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TV-Serie "Drive to Survive"
Wie sich die Formel 1 auf Netflix selbst inszeniert

Die als "Sport-Doku" titulierte Netflix-Serie "Drive to Survive" zeigt Fahrer und Teamverantwortliche der Formel 1 und den Einfluss der Corona-Pandemie auf den Rennzirkus. Damit bietet sie sowohl Fans als auch Motorsport-Laien Entertainment auf hohem Niveau - aber kein journalistisches Produkt.

Von Niko Nowak | 02.05.2021
Eine Filmcrew steht vor der Box des Formel1-Teams von Mercedes
Beim Großen Preis von Deutschland auf dem Hockenheimring wird das Mercedes AMG Formel 1 Team von einer Filmcrew gedreht - für die Netflix-Produktion "Drive to survive" (picture alliance / empics | James Moy)
Kreischende Boliden und die Menschen, die in ihnen sitzen – das sind die Hauptakteure in "Drive to Survive". In der dritten Staffel werden die Fahrer und Teamverantwortlichen der Rennserie während der Saison begleitet, die wegen Corona so anders verlief als geplant. Welchen Einfluss die Pandemie auf die Formel 1 hatte, ist eine der Geschichten, die bei "Drive to Survive" erzählt werden. Der Fokus der Serienmacher liegt zuweilen nur nebensächlich auf den sportlichen Ereignissen und viel mehr auf den emotionalen Episoden rund um die Protagonisten des Rennzirkus.
Die intimen Einblicke sind der Hauptgrund für die enorme Popularität der Serie. Packende Zweikämpfe auf und abseits der Strecke: Die Kopf-an-Kopf-Rennen auf dem Asphalt werden bei "Drive to Survive" ebenso wie die Schlagabtäusche im Rennstall in Szene gesetzt – mit Hochglanzbildern und dramatischer Musikuntermalung. Im Trailer spricht der Mann, der in der dritten Staffel von "Drive to Survive" aus dem Feuer steigt: Haas-Fahrer Romain Grosjean. Beim Großen Preis von Bahrain prallt er heftig gegen die Leitplanke und taucht dann aus den Flammen des brennenden Autowracks auf. Die Serie widmet eine ganze Folge der Story hinter dem Unfall.

Auftraggeber der "Sport-Doku" ist der Formel-1-Rechteinhaber Liberty Media

In einem anderen Kapitel der Serie versucht Red-Bull-Teamchef Christian Horner seinem Mercedes-Rivalen Toto Wolff das Leben schwerzumachen, indem er die Regelkonformität des Silberpfeils anzweifelt. Solche lässig-professionellen Neckereien ziehen sich durch die Serie und hinterlassen den Eindruck, Menschen in der Formel 1, Fahrer wie Funktionäre, scheinen wahre Meister der Schlagfertigkeit zu sein.
Filmisch gesehen ist "Drive to Survive" Entertainment auf hohem Niveau. Aus journalistischer Sicht bleibt für Christian Nimmervoll, Chefredakteur von Motorsport-Total.com, aber ein Wermutstropfen übrig. "Ich glaube, grundsätzlich muss man sich die Frage stellen: Ist diese Doku-Serie ‚Drive to Survive‘ überhaupt ein journalistisches Produkt?", sagt Nimmervoll.
Großer Preis von Bahrain am 29.11.2020.
Formel 1 in Bahrain - Umstrittener Austragungsort und ein heftiger Unfall
Einerseits für Menschenrechte werben - andererseits einen Grand Prix in Bahrain veranstalten: "Das passt nicht zusammen", sagte Anno Hecker im Dlf. Dass der Unfall von Romain Grosjean eine Sicherheitsdebatte auslöst, glaubt der FAZ-Journalist nicht.
Denn produziert wird die bei Netflix als "Sport-Doku" ausgewiesene Serie im Auftrag von Liberty Media, dem Eigentümer der Formel 1. Nimmervoll sagt, so sei das bei vielen "Sport-Dokus". "Naturgemäß sind die Auftraggeber immer die Rechteeigentümer selbst, weil auch nur sie diejenigen sind, die die Türen sozusagen aufmachen können, sodass es da wirklich einen Mehrwert gibt, bis in die letzten Ecken, wo man als Journalist halt nicht drankommt", so der Motorsport-Journalist.
Dass sich die Formel 1 auf einer Entertainment-Plattform selbst inszeniert, um damit Werbung für sich zu machen, sei für Nimmervoll grundsätzlich vertretbar. Die journalistische Aussagekraft eines solchen Selbstporträts zweifelt er aber an. Nimmervoll sagt: "Die Doku zeigt natürlich nicht, dass die Formel 1 zum Beispiel in Ländern fährt, wie gerade beim Saisonauftakt in Bahrain, wo zumindest große Fragezeichen über dem Umgang mit Menschenrechten hängen. Und so weiter und so fort – die Liste könnte man endlos fortsetzen."

Exklusive Einblicke hinter die Kulissen

Noch kritischer als die Selbstinszenierung der Formel 1 auf Netflix bewertet Nimmervoll den Umgang mit unabhängigen Journalisten wie ihm, die vor Ort über die Rennserie berichten wollen, denen aber zum Beispiel der Zugang zum Fahrerlager, dem sogenannten Paddock, verwehrt bleibe.
Nichtsdestotrotz habe die Formel 1 ihr Ziel, auch Nicht-Fans für die Rennserie zu begeistern, erreicht. Christian Nimmervoll berichtet aus eigener Erfahrung: "Meine Lebensgefährtin interessiert sich normalerweise überhaupt nicht für die Formel 1. In dem Fall hat sie aber, als ich mir das angeschaut habe zu Hause, gesehen – ‚Och, der Daniel Ricciardo, der ist ja ganz schnuckelig und der Pierre Gasly auch‘ – und hat tatsächlich dann alle zehn Folgen mit mir geschaut. Also das, was die Formel 1 damit vorhatte, das funktioniert."
Kann man über die Kritik hinwegsehen, so ist "Drive to Survive" also nicht nur etwas für Rennsport-Enthusiasten, die sich auch am Wochenende freiwillig den Wecker stellen, um etwa den Großen Preis von Japan zu verfolgen. Es ist auch die richtige Serie für Laien und Sportfans, die sich bei stundenlangen Rennen der Formel 1 eigentlich langweilen.