Samstag, 27. April 2024

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Über das Wasser

Vor zwei Jahren machte in Deutschland John von Düffel mit seinem Buch "Vom Wasser" Furore. Zur selben Zeit erschien in den Niederlanden eine Erzählung namens "Über das Wasser", von dem damals noch nicht sehr bekannten H.M. van den Brink. Wie bei von Düffel sollte sich dessen Popularität mit der Wasser-Lektüre schlagartig ändern. Nun kommt also eine weitere Geschichte zum nassen Element auf unseren Büchertisch. Dem Langstreckenschwimmer im deutschen Roman steht ein Ruderer auf niederländischer Seite gegenüber. Einen Wettkampf zwischen den beiden wollen wir nicht entfachen. Van den Brink lenkt unser Interesse nämlich noch auf «in anderes "Thema:

Volkmar Mühleis | 31.01.2001
    "Wenn ich gefragt würde, wovon handelt mein Buch, habe ich immer gesagt: Vom Glück. Und ein wichtiges Motiv ist das Rudern. Da kam immer die gleiche Reaktion: Och Gott, och Gott! Vom Glück kann man nicht schreiben und Rudern, das wird keinen interessieren."

    Der Autor - selbst in den fünfziger Jahren geboren - erzählt vom Sommer 1939, da das Verhältnis der Niederlande und Deutschland noch nicht durch den Zweiten Weltkrieg zerrüttet war. Anton und David trainieren im Rudern für die kommende Olympiade in Helsinki, die im Jahr darauf hätte stattfinden sollen. Anton ist eine Wasserratte und nicht gerade redselig. Er kommt aus einer gesichtslosen Neubausiedlung in Amsterdam. Der Sport, die Stille auf dem Fluss, der harte Wettkampf- darin findet er sich wieder. Denkt man von Deutschland aus an die dreißiger Jahre, dann sind Vorstellungen von Männerfreundschaft, Härte und Natur schnell kriegerisch aufgeladen. In den Niederlanden habe man dazu ein anderes Verhältnis. Van den Brink:

    "Ich glaube, wir haben dieses Sentiment nicht so ausgeprägt. Es ist vor allen Dingen eine Geschichte des sich entwickelnden Selbstbewusstseins von Anton, der Hauptfigur. Er lernt durch die Freundschaft, durch den Wettkampf, durch den Sport die Liebe zu sich selbst. Und diese Entdeckung ist ein bisschen der Kern des Buches."

    Im Hintergrund der beiden Jungen steht Doktor Schneiderhahn, ihr deutscher Trainer. Mit Perfektion und Disziplin macht er sie zu einem erfolgreichen Gespann. Seine Vorgehensweise verlangt schließlich das Äußerste von ihnen. Gerade mit diesem Ehrgeiz aber verkörpert er die Trennung von Sport und Faschismus, ganz entgegen der damaligen Praxis in seinem Herkunftsland. Schneiderhahn geht in seinem Sport auf - warum er nicht in Deutschland arbeitet, wird lediglich angedeutet, oppositionelle Bücher liegen in seinem Hotelzimmer. Hans Maarten van den Brink:

    "Ich habe versucht zu arbeiten mit der These in diesem Buch: Alles Glück ist physisch, hat mit dem Leib, ja, Körper zu tun. Und man kann es anfassen; wenn man es nicht anfassen kann, dann gilt es nicht. Also in dieser Hinsicht ist es ein sehr intellektuelles Buch."

    Es geht um die Erinnerung an Sinnlichkeit. Anton sucht - inmitten des Krieges - das geplünderte Bootshaus auf, um der einstigen Gänsehaut nachzuspüren, der Frische des Wassers. Ein melancholischer und nüchterner Erzählton begleitet das Einsetzen des Regens auf dem Fluss, wie sich die Luft verändert, das Körpergefühl, eine Schwere sich legt; Anton rudert mit dem Rücken zu David, er sieht nicht, wohin sie fahren, er spürt nur seine innere Leere und wie sehr er diese Fahrten braucht. Diese Stimmung wachzurufen, in der Sport und Natur ebenso empfindsam wie zäh erfahren werden, darin erreicht "Über das Wasser" bisweilen die Qualität jener literarischen Bestzeit von Alan Sillitoe, seiner Erzählung "Die Einsamkeit des Langstreckenläufers". So exakt und überschaubar van den Brinks Novelle erscheint, so spannungsreich ist sie doch, spinnt man die angelegten Fäden weiter, mitunter bis in die Gegenwart. Das Ressentiment mancher Niederländer gegenüber Deutschen ist offenkundig. Warum erinnert der Amsterdammer Journalist und Schriftsteller heute an die letzten Tage und Wochen, da das Verhältnis der beiden Nachbarn noch unverletzt war? Van den Brink:

    "Das ist eine schwierige Frage. Für mich persönlich ist es ein sehr wichtiges Thema. Meine Mutter stammt aus Deutschland und das Ressentiment hier in Holland ist sehr stark. Ich möchte darüber noch ein Buch schreiben."

    Die Meisterschaft im "kleinen Buch" jedenfalls, hat Hans Maarten van den Brink bewiesen - mit "Über das Wasser".