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Über das Daddeln Leser gewinnen

Apps, Anwendungsprogramme für Smartphones, gibt es in allen Varianten. Nun sind auch die ersten für Kinder auf dem Markt, die Bücher digital vermitteln. Verlage hoffen, über diesen Bücher-Apps neue Leser zu gewinnen.

Von Karin Hahn | 25.06.2011
    Digitale Bücher erzählen sich selbst, wenn der elektronische Lesestoff interaktiv auf dem iPhone oder Tablet-Computer zum Leben erweckt wird.

    Schnell ist der Zugang zu Apps, denn keine Tastatur steht zwischen Kind und Spaß. Mit einem Wischen über den Touchscreen oder einer gezielten Fingerbewegung klappen sich wie bei einem Buch die Seiten auf, zum Beispiel vom App "Quietsch".

    "Anton schlich sich hinüber zum Schlafzimmer und öffnete vorsichtig die Tür."

    Eine Erzählerstimme trägt, wenn man möchte, den eingeblendeten Text vor, bei bestimmten Bücher-Apps auch in verschiedenen Sprachen.

    "Anton tiptoed over the bedroom and quietly open the door...."

    Während oder nach dem Lesen und Schauen kann schon mal getestet werden, welche Effekte Quietschen, Wecker, Wasserhahn, Türquietschen, Gelber Vogel, Klo-Geräusche oder bewegliche Elemente, die man anklicken oder über den Bildschirm schieben kann, mitspielen.

    Manch großer Verlage macht es sich leicht und bereitet seine Bilderbuch-Adaptionen oder Klassiker multimedial mit wenig Vertrauen in die Entdeckerlust der Kinder auf. Katharina Meinel dagegen, sie ist Gründerin der Ridili GmbH, veröffentlicht genau auf das Medium zugeschnittene Bildergeschichten. Durch die Entwicklung des E-Publishing verwirklichte sich für sie der Traum vom eigenen Verlag.

    "Mit dem iPhone kam plötzlich zum ersten Mal die Möglichkeit wirklich mit dem Text zu interagieren, per Touch einzugreifen, ihn anders zu präsentieren, mit besseren Umblätterfunktionen. Und da haben wir gesagt, hier beginnt was Neues. Hier könnte eine Weiterentwicklung des Buches stattfinden, was nicht heißt, dass wir irgendwie auf der Rechnung gehabt hätten, das Buch oder gar das Kinderbuch abzuschaffen, überhaupt nicht. Wir machen etwas aus dem Bilderbuch und geben die Möglichkeiten dieses neuen Touchscreenmediums an das Bilderbuch weiter, um es weiterzuentwickeln, für die nächste Generation noch mit zusätzlichen Funktionen aufzuladen. "

    Ihre Apps nennt Katharina Meinel kurz und frech Ridis und das hat irgendwie mit Lesen zu tun, aber nicht nur.

    "Wir lesen ja kein Bilderbuch, sondern das Bilderbuch ist kein Buch in dem Sinne mehr, es ist eine Kindergeschichte, die vorgelesen wird und wo man dann anfängt zu touchen, es haptisch zu erkunden, haptisch etwas auszulösen, Effekte auszulösen - also leseln wir, rideln wir, weil wir was Lustiges mit Sprache und Lesen machen. "

    Alle Ridis umkreisen wirklichkeitsnah, mal mit mal ohne fantastischer Ebene, konsequent die Erlebniswelt der Kinder zwischen vier und neun Jahren. Durch die sorgfältige Ausgewogenheit von Bild, Text und Effekten bleibt neben dem Spaß an den Geschichten immer noch genug Spielraum für Reflexionen. Zum Sprachwitz, zum Beispiel in der Geschichte "Die Nudelprinzessin" gesellt sich auf der bildnerischen Ebene bei den Ridis immer auch die szenische Komik. Da trägt der kleine Vogel Ballerinas, der Ketchup für die Nudeln kann lustvoll über den gesamten Bildschirm gekleckert werden und über eine Eisenbahnbrücke rauscht nicht nur ein ICE, sondern auch eine Huschebahn aus der Spielzeugkiste. Die Geräusche und spielerischen Einfälle jedoch dienen nicht einfach nur der Effekthascherei. Wie alle multimedialen Elemente gleichberechtigt einander zuarbeiten, erläutert Katharina Meinel anhand des neuesten Ridis "Quietsch".

    "Als Anton an diesem Morgen aufwachte, hielt er einen Vogel in der Hand. "Toll", juchzte Anton, "den nehme ich mit, um Mama und Papa zu wecken." Man sieht auf diesem Bild einen Jungen, der in seinem Bett liegt, offenbar gerade aufgewacht ist und von einem Mobile, was über seinem Bett hängt einen kleinen Vogel in der Hand hat, der offensichtlich in der Nacht in sein Bett geplumpst ist. Deswegen ergibt sich die Animation auf diesem Bild aus der Szene, die hier dargestellt ist. Der Junge, wenn man ihn antippt, schlägt die Augen auf, der kleine Vogel, den er in der Hand hat quietscht, wenn man ihn antoucht, dann hat er in seinem Bett noch einen kleinen Teddybär, der macht ein Brummgeräusch."

    Farbkräftig, in klaren Bildkompositionen und vor allem geradlinig dem kindlichen Denken folgend entwickelt sich nun die Alltagsgeschichte rund ums leidige Leisesein und dem heftigen Bedürfnis Krach machen zu müssen. Ridi-Texte werden in englischer, spanischer, russischer und französischer Sprache gelesen. Das ist für die Produktion zwar sehr aufwendig, erweitert aber den Kreis der Nutzer und eröffnet für jüngere Kinder erste Kontakte zu anderen Sprachen.

    Ein verantwortungsvoller Umgang mit den modernen Medien ist mittlerweile zum zentralen Erziehungsthema geworden und gegen Vorbehalte findet die engagierte App-Entwicklerin gute Argumente.

    "Dieses Gerät bietet gerade für Kinder unglaubliche Möglichkeiten, Lernerfahrungen zu verstärken, auf andere Weise Lerninhalten zu begegnen. Sie können damit rechnen lernen, schreiben lernen, Geschichten hören. Wenn sie früh diese Erfahrungen machen verschiedene Möglichkeiten zu haben, werden sie nicht wenn sie mit zwölf oder 13 erstmalig einen eigenen Computer haben, nur noch mit Ballerspielen sich beschäftigen, sondern sie wachsen ganz natürlich hinein."

    An den Nachwuchs hat auch der S. Fischer Verlag gedacht, als er sich für Jaroslaw Kaschtalinskis App-Ideen zu den Grimmschen Märchen begeisterte. Wie bei einem Buchprojekt betreut der Verlag redaktionell das Ergebnis des gestalterischen Prozesses sowie die Programmierung. Tummeln sich auf dem Markt mehr als genug Märchen-Apps, so wartet die Fischer-App "Froschkönig" mit überraschenden Sachinformationen auf. Alles beginnt wie immer:

    "In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch ......"

    Bei diesem App werden alle interaktiven Elemente über virtuelle Drehscheiben gesteuert. Wie in einem Puppenspiel bewegt der Nutzer die Figuren und sorgt dafür, dass die Prinzessin die goldene Kugel ins Wasser wirft, er knallt dem hilflosen Frosch die Tür vor der Nase zu und schleudert das arme Tier gnadenlos an die Wand.

    Wirken die Zeichnungen allzu lieblich und gefällig, so gleicht sich alles wieder durch den gelungenen Bildwitz und eine kleine graue Maus aus, die das Kind suchen und antippen sollte. Jetzt öffnen sich neue Seiten mit sprachlich einfachen, aber wissenswerten Infos über das Leben der Tiere am Brunnen, die Entwicklung eines Frosches oder die Funktion eines Herzens. Da der Sachtext allein erschlossen werden muss, ergibt sich hier die Gelegenheit mit einem Erwachsenen auf Entdeckungsreise zu gehen.

    Als schönen Werbeeffekt für sein Sachbuch "Auf der Ritterburg" sieht Verlagsleiter Edmund Jacoby vom Verlagshaus Jacoby & Stuart die mehrsprachige App-Veröffentlichung. Der individuelle Stil in Wort und Bild bleibt erhalten und ein Zugewinn ist auch durch die Lizenzvergabe möglich, denn nicht der Verlag, sondern die Offenbacher Firma zuuka hat das Sachbuch von Jacoby & Stuart geprüft und für gut befunden. Bei der Auswahl der künftigen Neuerscheinungen sieht Edmund Jacoby jedoch keinen Grund, auf die App-Tauglichkeit seiner Bücher zu achten.

    "Ein App ist eine schöne Sache, ein Zusatznutzen, aber ich glaube, es wird noch Bilderbücher geben, wenn es schon längst keine Apps oder ganz andere Sachen geben wird. Ein Bilderbuch hat gegenüber einem App dann doch einen großen Vorteil, nämlich dass ein Kind, dass vielleicht mit der Anleitung eines Erwachsenen sich da durchliest, dass es sich selber seine Geschichte im Kopf dabei auch verfertigt und das kann das App nicht. Das App ist eine wunderbare Spielerei, weil man da und dort was an Nebeneffekten erzielen kann. Die Geschichte bleibt ansonsten auch dieselbe, aber es lenkt auch ab, es lenkt auch ab die Geschichte im eigenen Kopf nachzuvollziehen und vielleicht dabei sogar selbst denkend zu erweitern."

    Eltern wissen, dass die on- und offline-Zeiten an elektronischen Geräten hart verhandelt werden müssen. Für das Lesen als reines Freizeitvergnügen bleibt immer weniger Zeit. Aber es gibt noch Hoffnung:

    "Dass Kinder durch Apps zum Lesen verleitet werden können, bei Jungs gerade, halte ich durchaus für möglich. Dieses App appelliert eben an den Spieltrieb und sie sind es eh gewöhnt zu daddeln und das macht Spaß und wenn dann die Geschichte auch so ist, dass sie die Kinder reinzieht, dann haben wir vielleicht einen Leser gewonnen."

    Fühlen sich die Verlage angeblich nicht im Zugzwang, so fällt doch das rege Interesse an der neuen Spielart der digitalen Zukunft auf. Noch sind alle gespannt auf die Resonanz der Zielgruppe. Ob das animierte Buch als tragfähiges Geschäftsmodell Erfolg haben wird, das weiß heute niemand.