Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Twitters Problem "ist die reine Abhängigkeit von Online-Werbung"

Mehr als 200 Millionen Nutzer hat Twitter, schreibt aber trotzdem rote Zahlen. Stephan Dörner vom "Wall Street Journal" glaubt, dass der Nachrichtendienst sein Geschäftsmodell deshalb weiterentwickeln müsse.

Stephan Dörner im Gespräch mit Sina Fröhndrich | 04.10.2013
    Sina Fröhndrich: 140 Zeichen, das ist das Markenzeichen von Twitter. Der Kurznachrichtendienst hat mehr als 200 Millionen Nutzer weltweit, die sich über Twitter austauschen, Nachrichten schreiben, diskutieren, und wohl noch in diesem Jahr geht Twitter an die Börse. Jetzt hat das Unternehmen dafür seine Zahlen offengelegt, und die zeigen viele Nutzer, aber finanziell auch Verluste, und die Einnahmen werden vor allem mit Werbung gemacht. Über dieses Geschäftsmodell habe ich mit Stephan Dörner vom "Wall Street Journal" gesprochen. Zunächst noch mal an ihn die Frage: Wie funktioniert Twitter eigentlich?

    Stephan Dörner: Das sieht auf den ersten Blick für viele wie ein großes Geplapper aus, aber das Geheimnis ist eigentlich die Filterung von Nachrichten. Jeder angemeldete Nutzer kann eben selber entscheiden, wem er folgt auf Twitter und wem nicht, und es ist auch nicht dieses Prinzip Gegenseitigkeit wie bei Facebook in den Freundschaften, sondern ich kann durchaus jemandem folgen und der folgt mir aber dann nicht, also meinen Veröffentlichungen nicht. So kann man sich individuell seinen Nachrichten-Stream zusammenstellen. Und ein ganz großes wichtiges Element von Twitter ist der ReTweet, also das Verbreiten von bereits getwitterten Nachrichten von anderen Nutzern, und so pflanzt sich dann diese Nachricht sehr schnell im Netzwerk fort.

    Fröhndrich: Jetzt will Twitter an die Börse und wir haben heute erste Zahlen bekommen, sehen, das Unternehmen macht Verluste. Lohnt es sich denn, in dem Umfeld überhaupt Twitter-Aktien zu kaufen, von einem Unternehmen, was Verluste macht?

    Dörner: Ich würde nicht sagen, dass aktuelle Verluste jetzt so ausschlaggebend sind. Ein gutes Beispiel wäre jetzt Amazon, die auch schon immer wieder mal Verluste einfahren und trotzdem extrem hoch an der Börse gehandelt werden. Es geht ja da um Zukunftserwartungen und es ist durchaus noch offen, ob Twitter sein Geschäftsmodell in die Richtung entwickeln kann, dass es dieses starke Nutzerwachstum, was es in letzter Zeit verzeichnet hat, tatsächlich dann in Umsätze ummünzen kann. Daran gibt es durchaus Zweifel. Das, was Twitter gut gemacht hat, ist, dass die mobile Nutzung sehr gut funktioniert und dass auch mobile Werbeumsätze generiert werden, etwas, womit Facebook lange Probleme hatte. Die Frage ist, ob Twitter als Umfeld geeignet ist für Werbung. Man weiß zum Beispiel, dass bei Google das sehr gut funktioniert, weil die Leute nach irgendwas suchen, nach einem Produkt zum Beispiel, und dann die passende Werbung dazu angezeigt bekommen. Bei Twitter ist es natürlich so: Die Leute wollen sich informieren, über Nachrichten meistens, oder auch über Prominente, und da wollen sie Werbung wahrscheinlich in den meisten Fällen nicht so gerne sehen und klicken da auch nicht so häufig drauf.

    Fröhndrich: Aber wenn man sich jetzt die Zahlen anguckt und sieht, Twitter macht ja den meisten Gewinn durch Werbung, und das ist ja das wichtigste Standbein für Twitter, muss man sich dann als Nutzer in Zukunft darauf einstellen, dass man deutlich mehr von diesen kleinen Werbeanzeigen, die da immer eingeblendet werden zwischen all den anderen Nachrichten, die man abruft, muss man sich da auf mehr Werbung einstellen?

    Dörner: Das kann schon gut sein, dass da mehr fokussiert wird auf Geschäftsmodelle und damit auch auf Werbung. Bisher werden 85 Prozent der Umsätze mit Werbung erwirtschaftet, der Rest sind vor allen Dingen Synndizierungen. Das heißt, die Inhalte werden Unternehmen weitergereicht, die daraus irgendwelche wertvollen Informationen ziehen. Das wird sicherlich ein Fokus werden und es ist auch schon in der Vergangenheit so gewesen, dass Dick Costolo, der ja seit 2011 der Twitter-Chef ist, sehr stark auf das Geschäftsmodell geachtet hat und dass Werbung auf jeden Fall mehr geworden ist. Also man kann erwarten, dass tatsächlich es ein bisschen nerviger wird für die Nutzer, dass Werbung zunimmt.

    Fröhndrich: Aber ist das dann nicht auch eine Gefahr, dass man Nutzer vielleicht verschreckt? Jetzt haben wir heute gerade bei Facebook gehört, dass sich Leute zum Beispiel wieder abmelden. Würde das dann auch bei Twitter drohen?

    Dörner: Generell ist es so, dass die Nutzerzahlen zuletzt schon stark gewachsen sind, wobei vor allen Dingen in den USA Twitter ein Massenmedium ist. Es ist durchaus denkbar, dass zu viel Werbung Nutzer verschreckt. Bisher hat eigentlich Twitter noch einen Riesenvorteil, nämlich dass einfach sehr, sehr viele Prominente auf der Plattform sind, und die werden jetzt wahrscheinlich auch nicht von heute auf morgen weggehen. Der Nutzen für jeden, der an dem Netzwerk teilnimmt, ist umso größer, je mehr andere Mitglieder das Netzwerk hat. Das heißt, bis sich da mal eine Alternative aufgebaut hat, das ist ziemlich schwierig. Es gibt sowohl Leute wie Justin Bieber, die twittern, Ashton Kutcher, als auch US-Politiker oder auch einige deutsche Politiker zum Beispiel. Solche Prominenz haben andere Netzwerke natürlich nicht.

    Fröhndrich: Ich würde gern noch mal auf die Verluste gucken. Twitter gibt es jetzt seit mehreren Jahren. Die haben ein Geschäftsmodell, was vielleicht noch ausbaufähig ist. Aber warum verdient das Unternehmen einfach noch nicht Geld? Warum verbrennen die so viel Geld?

    Dörner: Ich würde nicht sagen, dass die so viel Geld verbrennen. Die Umsätze halten sich auch noch insgesamt in Grenzen. Stand 2012 ist ein Verlust unterm Strich von 80 Millionen. Das ist jetzt für ein Unternehmen, was 218 Millionen Nutzer hat, keine riesige Zahl. Das Problem des Geschäftsmodells ist die reine Abhängigkeit von Online-Werbung und die Anzeigenpreise online sind auch weiter gesunken. Die sinken schon seit Jahren und sind auch weiter gesunken. Twitter hat kein richtiges Endkunden-Modell, bei dem Nutzer direkt zahlen. Das heißt, man beschränkt sich komplett auf Werbung. Dieses Problem hat Facebook eigentlich ganz genauso, und dennoch gibt es da diese Hoffnung der Anleger offenbar, dass irgendwann mal dieses Nutzerwachstum auch wirklich in Umsätze umgemünzt werden kann. Es gibt allerdings auch die Möglichkeit – und davon macht ja auch Twitter jetzt zunehmend Gebrauch -, einfach die Informationen, die Twitter hat, zu Geld zu machen. Unter anderem die Börse in New York zum Beispiel wertet Informationen aus, die auf Twitter veröffentlicht werden, und in diese Richtung ist noch einiges weiteres möglich. Diese Daten-Syndication, das ist auch noch ein weiterer Weg für Twitter, Geld zu machen. Möglicherweise kann dadurch auch noch einiges an Geld hereingeholt werden.

    Fröhndrich: …sagt Stephan Dörner vom "Wall Street Journal". Er hat uns das Geschäftsmodell von Twitter eingeschätzt. Das Unternehmen will wohl noch in diesem Jahr an die Börse.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.