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TV-Experiment
Politiker-WG im Problemviertel

Sieben Politiker unterschiedlicher Parteien, eine Woche gemeinsam in einer WG in Duisburg-Marxloh, dabei begleitet von Fernsehkameras: Was ein spannendes TV-Experiment hätte werden können, verliert sich in Langeweile und Irrelevanz.

Von Christoph Sterz | 24.08.2015
    Ein Wegweiser zeigt die Richtungen nach Marxloh, Ruhrort, Beeck und Bruckhausen am 24.08.2015 in Duisburg (Nordrhein-Westfalen) an
    Ein Wegweiser zeigt die Richtungen nach Marxloh, Ruhrort, Beeck und Bruckhausen am 24.08.2015 in Duisburg (Nordrhein-Westfalen) an (dpa / picture alliance / Roland Weihrauch)
    "Diese sieben, von der Bundestags- bis zur Nachwuchs-Politikerin trauen sich: Eine Woche im sozialen Brennpunkt. Quatschen war gestern. Heute ist machen. Junge Leute von der Straße holen. Mehr medizinische Hilfe für Zuwanderer. Und hier wohnen sie: Linke, Grüne, CDU. Alle unter einem Dach. Kann das gut gehen? Die Politiker-WG."
    Ja, es könnte schon gut gehen, was der WDR da 40 Minuten lang versucht. Sieben Politiker, von denen die meisten aus dem Ruhrgebiet kommen; entsandt zum Beispiel von Jusos,CDU, der Grünen Jugend. Die Hälfte sind Nachwuchspolitiker, dazu kommen zwei Bürgermeisterkandidaten und eine Bundestagsabgeordnete der Linken.
    Eigentlich ist es eine gute Idee, mit journalistischen Mitteln etwas gegen Politikverdrossenheit zu tun; und auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam zu machen, gerne auch auf unterhaltsame Art und Weise.
    Das TV-Experiment wirkt von Anfang an wie modernes Fernsehen, die Schriften werden zum Beispiel als Graffiti ins Fernsehbild gesprayt; die Bilder sind meistens unterlegt mit Hip-Hop.
    Aber gerade weil das gut funktioniert, ist es schon eine Leistung, dass die Sendung trotzdem über weite Strecken langweilt.
    Politiker: "Andere gehen der Ruhe wegen ins Kloster für vier Wochen, wir gehen nach Marxloh."
    Politikerin: "Genau. Endlich mal nicht dauernd SMS bekommen und angerufen werden."
    Die Szenen aus der WG-Küche, ganz klassisch mit Kochzeile und großem Küchentisch, Big-Brother-mäßig von oben gefilmt, sind ein inhaltlicher Total-Ausfall. Es passiert einfach nichts.
    Gut, ausführlich wird zum Beispiel gezeigt, wer welches Zimmer in der WG bekommt - aber sonst? Nicht viel. Bis die Politiker dann endlich mal von den Sendungsmachern Aufgaben gestellt bekommen:
    "Viele Zugezogene sprechen kein Deutsch. Auch beim Arzt ein Problem. Unser Auftrag: Unterrichten."
    Politikerin: "Möchte jemand mit dir heute Deutsch lernen? (lacht) Freiwillig? (lacht)"
    An Irrelevanz nicht zu überbieten
    Nach einiger Zeit wird dann endlich so etwas wie ein Konzept deutlich: Die sieben Politiker sollen insgesamt drei größere Aufgaben erfüllen. Erstens die Lage der vielen Marxloher ohne Krankenversicherung verbessern; zweitens etwas für benachteiligte Jugendliche starten und drittens ein Kochprojekt auf die Beine stellen, für gesundes Essen und soziales Miteinander. Auch das klingt alles erst mal gut.
    Das Problem ist nur: Es geht um Aufgaben, die zum Teil gar nicht umsetzbar sind. Weil man für ein Kochprojekt zum Beispiel erst mal Genehmigungen braucht, vom Gesundheitsamt etwa. Und das bekommt selbst ein Politiker mit besten Beziehungen in einer Woche nicht hin. Die Redaktion wandelt die Aufgabe deswegen ab:
    "Vieles läuft also. Nur das Kochprojekt haben sie eingestellt. Trotzdem sollen die in der WG mal spüren, wie das so ist: Kochen mit wenig Geld. Das Budget: 15 Euro."
    Politiker: "Da wird sicherlich nicht viel mit möglich sein."
    Solch überraschende Einsichten hätte man einfach mal rausschneiden können; und sich dafür mehr Zeit lassen sollen für Tiefgang. Für Relevanz. Und für ein stimmigeres Grundkonzept.
    Weil, mal im Ernst: Wie soll jemand etwas in einer Woche schaffen, womit sich vor Ort tätige Initiativen schon seit Jahren beschäftigen? Gut, die Politiker knüpfen Kontakte zu bestehenden Einrichtungen. Aber wie wäre es denn gewesen, Marxloh noch direkter kennenzulernen? Zum Beispiel als Politiker-Praktikant die ganze Zeit an der Seite von Pater Oliver, der guten Seele von Marxloh. Die Politiker-WG ist alles in allem ein Stück Reality-TV, das so real ist wie, na ja, Reality-TV halt. Sogar ein von den Politikern selbst gedrehtes Video schafft es in den Film. Ein Moment, der an Irrelevanz nicht zu überbieten ist.
    Politikerin: "Warum nehmen wir das jetzt eigentlich auf?
    Politiker: "Ich gehe mal zu der Kamera. Guten Abend."
    "Das hat prima geklappt"
    Am Ende schaffen es die Politiker immerhin, Medikamente zusammenzusammeln und das Thema Gesundheitsversorgung für Nicht-Versicherte in den Bundestag zu bringen; außerdem organisieren sie einen Bus für einen mobilen Jugendtreff. Um den kümmern sich jetzt die Menschen vor Ort, und nicht mehr die WG-Politiker oder die TV-Macher. Doch letztere bringen übrigens am Ende der Reportage noch das Kunststück fertig, das größtenteils verkorkste Experiment irgendwie positiv zu sehen:
    "Schwarz, Rot, Grün, alle unter einem Dach. Das hat prima geklappt."
    Politiker: "Genau, selbst die Dusche. Die heute mal wieder kalt war."