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TV-Zweiteiler ”Gladbeck”
Die schreckliche Ambivalenz

Sommer 1988: Zwei Bankräuber nehmen Geiseln und fliehen fast drei Tage lang mit ihnen quer durch das ganze Land, immer begleitet von Presse und Polizei. Ein ARD-Zweiteiler stellt Opfer statt Täter in den Mittelpunkt. Den Tätern sei in den Originalaufnahmen eine "unerträgliche Plattform" geboten worden, sagte der Regisseur Kilian Riedhof im Dlf.

Kilian Riedhof im Corsogespräch mit Susanne Luerweg | 07.03.2018
    Ein Geiseldrama als bizarres Spektakel: Fotografen und TV-Teams umringen die Gladbeck-Entführer in der Kölner Innenstadt.
    Ein Geiseldrama als bizarres Spektakel: Fotografen und TV-Teams umringen die Gladbeck-Entführer in der Kölner Innenstadt. (ARD Degeto/Ziegler Film/Martin Valentin Menke)
    Susanne Luerweg: Es ist nicht das erste Mal, dass das Thema filmisch aufgegriffen wird. Es gab schon einmal einen fiktionalen Zweiteiler, da haben Richie Müller und Jürgen Vogel die Hauptrollen gespielt und es gab auch schon eine recht gute Dokumentation. Was ist jetzt neu bei Ihrem Film?
    Kilian Riedhof: Wir sind der erste Film, der aus der Geiselperspektive erzählt wird, eben nicht die Täter als Protagonisten wählt. Das war uns sehr, sehr wichtig. Denn den Tätern ist ja in den Originalaufnahmen eine unerträgliche Plattform geboten worden und uns ging es darum, den Schwerpunkt darauf zu legen, was den Geiseln angetan wurde, in welcher Lage sie sich über die 54 Stunden befunden haben.
    Luerweg: Es ist ein Film oder ein Zweiteiler, der auf realen Ereignissen basiert, aber auch fiktionale Elemente hat. Welches sind die fiktionalen Elemente?
    Riedhof: Fiktional mussten wir natürlich dort werden, wo es keine Dokumente gibt, zum Beispiel das konkrete Geschehen im Bus, die Intimitäten, die dort stattfinden, die mussten wir natürlich erfinden. Aber das was im Fall passiert ist, das Versagen der Polizei, das Einschreiten der Presse, die Abläufe an der Raststätte in Grundbergsee, das ist alles sehr minutiös nachgezeichnet worden, was wir aus den Untersuchungsberichten und dem Urteil wissen. Uns war es wichtig, nicht pauschal Journalisten und Polizei zu verurteilen, aber dass der Zuschauer wirklich mit am Tisch sitzt, wenn die Einsatzleitung diskutiert, ich glaube, das ist bisher noch nicht passiert.
    "Die Polizei war mit dieser massiven und sehr irrationalen Form von Gewalt nicht vertraut"
    Luerweg: Sie wollen kein pauschales Urteil, aber Fakt ist, die Polizeiarbeit steht wirklich in keinem guten Licht da. Also man hat nicht das Gefühl, da hat irgendjemand richtig gehandelt.
    Riedhof: Wir müssen unterscheiden zwischen der Polizei in NRW, die mit dem Banküberfall in "Gladbeck" zu tun hatte, und der Bremer Polizei. Die Polizei in NRW hat, glaube ich, hat keinen Umgang gefunden mit Gewalt. Das ist wahrscheinlich noch aus der Erfahrung des Dritten Reiches so gewesen. Die Polizei war mit dieser massiven und sehr irrationalen Form von Gewalt nicht vertraut. Die Polizei in Bremen war einfach schlecht vorbereitet und hat sich in einem ziemlichen Chaos ergangen.
    Wir haben noch länger mit Kilian Riedhof gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Luerweg: Die Sicht der Opfer soll deutlich werden. Haben Sie tatsächlich auch mit den Hinterbliebenen gesprochen?
    Riedhof: Wir haben mit der Mutter von Silke Bischof Kontakt aufgenommen, das war sehr eindrücklich. Wir haben aber auch mit den Polizisten gesprochen, und gemerkt, wie sehr dieses Trauma und die Hilflosigkeit der konkreten Polizisten vor Ort bis heute nachhallt.
    Luerweg: In der Tat ist es ja so, Silke Bischof war ein sehr hübsches, junges Mädchen und das hat auch dazu geführt, dass da ganz viel Aufmerksamkeit drauf gelenkt wurde, oder?
    !!Riedhof: Das ist die schreckliche Ambivalenz von "Gladbeck". Auf der einen Seite sehen wir das Grauen, die Interviews mit den Tätern, das Leid der Opfer und das stößt uns ab. Auf der anderen Seite, und das mag Öffentlichkeit sich nicht eingestehen, und wir alle uns nicht eingestehen, hat es auch eine Faszination und es kommen seltsame Schwingungen auf, wenn man an das Leid von Silke Bischof denkt, weil man natürlich diese Bilder auch immer wieder sehen will und muss. Diese Paradoxie führt eigentlich dazu, dass wir dieses Trauma "Gladbeck" eigentlich noch nicht verarbeitet haben, weil wir uns immer selber dabei ertappen, zum Täter zu werden.
    "Auszuhalten, dass man für das Grauen steht, das ist eine Leistung für Schauspieler"
    Luerweg: Die Täter werden dargestellt von Alexander Scheer, der spielt Degowski, und Sascha Geršak. Das sind großartige Darsteller, die haben ganz wenig Text. Und auch sonst. Sie filmen sie auch immer aus einem ganz bestimmten Winkel. Das war Absicht, nehme ich an?
    Riedhof: Das ist für die Schauspieler sicher eine Grenzerfahrung gewesen, denn es gibt keine identifikatorischen Aufnahmen der Täter und natürlich sucht ein Schauspieler immer diesen Moment, wo er sich identifizieren kann und auch weiß, er ist verankert in der Handlung. Und das auszuhalten, dass man für das Grauen steht und eben nicht Sympathien trägt, das ist eine Leistung für Schauspieler und ich bin Alexander und Sascha sehr, sehr dankbar, dass sie sich dieser Herausforderung gestellt haben und eben der Versuchung widerstanden sind, sich die Momente zu suchen, die ihnen Sympathien zugetragen hätten.
    Das Verbrecher-Duo Rösner (Sascha Alexander Geršak) und Degowski (Alexander Scheer, li.) bringt in Bremen einen Bus und die Fahrgäste in seine Gewalt.
    Das Verbrecher-Duo Rösner (Sascha Alexander Geršak) und Degowski (Alexander Scheer, li.) bringt in Bremen einen Bus und die Fahrgäste in seine Gewalt (ARD Degeto/Ziegler Film/Martin Valentin Menke)
    Luerweg: "Gladbeck" gilt auch ein bisschen als Sündenfall des Journalismus. Danach wurde das Pressegesetz geändert, es wurde noch einmal kurz darauf hingewiesen, dass man bitteschön nicht zu Tätern ins Auto steigt, wie Udo Röbel damals es getan hat. Haben Sie auch ein bisschen das Gefühl, da ist was in Gang gesetzt worden, was heute aber auch nicht zurückgedreht ist?
    Riedhof: Ich glaube, dass es danach kaum noch die Versuche gab, mit Tätern zu sprechen und direkt Interviews zu führen. Das ist ja nun gerade bizarr grausam, was damals passiert ist. Aber in der momentanen Lage, wo Presse unter einem ökonomischen Megadruck steht, wo die Konkurrenz noch viel größer geworden ist, in einer Zeit, wo jeder Leser dazu aufgefordert wird, mit seinem Handy als Leserreporter unterwegs zu sein, können wir nicht davon sprechen, dass der Voyeurismus der Presse kleiner geworden ist. Wenn Sie betrachten, dass Dieter Degowski jetzt, bei seinem Freigang, von einer Boulevardzeitung bereits wieder abgelichtet wurde, müssen wir uns doch ernsthaft fragen: Was wurde gelernt? Nichts!
    "Ich spüre Ohnmacht und Wut"
    Luerweg: Sie haben in Gladbeck selbst gedreht. Gab es dort noch Leute, die sich daran erinnern konnten? Oder: Ist das da noch sehr präsent?
    Riedhof: Als die Täter abfuhren von der Bank, in unserem Film, standen 400 Gladbecker in der Kurve und haben zugeschaut. Das ist für diese Stadt leider sehr, sehr prägend. Ich habe eine Frau gesehen, die mit ihrem Geh-Wagen durch das Einkaufszentrum in Gladbeck lief, und ich wollte sie sprechen, weil sie damals zugegen war und sich noch genau erinnert hat. Und sie wollte mit mir aber kein Interview führen, weil sie sagte, sie hat Angst davor, dass der Täter, das hätte er ihr damals angedroht, ihr Haus in die Luft sprengt. Ich nehme an, dass das nie passiert ist, aber das zeigt einfach wie sehr dieses Trauma über die Jahrzehnte in den Gemäuern dort steckt und auch in den Seelen der Menschen in Gladbeck.
    Luerweg: Herr Riedhof, Sie haben 2016 "Barschel" verfilmt, es gab Kritik danach. Es hieß, Sie haben doch sehr die Mordthese propagiert, weil das vielleicht auch eine gute Quote gibt. Rechnen Sie mit Kritik an diesem Zweiteiler?
    Degowski (Alexander Scheer) bedroht die Geisel Silke (Zsa Zsa Inci Bürkle) mit geladener Waffe.
    Degowski (Alexander Scheer) bedroht die Geisel Silke (Zsa Zsa Inci Bürkle) mit geladener Waffe (ARD Degeto/Ziegler Film/Martin Valentin Menke)
    Riedhof: Kritik ist immer herzlich willkommen. Wenn ich einen Film drehe, dann mache ich den so, wie mein Empfinden ist, wie ich selber erschüttert bin. Ich bin von "Gladbeck" sehr erschüttert. Ich spüre Ohnmacht und Wut darin. Ich glaube, das Geiseldrama von Gladbeck hat eine innere Notwendigkeit, erzählt zu werden. Und deshalb bin ich sehr, sehr froh, dass wir den Film gemacht haben.
    "Eine sehr starke Herausforderung, sich mit diesen dunklen, anarchischen Prozessen einer Geiselnahme über diese lange Zeit auseinanderzusetzen"
    Luerweg: Warum haben Sie den Eindruck, dass es so wichtig ist, 30 Jahre danach erzählt zu werden, und dann von Ihnen, der Sie ja vermutlich eine ganze Ecke jünger waren damals, als es passiert ist?
    Riedhof: Ich war siebzehn und ich kann mich noch sehr gut erinnern daran, was damals passiert ist, weil das nun live im Fernsehen lief. Ich empfinde diese Notwendigkeit, weil die inneren Räume, diese düstere Sakralität, die "Gladbeck" innewohnt, ist etwas, was wir kollektiv betrachten und miterleben müssen, als gesamtes Land. Weil wir viel drüber geredet haben und wenig verarbeitet haben.
    Luerweg: Und wie empfinden Sie das jetzt, wenn Sie das jetzt noch einmal sehen? Ich meine, Sie sind ja noch viel dichter dran. Dieses, dass in der Tagesschau berichtet wird, dass die Polizei permanent die Möglichkeit gehabt hätte, zuzugreifen. Es lässt einen ohnmächtig, wütend, wie lässt es Sie zurück?
    Riedhof: Ich habe während des Drehs all diese Gefühle von Anarchie, von Chaos, von Wut, von Angst sehr genau gespürt. Man hält sich 60 Tage in diesen Angsträumen auf, dadurch lebt man als Filmemacher "Gladbeck" sehr eigen, weil da ist auch niemand, der einem hilft. In diesem Falle war es ganz wichtig, "Gladbeck" zu überleben als Filmemacher, innerlich zu überleben, weil es eine sehr, sehr starke Herausforderung ist, sich mit diesen dunklen, anarchischen Prozessen einer Geiselnahme über diese lange Zeit auseinanderzusetzen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Der Zweiteiler "Gladbeck" ist am 7. und 8. März 2018 um 20:15 Uhr in der ARD zu sehen.