoch über dem Golf von Tunis geworden. Gepflasterte Gassen schlängeln sich vorbei an weißen Häusern mit strahlend blauen Türen und Fensterläden, die mit Nägeln verziert sind. Mitten in dem idyllisch gelegenen Ort, das berühmte Café de Nattes. Eine Treppenempore führt in den Caféraum, der früher mal der Gebetsraum der Frauen der benachbarten Moschee war. Ibraim Ouerzazi:
    "Die zwei Maler haben dieses Café des Nattes gemalt. Sie haben Pfefferminztee getrunken. Sie sind circa eineinhalb Stunden mit den Leuten ein bisschen gesprochen und der Moilliet, der sehr gut französisch kannte, der hat immer ein bisschen die Traditionen übersetzt und wie das Leben geht in Sidi Bou Said, wie die Leute leben und so weiter. Das war ein Erlebnis für die zwei Maler zusammen.
    "Sie waren verliebt in Sidi Bou Said. Beide haben diese Café gemalt und einer sagte, das ist wie ein Dekor von einer Bühne eines Theaters, das könnte kein Café sein, das ist echt Malerei. Nicht nur Klee oder Macke, fast alle Künstler von Europa von Tunesien sie haben alle diese Fassade von dem Café gemalt.
    Bis heute sitzen Einheimische auf den Treppen des Café de Nattes, trinken den berühmten Minztee mit Pinienkernen und genießen den Blick auf den Sonnenuntergang im Meer. Von den Künstlern, die dieses Café so geliebt haben, ist aber nicht allen etwas zu Ohren gekommen.
    "Tut mir leid, aber von den Malern habe ich noch nie etwas gehört. Ich weiss, dass das hier ein wunderbarer Platz ist, an dem wir besonders deutlich fühlen, dass wir in Tunesien sind und nirgendwo anders. Ich habe vor ein paar Tagen in der Zeitung gelesen, dass die Maler hier waren, aber das war das erste Mal, das ich davon hörte. Und für mich macht das keinen Unterschied. Für deutsche Besucher ist es sicherlich anders, aber ich habe eben zum ersten Mal von den Malern gehört."
    Mackes Blick auf das Café de Nattes gehört zu seinen bekanntesten Bildern. Das Café erstrahlt auf dem Bild in leuchtenden Weiss und Blautönen, die Stufen sind nur angedeutet und davor steht ein Esel.
    Teppiche nach Klee-Vorlagen
    Ganz in der Nähe von Sidi Bou Said hat die tunesische Künstlerin Sadika ihr Atelier. In einem Bungalow, der zwischen Eukalyptus Bäumen liegt, lebt und arbeitet sie. Und sie stellt nicht nur ihre eignen Kunstwerke aus. Bei ihr kann man auch handgeknüpfte Teppiche nach Motiven von Paul Klee finden, die von tunesischen Frauen aus besonders armen Regionen hergestellt wurden. Sadika will diesen teppichknüpfenden Frauen, die von der Gesellschaft keine große Beachtung bekommen, Anerkennung geben. Die politisch engagierte Künstlerin erzählt wie der Kontakt zu den Frauen zustande gekommen ist.
    "Der Ursprung, wie sie sie kennengelernt hat, dass bei den Wahlen viele von diesen ländlichen Frauen oder Eltern von den jüngeren Frauen nicht zum Wählen gegangen sind und sie fand das einfach sehr schlecht und hat dann auch einen Text dazu geschrieben, den sie an die Presse weiter gegeben hat, hat eine Pressekonferenz dazu gemacht, das ist dann auch im Fernsehen gekommen und dann hat man sie kontaktiert unter anderem auch aus der Gegend von Fusana, das ist eine der ärmsten Gegenden und dann sind sie dann auch dahin gefahren."
    Inzwischen knüpfen in dem von Sadika ins Leben gerufenen Projekt rund 150 Frauen Teppiche nach Klee-Vorlagen und nach eigenen traditionellen Mustern. Werden die Teppiche später in Ausstellungen verkauft, bekommen die Frauen 50 Prozent des Erlöses.
    "Wir blicken in einen Garten, wo ein Dromedar an der Zisterne arbeitet. Das ist ganz biblisch, die Einrichtung ist sicher die gleiche geblieben. Stundenlang könnte man zusehen, wie das Kamel von einem Mädchen gelenkt, mürrisch auf und ab geht. Alleine wäre ich hier sehr lange verweilt, aber es gibt noch so viel zu sehen, meint Louis."
    "Ja, es war ein gewisses Kulttier für die Künstler, das war ja das Tier, was sie bisher nicht gesehen haben. Es gibt zwar zoologische Gärten und bei Macke ist es überliefert, und wie selbstverständlich sich dieses Tier einreiht, wie vielfältig es genutzt wird. Es ist ein Arbeitstier, dass es eigentlich erst ermöglicht, die Wüste zu durchdringen, wenn es nicht den großen Wassertank hätte, wäre es ja unmöglich. Das nächste ist, es ist ein Fleischlieferant. Aus der Wolle vom Kamel werden Kleider gemacht. Während bei den Impressionisten noch eine echte Technikbegeisterung da war, die haben ja Lokomotiven gemalt, waren begeistert davon, sehen wir bei den Expressionisten etwas Neues, dass man einfach in der Kultur zurück will, auf die wesentliche Form auf 'ne Reduktion."
    Gemalte Kamele tauchen auch später in den Bildern der Maler immer wieder auf – meist in ganz einfachen Formen oder Andeutungen.
    Fasziniert von den geometrischen Ornamenten
    Je mehr die drei dann ins Landesinnere von Tunesien vordrangen, um so tiefer ließen sie sich auch auf das intensive Licht-, Farb- und Formenspiel der Landschaft und der Architektur Nordafrikas ein.
    Fasziniert von den geometrischen Ornamenten der gewebten Teppiche und den handbestickten Trachten der dort lebenden Menschen, schlenderten sie durch die Altstadtgassen und beobachteten die Kunsthandwerker der Stadt Kairouan, die einst eine der größten Metropolen des Mittelmeers war.
    Am Anfang malte Paul Klee noch vor den Stadttoren die unzähligen Kuppeln und Minarette der Moscheen, die ihn in der als heilig geltenden Stadt Kairouan so sehr in den Bann zogen. Doch dann riss der Schaffensrausch des Malers ab. Er schrieb in seinem Tagebuch:
    "Ich lasse jetzt die Arbeit. Es dringt so tief und mild in mich hinein, ich fühle das und werde so sicher, ohne Fleiß. Die Farbe hat mich, ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer. Ich weiss das. Das ist der glückliche Stunde Sinn. Ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler."
    In Kairouan sind besonders die Erinnerungen an Paul Klee wach geblieben und aus der Ausbildung des dortigen Malernachwuchses nicht mehr wegzudenken. Die jungen Künstler profitieren von Klees gewonnenen Fertigkeiten und künstlerischen Einsichten in Tunesien, die in den Lehrplan der Kunsthochschule von Kairouan miteinfließen. Und nicht nur das. Der Prof. für Kunst Chaled Abida:
    "In den 80er-Jahren haben die schon mal hier so Paul-Klee-Tage organisiert, wo die Art, wie man Aquarelle malt, vorgestellt worden ist. Und für sie gehört Paul Klee zum Kulturerbe Kairouans dazu und was sie jetzt auch vorhaben hier in Kairouan, sie möchten praktisch mit der Hilfe des Tourismusministeriums so einen ganzen Paul-Klee-Rundgang hier ins Leben rufen. Dass man genau da entlang laufen kann, die Orte, die Paul Klee wirklich besucht hat, wo er die größte Inspiration hat. Und das ist dann nicht nur Malerei, sondern auch ein bisschen andere kulturelle Aktionen dazu mit spiritueller Musik, mit Sufismusmusik usw. und das planen sie."
    Für die Malerfreunde ging die Tunesienreise in der Wüstenstadt Kairouan seinem Ende entgegen. Reich an exotischen Erfahrungen zog es besonders Paul Klee in diesem Sinnestaumel direkt zurück in die Heimat nach Europa. Er schrieb:
    "Ich habe eine gewisse Unruhe, mein Karren ist voll geladen, ich muss an die Arbeit. Die große Jagd ist zu Ende. Ich muss zerwirken."