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Über das Irrationale in der Kunst

Wenn es weiterer untrüglicher Beleges bedurft hätte, dass die Subjektivität tot ist, dann finden sie sich in einer schlichten Ausstellung in Dresden. Die Schau "New Ghost Entertainment" und ein von Madeleine Bernstorff kuratiertes Filmprogramm beschäftigen sich mit Gespenstern und befragen deren Rolle als zeitgemäßes Medium, um sich kritisch mit der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit auseinanderzusetzen

Von Carsten Probst |
    Geisterhaft souffliert uns die multimediale Gegenwart immer neue Begriffe. Plötzlich und garantiert körperlos tauchen sie auf, und selbst bei größter geistiger Anstrengung wird es schwer, ihnen zu entgehen, es sei denn, sie werden von neuen Geisterbegriffen abgelöst. Googlen ist ein solcher Begriff, Inbegriff für all das, was man nicht mehr groß erklären kann, sondern einfach tut anstelle von im Lexikon oder Branchenbuch oder wo auch immer nachschlagen. Stattdessen googlet man.

    Skypen ist ein anderer Begriff. Beim Skypen wiederum passiert es noch öfter, was man auch schon beim herkömmlichen Telefonieren erlebt: Plötzlich mischen sich undefinierbare Geräusche in die Leitung, gegen die das klassische Pfeifen im guten alten Funkgerät noch harmlos war. Stimmen, wahre Geisterstimmen erheben sich, die manchmal ungerührt vor sich hinplappern, -röcheln, -lachen, -schnauben, ganz gleich, was man sagt. Manchmal kann man sogar mit ihnen sprechen, nicht selten der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. So trifft in einer der Ausstellungsinstallationen im Kunsthaus Dresden eine Reporterin beim Skypen zufällig auf die Geisterstimme einer Scream Queen. Sie wissen schon, das sind diese Schauspielerinnen, deren Hauptaufgabe es ist, im richtigen Moment auf die richtige Weise in einem Film zu schreien, am besten natürlich in Geister- oder Horrorfilmen. Die Königin unter den Scream Queens ist - hätten Sie es gewusst? - Fay Wray, berühmt geworden in der Schreirolle in "King Kong" 1933.

    Was aber hat die Stimme von Fay Wray plötzlich bei Skype zu suchen, und was im Kunsthaus Dresden? Ganz einfach: Geister sind nicht nur körper-, sondern bekanntlich auch zeitlos. Wo die Untoten regieren, wird das menschliche Subjekt sprachlos, so lautet die Botschaft der beiden Künstlerinnen mit dem zu diesem Anlass passenden Klarnamen Frauke Gust und Michaela Wünsch. Glauben wir heute etwa noch an Untote? Sie sind überall, in den ständigen Wiederholungsschleifen der Medienbilder, in den Ikonen der U- und E-Kultur, das gesamte kollektive Bildgedächtnis, heute mehr denn je von immerselben Bildern genährt, lässt sich als ein Hort der Medienzombies und körperlosen Idole verstehen, einer virtuellen Welt, in der man so komfortabel seine eigene Identität hin- und herkopieren kann.

    Wenn es weiterer untrüglicher Beleges bedurft hätte, dass die Subjektivität tot ist, dann finden sie sich in dieser strengen, schlichten und gänzlich unromantischen Dresdner Ausstellung. Wir alle sind längst schon Geister, Nebelschwaden mit Stimme, wollen es ja nur nicht wahrhaben. In dieser Konsequenz stehen etwa auch die "Fair Queens" des Künstlers Dirk Lange, was man mit "Feenköniginnen" übersetzen kann. Auf Langes in scheußlichstem viktorianischen Kitsch gehaltenen Großbilddrucken feiert sich eine ewige Kleinemädchentraumwelt mit phosphoreszierenden Handies, bonbonfarbenen Kleidern, ausgelöschten Gesichtern und einer Bohrinsel als Heldenschloss im Mondenschein im Hintergrund. Archetypen der modischen Masken, die kein Schmerz und kein iPod-freies Feeling mehr durchdringt.

    Aber gerade in der Wiederkehr des Gleichen, des verdrängten Traumas besteht, spätestens seit Freud des Pudels Kern einer jeden Geistererscheinung. Der geistertrunkene Symbolismus des 19. Jahrhunderts war die direkte Begleiterscheinung der europäischen Radikalmodernisierung, die zu einer damals unvorstellbaren Erschütterung konventioneller Lebensverhältnisse führte. Kollektive Traumata hat aber bekanntlich das 20. Jahrhundert zur Genüge produziert. Die Dresdner Schau ist klug genug, es hier bei Andeutungen zu belassen, der einschlägige genius loci muss auch gar nicht eigens bemüht werden, um zu verstehen, dass diese Ausstellung gerade hier am richtigen Ort ist.

    Ein großartiger Kurzfilm von Altmeister Shohei Imamura allerdings sollte nicht unerwähnt bleiben. Darin kehrt ein japanischer Soldat aus dem Zweiten Weltkrieg zurück. Er hat Hiroshima überlebt, sich dadurch aber in kafkaesker Manier in eine Schlange verwandelt, die der Familie nur unerträglich und daher schnell wieder verstoßen wird. Das Unheimliche und das Unerträgliche sind austauschbare Begriffe, und dafür ist es fast gleichgültig, in welcher Zeit wir leben, nur dass Geister heute noch mehr Technik zur Verfügung haben, um sich selbst zu reproduzieren.