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Übellaunige Rocklegende zeigt eigene Fotos

Mit der Ausstellung in Frankfurt zeigt Lou Reed Fotos, die vor allem wegen ihm als Fotografen interessant sind. Im Interview - unter Journalisten gilt es als Königsdisziplin, sich einmal im Leben von ihm erniedrigen zu lassen - nennt er das Prinzip seiner Motivwahl: alles, was interessant ist.

Von Klaus Walter | 08.11.2012
    "Hallo Mr. Reed, schön Sie zu treffen." Keine Reaktion. Also, wie anfangen mit dem Gespräch? Ob er unter Sandy zu leiden hatte, dem Sturm, der seine Heimatstadt New York erschüttert hat? Das könnte ein Einstieg sein.
    Lou Reed verzieht das Gesicht, die Augen nur Schlitze hinter der runden Nickelbrille:

    "Oh please, gimme a break."

    Einstieg missglückt. "Haben Sie denn keine Fotos von dem Sturm gemacht?" Pause. Genervter Blick:

    "I did.”"

    Na, immerhin hat er Fotos gemacht. Welche Fotos? Pause. Genervter Blick:

    ""Of Sandy."

    Aha, Fotos von Sandy. Man solle besser nicht gleich über Musik reden, sondern über die Fotos, hatte die Managerin geraten. Ist Lou Reed als Fotograf ein Autor, so wie er als Songwriter Autor ist?

    "I never thought of that.”"

    Gut, darüber hat er nie nachgedacht, aber vielleicht könnte er seine Arbeitsweise als Fotograf beschreiben?""Not really.”"

    Auch das nicht. Und wie findet Lou Reed die Motive für seine Fotos?

    "Anything interesting.”"

    Er fotografiert alles, was interessant ist. Hm, interessant. Was ist der wichtigste Unterschied zwischen Songwriting und Fotografieren?

    ""I haven't a clue."

    Er hat keine Ahnung, na gut. Es gibt also keine Beziehung zwischen Ihrer Arbeit als Musiker und der als Fotograf, Mister Reed?

    "No.”"

    So geht das immer weiter, das Gespräch ist, nun ja, einsilbig. Bis ich Lou Reed von einer Ausstellung zu Ehren von Jack Smith erzähle. Der New Yorker Avantgarde-Filmer Jack Smith, Freund und Inspirator von Andy Warhol wird in Frankfurt mit einem Festival gewürdigt. Smith gilt als Pionier des sogenannten Queer Cinema, er zeigt schon in den frühen Sechziger Jahren freizügige Bilder von Sexualitäten jenseits der Hetero-Norm. Und löst damit Skandale aus. Bei Lou Reed löst der Name Jack Smith einen Euphorieschub aus. Und einen Redeschwall.

    ""And now here he is in a gallery in Frankfurt, amazing.”"

    Erstaunlich findet er das: Jack Smith in einem Museum in Frankfurt. Also bleiben wir bei der queeren Sexualität, schließlich war es Lou Reed, der solche Themen in die Popmusik eingeführt hat, oder, mit den Worten des Kritikers Lester Bangs:

    "Lou Reed ist der Typ, der Heroin, Speed, Homosexualität, Sadomasochismus, Mord, Frauenhass und Selbstmord mit Würde und Poesie und Rock'n'Roll versehen hat."

    Und Lou Reed ist der Typ, der Antony entdeckt hat. Der Sänger mit der Engelsstimme ist ebenfalls Fan von Jack Smith und einer der großen Protagonisten des sexuell andersdenkenden Pop des 21. Jahrhunderts. Also verbinden wir Antony und Fotografie mit einem Zitat:

    Klaus Walter: ""We live together in a photograph of time.”"
    Lou Reed: ""Who said that?”"
    Klaus Walter: ""You know him.”"
    Lou Reed: ""Who?”"

    Bei Antony gerät Lou Reed ins Schwärmen, beinahe hätte er gelächelt.

    ""He's an amazing singer.”"

    Ja, Antony ist ein erstaunlicher Sänger und er singt auch Songs von Lou Reed. Was empfinden sie, wenn Antony ihre Lieder singt, mit dieser femininen Stimme, die so ganz anders ist als ihre? Ist das so eine Art musikalisches Crossdressing, also ein Mann in Frauenkleidern?

    ""What? No!”"

    Oh nein, nicht im Entferntesten. Komisch, Lou Reed, der "Transformer", der Pionier der abweichenden Sexualität, er reagiert pikiert wie manch ein Zwölfjähriger auf die Frage, ob er schwul sei. Haben Sie sich eigentlich nie als queeren Künstler verstanden?

    ""As a queer Artist? You want the interview to end now.”"

    Nein, ich möchte nicht, dass das Interview abgebrochen wird. Dann sollte ich doch nicht mehr solche Fragen stellen, sagt Mr.Reed. Sonst...
    ""Don't ask me questions like that or next time I'll hit you.”"

    ... sonst würde er mich schlagen. Hm, der Mann ist siebzig Jahre alt, gebrechlich, ich könnte sein Sohn sein, bin einen Kopf größer und 40 Pfund schwerer und er droht mir Prügel an.

    ""You either stick to this or fuck yourself."

    Mit diesem "Fuck Yourself” ist das Interview beendet. Es folgen weitere freundliche Worte von beiden Seiten, aber da ist das Aufnahmegerät schon ausgeschaltet.

    Ausstellungsinfos:
    Die Ausstellung "Rimes - Rhymes" reist weiter:
    + Stuttgart: 6.-7.11.
    + Basel: 8. -10.11.
    + Paris: 12.11.
    + und später Madrid.