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Turbo aus der Spritze

Medizin. - Vor wenigen Wochen beurteilte das Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages die Chancen eines Gen-Dopings noch als sehr unwahrscheinlich. Jetzt zeigt ein ARD-Fernsehbeitrag, dass in China und Nordamerika unerlaubte Leistungssteigerungen per Gentherapie bereits heute Realität seien. Der Tübinger Sport- und Neuromediziner Perikles Simon nimmt dazu im Gespräch mit Gerd Pasch Stellung.

21.07.2008
    Pasch: Da ist die Rede von Stammzellbehandlungen, die gezielt in die Erbsubstanz eingreift, um zum Beispiel Skelettmuskulatur oder Sauerstoffversorgung beim Höchstleistungssportler zu verändern. Wie kann die Stammzelltherapie, die bei Krebspatienten bis heute kaum Erfolg zeigt, denn überhaupt ein Doping-Mittel sein?

    Simon: Das Problem bei der Stammzelltherapie ist sicher, dass man noch gar nicht richtig weiß, wie das in einem erwachsenen Menschen, in einem Organismus, der völlig fertig ist sozusagen, überhaupt wirken kann und wie die Leistungssteigerung erzielt werden soll.

    Pasch: Welche Ideen haben denn diejenigen, die so etwas anbieten?

    Simon: Oftmals steckt keine konkrete Idee dahinter, sondern mehr ein unspezifischer Versuch, zum Beispiel im Rahmen von Heilversuchen. Ich kenne jetzt vor allem im asiatischen Raum Labore, die Stammzellbehandlungen anbieten zum Beispiel für Tumorpatienten im Endstadium, wo alle anderen Verfahren keine Aussicht auf Erfolg bieten. Und ob dadurch ein leistungssteigernder Effekt überhaupt erreicht werden kann, ist sehr unsicher.

    Pasch: Sondern welche Stoffe kommen dafür infrage, welche Verfahren?

    Simon: Aus wissenschaftlicher Sicht handelt es sich bei Gen-Doping um den Transfer von Erbsubstanz in einen Körper hinein mit dem Ziel der Leistungssteigerung. Diese Erbsubstanz kann oft auf ganz unterschiedlichen Wegen in den Körper gelangen, und es kann sich auch um ganz unterschiedliche Erbsubstanzen und Formen auch dieser Erbsubstanz handeln. Was nach dem derzeitigen technischen Stand infrage kommt für ein, ja, wahrscheinlich effektives Gen-Doping, wären Wachstumsfaktoren beispielsweise wie Gefäßwachstumsfaktoren oder aber auch das Wachstumshormon des Menschen oder aber auch Erythropoietin, welches ja im Radsport oder auch in anderen Ausdauersportarten umfangreich Einsatz findet, anscheinend. Man kann diese Substanzen dann, die werden vom Körper selbst gebildet, nicht mehr richtig nachweisen, sondern müsste schon zum Beispiel die eingeführte Erbsubstanz versuchen nachzuweisen als Direktnachweis.

    Pasch: Was muss denn der Anwender, der Sportler tun, um an dieses Verfahren zu kommen?

    Simon: Er kann relativ einfach an solche Verfahren kommen. Man kann Vorstufen der viralen Vektoren, aber inzwischen auch die viralen Vektoren selber, also das sind die Gentherapeutika, mit denen man diese Erbsubstanz in den Körper vermitteln kann, über das Internet beziehen. Es gibt da zahlreiche Anbieter, die sind da natürlich im Wesentlichen auf den grundlagenwissenschaftlichen Bereich ausgerichtet, das heißt, wollen Forscher unterstützen bei ihren Experimenten in der Zellkultur. Man muss dann auch unterschreiben, dass man solche Substanzen nur in der Zellkultur, nur im geeigneten Labor anwendet und so weiter. Nichtsdestotrotz können Sie solche Substanzen, Gentherapeutika beziehen. Diese sind allerdings nicht klinisch getestet und eine Anwendung am Menschen wird sehr, sehr gefährlich sein und auch nur von fraglichem Erfolg dann, was die letztendliche Leistungssteigerung, die der Sportler im Auge hat, angeht.

    Pasch: Was tut sich denn der Anwender, der Sportler an, wenn er Gen-Doping betreibt?

    Simon: Es ist meiner Meinung nach unwahrscheinlich, dass so ein einzelner Sportler einen leistungssteigernden Effekt durch solche Präparate, die er im Internet bestellen kann, hinbekommt, das ist das Erste. Und das Zweite ist, dass davon auszugehen ist, dass er sogar Immunreaktionen provoziert und zwar gegen körpereigene Substanzen dann auch. Das heißt, der Sportler hat unter Umständen in absehbarer Zeit sogar einen sehr starken leistungshemmenden Effekt, der sehr gefährlich sein kann. Darüber hinaus gibt es überschießende Immunreaktionen auf einen nicht kontrollierten Gentransfer außerhalb von klinischen Studien und da wird man mit dem Schlimmsten rechnen müssen, also die Leute könnten auch spontan nach so einer Spritze in die Muskulatur oder ins Unterhautfettgewebe versterben.

    Pasch: Kann man diese Substanzen, die Verfahren denn im Nachhinein überhaupt feststellen?

    Simon: Momentan noch nicht. Wir gehen davon aus, dass wir jetzt ein Verfahren in der Entwicklung haben, dass direkt die transgene DNS nachweist, was in absehbarer Zeit, so hoffen wir, zur Verfügung steht.