Hier dient der Deckname also offenbar eher als Sinnbild, und zwar für das Miteinander, Gegeneinander und Durcheinander von Wirklichkeit und Erfindung und ihrer spielerischen Handhabung. Hier geht es um Fragen, die immer auftauchen werden, Fragen von uns an den Autor und Fragen des Autors an sich selbst: Habe ich das geschrieben? War es ein anderer in mir? Wäre ich zu dem, was ich beschreibe, fähig? Was bezwecke ich damit? Und so weiter. Das Buch selbst weist uns darauf hin, gleich am Anfang: "Es ist tatsächlich möglich, daß der Autor sein eigenes Leben in allen Einzelheiten beschreibt. Genauso gut ist es aber auch möglich, daß er alles erfunden hat. Weißt du, die Literatur und das Leben sind zwei verschiedene Arten von Wirklichkeit, auch wenn sie sich überlagern. Der Erzähler verwertet seine Erinnerungen, Erfahrungen, Obsessionen; andererseits aber wandelt er sie ab und montiert sie nach eigenem Gutdünken neu (...) Die eine Figur gibt es wirklich, die andere ist völlig frei erfunden, und eine dritte vereinigt Eigenschaften in sich, die der Autor verschiedenen, ihm bekannten Personen entlehnt hat. Eine komplexe Alchimie! Was ist wahr, was ist falsch, wo endet die Wirklichkeit, wo beginnt die Phantasie? Köpfchen muß man haben, um die einzelnen Bestandteile auseinanderzuhalten; nicht einmal der Schöpfer des Werkes selbst findet sich immer darin zurecht."
Das ist das erste Problem (ein altbekanntes und nicht immer von Vorteil). Das zweite Problem hängt damit wahrscheinlich zusammen: daß es sich nämlich einerseits um das individuelle Schicksal des Ich-Erzählers (oder des Autors oder des anderen im Autor) handelt, und andererseits dieses Schicksal so schematisch aufgebaut und erzählt wird (um nicht zu sagen: leblos heruntererzählt wird), daß es der Leser als etwas Allgemeingültiges, entschieden Symptomatisches deuten muß. Es sind die Memoiren eines namenlosen Mannes, der, ehe er grausig Selbstmord begeht, sein ungeliebtes Leben notiert. Die elende Kindheit, die gehetzte Jugend, seinen gnadenlosen Haß und seine abstoßenden Rachetaten. Immer war er allein, die Eltern, ein onanierender Vater und eine lieblose Mutter, vernachlässigen ihn einerseits und treiben ihn andererseits an, immer der Beste zu sein, und er wird der Beste, er wird Gymnasiallehrer und heiratet sogar.
Eine einzige Leidenschaft hat er, und die wirkt sehr freudianisch, es ist die Eisenbahn mit ihren potenten Dampflokomotiven und empfängnisbereiten Tunneln. Schon als Kind hat er heimlich vom Balkon aus die Gleise hinterm Haus beobachtet, und schon als Kind hatte er die Phantasien, die künftig in seinem Leben, oder in diesem Buch, nicht mehr von der Wirklichkeit zu unterscheiden sind. Es fängt mit einem furchtbaren Zugunglück an und geht in eine Serie von Morden über, die allesamt Anschläge auf den guten Geschmack des Lesers sind, weil sie nämlich eher rituellen Schlachtungen gleichen. Das läuft alles so stur ab wie eben ein Zug, der nach einem bestimmten Fahrplan auf einem bestimmten Gleis dahindampft.
Ebenso zwangsläufig ist die Entscheidung des Mannes, das Alleinsein, mit dem er als Kind aufwuchs, zur Lebens- und Überlebensweise zu machen, zu einer Art Kunst. In einem stillgelegten Bahnhof läßt er sich nieder. Im Einklang mit der Natur, genügsam und bedürfnislos erlebt er sein stilles Glück. Das Monstrum wird zum Öko-Einsiedler: Da wird es richtig kitschig. Doch läßt man den Bedauernswerten auch jetzt nicht zufrieden. Die Trasse für den Hochgeschwindigkeitszug soll ausgerechnet hier entlangführen. Da will er sterben, im nahegelegenen geliebten Tunnel, und den müssen wir wohl als Symbol des Weiblichen nehmen, als Ersatz für den Verkehr, den er nicht hat, und als Rückkehr an den Ort, aus dem er einst gekrochen, die Gebärmutter.
Das ist alles sehr symbolisch, das ist alles mehr als tragisch, das ist schon ein bißchen dick und steht in merkwürdigem Gegensatz zur dünnen Psychologie: daß nämlich aus einem vernachlässigten Knaben nolens volens ein Psychopath wird. Aber damit will Klein eben den individuellen Fall zu einem allgemeingültigen, entschieden symptomatischen machen. Um sich aus diesem Dilemma zu retten, betont auch am Schluß noch einmal der Erzähler (oder der Autor oder der andere im Autor): "Ich bin der böse Junge, der alles in den Schmutz zieht, alles befleckt und seine Rechnungen begleicht, indem er schaufelweise Dreck um sich wirft. Es sei denn, es handelt sich um einen Roman. Dann ist also alles erfunden."
Daß alles nur ein Spiel war, wird im letzten Satz, der eine Frage ist, überdeutlich: "Aber sagen Sie mal ehrlich, glauben Sie, das kann funktionieren?" heißt es da. Das Spielen mit dem Leser ist in Frankreich immer noch ein bißchen Mode, aber das ist - hier jedenfalls - auch ein bißchen billig, denn auf diese Art und Weise kann man sich aus jeder Affäre ziehen. Aber natürlich ist die Frage nur konsequenter Abschluß eines paradoxen Projekts: Er will uns in die Irre führen, und doch verläuft der Lebensweg des Helden logisch-pathologisch. Kleins Buch ist - und das ist nun ganz doppeldeutig gemeint -, Kleins Buch ist nicht die Welt.
Das ist das erste Problem (ein altbekanntes und nicht immer von Vorteil). Das zweite Problem hängt damit wahrscheinlich zusammen: daß es sich nämlich einerseits um das individuelle Schicksal des Ich-Erzählers (oder des Autors oder des anderen im Autor) handelt, und andererseits dieses Schicksal so schematisch aufgebaut und erzählt wird (um nicht zu sagen: leblos heruntererzählt wird), daß es der Leser als etwas Allgemeingültiges, entschieden Symptomatisches deuten muß. Es sind die Memoiren eines namenlosen Mannes, der, ehe er grausig Selbstmord begeht, sein ungeliebtes Leben notiert. Die elende Kindheit, die gehetzte Jugend, seinen gnadenlosen Haß und seine abstoßenden Rachetaten. Immer war er allein, die Eltern, ein onanierender Vater und eine lieblose Mutter, vernachlässigen ihn einerseits und treiben ihn andererseits an, immer der Beste zu sein, und er wird der Beste, er wird Gymnasiallehrer und heiratet sogar.
Eine einzige Leidenschaft hat er, und die wirkt sehr freudianisch, es ist die Eisenbahn mit ihren potenten Dampflokomotiven und empfängnisbereiten Tunneln. Schon als Kind hat er heimlich vom Balkon aus die Gleise hinterm Haus beobachtet, und schon als Kind hatte er die Phantasien, die künftig in seinem Leben, oder in diesem Buch, nicht mehr von der Wirklichkeit zu unterscheiden sind. Es fängt mit einem furchtbaren Zugunglück an und geht in eine Serie von Morden über, die allesamt Anschläge auf den guten Geschmack des Lesers sind, weil sie nämlich eher rituellen Schlachtungen gleichen. Das läuft alles so stur ab wie eben ein Zug, der nach einem bestimmten Fahrplan auf einem bestimmten Gleis dahindampft.
Ebenso zwangsläufig ist die Entscheidung des Mannes, das Alleinsein, mit dem er als Kind aufwuchs, zur Lebens- und Überlebensweise zu machen, zu einer Art Kunst. In einem stillgelegten Bahnhof läßt er sich nieder. Im Einklang mit der Natur, genügsam und bedürfnislos erlebt er sein stilles Glück. Das Monstrum wird zum Öko-Einsiedler: Da wird es richtig kitschig. Doch läßt man den Bedauernswerten auch jetzt nicht zufrieden. Die Trasse für den Hochgeschwindigkeitszug soll ausgerechnet hier entlangführen. Da will er sterben, im nahegelegenen geliebten Tunnel, und den müssen wir wohl als Symbol des Weiblichen nehmen, als Ersatz für den Verkehr, den er nicht hat, und als Rückkehr an den Ort, aus dem er einst gekrochen, die Gebärmutter.
Das ist alles sehr symbolisch, das ist alles mehr als tragisch, das ist schon ein bißchen dick und steht in merkwürdigem Gegensatz zur dünnen Psychologie: daß nämlich aus einem vernachlässigten Knaben nolens volens ein Psychopath wird. Aber damit will Klein eben den individuellen Fall zu einem allgemeingültigen, entschieden symptomatischen machen. Um sich aus diesem Dilemma zu retten, betont auch am Schluß noch einmal der Erzähler (oder der Autor oder der andere im Autor): "Ich bin der böse Junge, der alles in den Schmutz zieht, alles befleckt und seine Rechnungen begleicht, indem er schaufelweise Dreck um sich wirft. Es sei denn, es handelt sich um einen Roman. Dann ist also alles erfunden."
Daß alles nur ein Spiel war, wird im letzten Satz, der eine Frage ist, überdeutlich: "Aber sagen Sie mal ehrlich, glauben Sie, das kann funktionieren?" heißt es da. Das Spielen mit dem Leser ist in Frankreich immer noch ein bißchen Mode, aber das ist - hier jedenfalls - auch ein bißchen billig, denn auf diese Art und Weise kann man sich aus jeder Affäre ziehen. Aber natürlich ist die Frage nur konsequenter Abschluß eines paradoxen Projekts: Er will uns in die Irre führen, und doch verläuft der Lebensweg des Helden logisch-pathologisch. Kleins Buch ist - und das ist nun ganz doppeldeutig gemeint -, Kleins Buch ist nicht die Welt.