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TV-Quoten-Messung
Realistischer, aber nicht die Realität

Die Fernsehquote ist ein großes Mysterium, weil streng geheim ist, wer an der Quotenmessung teilnimmt - bezogen auf die Zuschauer waren das bisher Haushalte, in denen mindestens eine Person EU-Staatsbürger war. Genau das wird sich aber ab dem kommenden Jahr ändern.

Von Christoph Sterz | 12.12.2015
    Einschaltquoten im ARD-Videotext
    Einschaltquoten im ARD-Videotext (Deutschlandradio / Sebastian Döring)
    Wenn der Haupteinkommensbezieher eines Haushalts deutsch spricht, dann ist er oder sie ab 2016 auch interessant für die Fernsehforschung. Damit können erstmals in der deutschen Fernsehgeschichte zum Beispiel auch tausende, rein türkische Haushalte erfasst werden und in die TV-Quote einfließen - und es wird im kommenden Jahr noch weitere Änderungen geben, erklärt Bernhard Engel von der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung.
    "Das Fernsehforschungspanel basiert im Moment noch auf Haushalten, die mindestens ein TV-Gerät haben. Und in Zukunft, auch im Jahr 2016, werden wir zusätzlich die Streaming-Messung, also für Nutzung von Fernsehen, Bewegtbild am PC zusätzlich miterfassen. Insbesondere werden wir auch sogenannte Internet-Only mit in das Panel mitaufnehmen. Und sind aber dann eigentlich de facto vollständig."
    Quotenmessung zu oberflächlich
    Und das heißt laut der AGF, dass 99 Prozent der Menschen in Deutschland berücksichtigt sein sollen in der Quotenmessung; ein realistischeres Abbild als vorher also. Allerdings bleiben Fernseher in Hotels, Büros, Kneipen oder Altenheimen weiterhin außen vor. Und auch wenn sich die Änderungen mit einer veränderten Gesellschaft und mit dem technischen Fortschritt begründen lassen, ist das für den Medienwissenschaftler Christian Richter eine zu oberflächliche Sichtweise.
    "Man kann das natürlich in dem Kontext sehen, dass wenn wir jetzt gerade viel Zuwanderung aus aus Nicht-EU-Staaten haben, dass das auch ein schönes Zeichen ist vielleicht, um das zu öffnen, aber gleichzeitig durch die Erhöhung der Grundgesamtheit, wird erwartet, dass sich auch die absoluten Zuschauerzahlen erhöhen, logischerweise. Weil wir dann eben von 75 Millionen Menschen und nicht mehr von 72 ausgehen. Dadurch können die einzelnen Sendungen mehr Zuschauer haben. Mehr Zuschauer bedeutet einfach mehr Geld. Und wenn man es schafft, irgendwoher noch neue Menschen herzukratzen, dann ist das wahrscheinlich vor allem erstmal ein Instrument, um den Markt zu erweitern, den Markt zu vergrößern. Und genauso muss man das auch mit den Streaming-Sachen sehen. Hier geht es vor allem darum, erstmal einen Markt zu besetzen."
    Messung der Streaming-Nutzung hochkomplex
    Nach Ansicht von Christian Richter geht es also vor allem um die wirtschaftlichen Interessen der AGF-Gesellschafter ARD, ZDF, ProSiebenSat.1 und RTL; also der vier wichtigsten Fernsehsender-Gruppen Deutschlands. Tatsächlich dienen die Einschaltquoten dazu, Werbepreise festzulegen - aber auch auf die Programmgestaltung haben sie Einfluss. Und dabei ist gerade in den letzten Jahren das Thema Streaming noch einmal besonders wichtig geworden. Weil die Mediatheken immer beliebter werden, weil gerade die jüngeren Zielgruppen im Netz unterwegs sind und sich dort im Nachhinein Videos angucken, also on demand. Die Streaming-Nutzung zu messen, ist allerdings hochkomplex, sagt Bernhard Engel von der AGF.
    "Wir sind mit dem Zeitplan, was das Streaming anbetrifft, nicht ganz in dem, was wir uns vor drei Jahren vorgenommen haben. Aber man muss auch sagen, dass die Streaming-Nutzung auch erst jetzt an Fahrt gewinnt. Und es ist außerordentlich teuer und schwierig, wenn Sie nur ein Prozent Marktsegment haben, dann eine komplette Streaming-Messung für viele Millionen Euro auf den Weg zu bringen. Aber wir sind jetzt dran, und ich glaube, dass wir da den richtigen Zeitpunkt auch genommen haben und zuversichtlich sind, dass der Markt unsere erweiterte Messung auch akzeptieren wird."
    Quantität - nicht Qualität
    Auch wenn die Messung dadurch deutlich zeitgemäßer wird und es in Deutschland kein exakteres Messverfahren für die TV-Quote gibt: Es bleiben die alten Probleme. Denn nach wie vor geht es nur um die Frage, wie viele Menschen wie lange eine Sendung schauen - und nicht, mit welcher Intensität sie sich mit einer Serie oder einer Fernsehshow auseinandersetzen. Und das ist genau der Knackpunkt, meint der Medienwissenschaftler Christian Richter von der Uni Potsdam.
    "Am Ende bleibt es, dass wir nicht anhand der Zahlen sagen können, wie die Menschen die Sendung gefunden haben, ob sie es intensiv geguckt haben, ob überhaupt irgendjemand vor dem Fernseher gesessen hat. Ob man sich in dem Moment jetzt über die Sendung ärgert, ob man nebenher am Tablet rumspielt, ob man sich mit seinem Partner, seiner Partnerin streitet oder eben gar nicht im Zimmer ist, das kann dieses Gerät eben einfach nicht erfassen. Und ich glaube, das verzerrt ganz, ganz extrem unser Verständnis davon, was im Fernsehen funktioniert, beziehungsweise was die Menschen wirklich sehen wollen."