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Typ-1-Diabetes
Zukunftsvision: Nie wieder Insulinspritzen

Kann man ein erkranktes Immunsystem "umerziehen"? Eine neue Immuntherapie für Diabetiker des Typs 1 hat zumindest erste vielversprechende Ergebnisse erzielt. Doch um nachzuweisen, dass die täglichen Insulinspritzen wirklich ersetzbar sind, braucht es weitere Studien.

Von Volkart Wildermuth | 10.08.2017
    Eine Hand in Gummihandschuhen hält eine kleine Plastikschale, in der sich eine pinke Flüssigkeit. befindet.
    Spritze adé? Eine Immuntherapie könnte langfristig die Insulininjektion ersetzen, hoffen Forscher. (Symbolfoto) (Drew Hays on Unsplash)
    Ein gutes Essen lässt den Zuckerspiegel im Blut in die Höhe schießen, körperliche Anstrengungen sorgen für einen schnellen Abfall. Diese Schwankungen sind gefährlich vor allem für das Gehirn, das auf Zucker angewiesen ist. Deshalb sondern die Betazellen in der Bauchspeicheldrüse ständig die passende Menge Insulin ab und sorgen so für stabile Blutzuckerwerte. Aus unbekannten Gründen greift das Immunsystem bei manchen Menschen diese so wichtigen Betazellen an. Die Insulinquelle versiegt – ein lebensgefährlicher Zustand. Dank moderner Medikamente lassen sich die Symptome in Schach halten.
    Neuer Therapieansatz: Fehlgeleitete Abwehrzellen umerziehen
    Doch Mark Peakman, der die Zuckerkrankheit am Kings College in London und an der TU Dresden erforscht, will das Problem grundsätzlicher angehen.
    "Wir wissen, das Hauptproblem ist das Immunsystem. Deshalb wollen wir die fehlgeleiteten Abwehrzellen umerziehen, damit sie die Betazellen wieder als gesund erkennen und schützen."
    Das Prinzip ähnelt der Desensibilisierung beim Heuschnupfen. Hier injiziert man kleine Mengen Gras- oder Birkenpollen über mehrere Jahre und zeigt dem Abwehrsystem sozusagen: Diese Pollen sind gar nicht schädlich.
    Die Arbeitsgruppe um Mark Peakman hat zusammen mit anderen Forschern über Jahre ganz genau herausgearbeitet, welche Teile des Insulins bei Typ1 Diabetes wie ein rotes Tuch auf Abwehrzellen wirken. Entscheidend ist offenbar nicht das reife Hormon selbst, sonders eine Vorstufe. Ein kleines Stück davon, ein Peptid, soll jetzt als Medikament genutzt werden.
    Sicherheitsstudie: Immuntherapie ist offenbar sicher
    In einer kleinen Sicherheitsstudie ging es erst einmal um mögliche Nebenwirkungen. Denn theoretisch könnten die Peptidinjektionen das Immunsystem sogar zu noch aggressiver Attacken anstacheln. Mark Peakmann ist deshalb eines wichtig:
    "Wir wollten vor allem zeigen, dass wir hier kein Öl ins Feuer schütten."
    Untersucht wurden Menschen, bei denen der Typ-1-Diabetes erst vor kurzem diagnostiziert worden war. 27 dieser Patienten bekamen regelmäßig Injektionen entweder mit den Insulinpeptiden oder mit einem Placebo. Dabei zeigten sich keinerlei Nebenwirkungen, die Immuntherapie scheint also sicher zu sein. Und es gibt sogar erste Anzeichen, dass sie macht was sie soll.
    Optimistisch stimmende Laborergebnissen
    Im Blut der wirklich behandelten Patienten fanden sich sogenannte regulatorische Zellen, die sehr spezifisch den Angriff gegen die Beta-Zellen abdämpfen. Das ist erst einmal nur ein Laborparameter. Entscheidend ist aber, dass die Blutzuckerspiegel wahrscheinlich tatsächlich stabiler blieben. Es bräuchte aber auf jeden Fall eine weitere Studie, erklärt Mark Peakmann:
    "Unsere Studie war zu klein, um das überzeugend zu belegen. Es ging ja um die Sicherheit. Aber Patienten, die die Peptide bekommen haben, bildeten mehr Insulin, als die in der Placebogruppe. Das ist ein Hinweis, dass sie ihren Blutzuckerspiegel besser kontrollieren können. Aber um das wirklich nachzuweisen, brauchen wir eine größere Studie."
    Zufallsergebnisse sind nach wie vor möglich
    Die Patienten in der Placebogruppe mussten ihre Insulininjektionen nach und nach erhöhen. Die wirklich behandelten Patienten dagegen konnten bei der gewohnten Dosis bleiben. Das ist ein erfreuliches Ergebnis, dass sich aber immer noch als Zufall herausstellen könnte. Generell, so Mark Peakman, müsste so eine Immuntherapie so früh wie möglich begonnen werden, damit die Hormon bildenden Betazellen erst gar nicht zerstört werden.
    "Wir können Menschen mit besonders hohem Risiko für einen Typ-1-Diabetes über auffällige Antikörper entdecken. Bei ihnen hat der Krankheitsprozess schon begonnen, aber es gibt noch keine Symptome. Hier könnte diese Therapie noch effektiver sein."
    Die gefährdeten Menschen würden all vier Wochen Injektionen mit den Insulinpeptiden bekommen, um ihrem Immunsystem zu sagen: Das Hormon ist sicher, du musst die Zellen, die es bilden, nicht zerstören. Den Erfolg der Therapie könnte man dann über die Menge an gefährlichen Antikörpern überwachen. Vielleicht lässt sich das Immunsystem so sogar dauerhaft umerziehen. Aber das ist vorerst noch Zukunftsmusik, erklärt Peakman:
    "Mir ist sehr bewusst, dass es sich hier um eine kleine Studie handelt und ich will die Ergebnisse ganz sicher nicht überinterpretieren. Aber wir bereiten eine größere Studie für 2018 vor."