1955 erscheint der erste Roman des damals 33-jährigen William Gaddis: "Die Fälschung der Welt". 1300 Seiten dick und stark. Zu stark für Kritik und Publikum.
"Als ich mit dem ersten Roman anfing, da dachte ich, ich hätte entdeckt, was niemand weiß, aber jeder eigentlich wissen muss: nämlich, dass wir inmitten lauter falscher Werte leben. Und ich wollte alle davon in Kenntnis setzen. Deshalb geht es in diesem Roman um Fälschungen auf den unterschiedlichsten Ebenen, alle Arten von Fälschung. Und ich hatte gedacht, die Leute wären davon ziemlich ergriffen und würden sagen: Das habe ich nicht gewusst. Aber als es erschien, erschütterte es die Welt überhaupt nicht."
Zwanzig Jahre lang hält sich Gaddis mit Jobs über Wasser. Dann folgt 1975 sein zweiter Roman: "J.R." - eine tausendseitige Wirtschaftskrimifarce, die sich als Gebrauchsanleitung für das ökonomische Desaster des Jahres 2008 liest:
"Die Hauptperson ist ein elfjähriger Junge, der keineswegs ein Genie ist. Er möchte nur Erfolg haben und guckt den anderen zu. Er telefoniert sich ein ganzes Imperium zusammen, aber dann bricht die Firma zusammen. Aber er geht daraus als Sieger hervor. Und als er dann in der Zeitung liest, was für einen tollen Coup er da gelandet hat, hält er sich wirklich für ein Finanzgenie und baut sich allmählich eine Kartenhauswelt auf. Das ist wie eine Parodie auf das, was wir täglich in den Zeitungen lesen."
Ein Roman über den Aberwitz der Finanzwelt, in der Kalkül und Wahn sich wechselseitig anfeuern. Gaddis erhält für "J. R." den National Book Award, den bedeutendsten amerikanischen Literaturpreis.
"Das Buch wurde 1975 veröffentlicht und dann in den 80er Jahren von der Reagan-Regierung in die Tat umgesetzt. Das nannte man 'Deregulierung' und hieß: 'Nimm, was Du kriegen kannst, dreh dem Geist des geschriebenen Gesetzes überall das Wort im Mund herum und umgeh' es.'"
Das Wort im Munde - der Roman besteht nur aus Dialogen. Aber aus den Redeströmen entstehen Ordnungen und Systeme. Wirtschaftsfachleute versichern: Genauer, das heißt böser, geht es nicht.
1994 erscheint sein vorletztes Buch "Letzte Instanz".
"Es geht um das Recht - und wie wir es missbrauchen"
Jeder klagt gegen jeden. Ein Hund verirrt sich in einem öffentlichen Kunstwerk und muss rausgesägt werden. Der Hundehalter verklagt die Gemeinde, die Gemeinde den Künstler und der Künstler den Hundehalter. Wieder nur in Dialogen komponiert Gaddis den Sound eines sich hochschraubenden Wahns. Auch für diesen Roman erhält Gaddis den National Book Award. Allmählich wurde klar, dass Gaddis einer der bedeutendsten amerikanischen Autoren des 20. Jahrhunderts war.
"Es ist weitgehend eine feindschaftliche Gesellschaft. Der Markt bestimmt den Wert. Offensichtlich ist es ein Kampf Mann gegen Mann. Ob das ein fairer Wettkampf ist oder ein meuchelmörderischer oder illegaler Kampf, egal - immer handeln wir in einer feindlichen Welt. Und darum dreht es sich in Amerika."
Gaddis gehört zu den genauesten Beobachtern des ganz normalen Bürgerkriegs in unseren Gesellschaften. Aber er verfasst keine Sozialepen, sondern Grotesken.
Seinen allerletzten Text schreibt er für den Deutschlandfunk und vollendet ihn erst kurz vor seinem Tod. Er heißt "Torschlusspanik" und ist ein Hörspiel. Ein alter Mann palavert vor sich hin: Der Künstler am Ende seines Lebens - krank und hinfällig, dem Tode nahe und ans Bett gefesselt, umgeben von Büchern und Dokumenten.
Wie William Gaddis hadert er mit den Vorgaben der Kunst, geht ins Gericht mit den Mystifikationen des Geistes und dem Kult der Empfindsamkeit. Und sucht ihn so doch: den Künstler - und durchlebt immer noch die ganze Palette seiner klassischen Leiden.
William Gaddis stirbt am 16. Dezember 1998 kurz vor seinem 76. Geburtstag. Wie sein Sohn Matthew berichtet: heiter und gefasst.
"Als ich mit dem ersten Roman anfing, da dachte ich, ich hätte entdeckt, was niemand weiß, aber jeder eigentlich wissen muss: nämlich, dass wir inmitten lauter falscher Werte leben. Und ich wollte alle davon in Kenntnis setzen. Deshalb geht es in diesem Roman um Fälschungen auf den unterschiedlichsten Ebenen, alle Arten von Fälschung. Und ich hatte gedacht, die Leute wären davon ziemlich ergriffen und würden sagen: Das habe ich nicht gewusst. Aber als es erschien, erschütterte es die Welt überhaupt nicht."
Zwanzig Jahre lang hält sich Gaddis mit Jobs über Wasser. Dann folgt 1975 sein zweiter Roman: "J.R." - eine tausendseitige Wirtschaftskrimifarce, die sich als Gebrauchsanleitung für das ökonomische Desaster des Jahres 2008 liest:
"Die Hauptperson ist ein elfjähriger Junge, der keineswegs ein Genie ist. Er möchte nur Erfolg haben und guckt den anderen zu. Er telefoniert sich ein ganzes Imperium zusammen, aber dann bricht die Firma zusammen. Aber er geht daraus als Sieger hervor. Und als er dann in der Zeitung liest, was für einen tollen Coup er da gelandet hat, hält er sich wirklich für ein Finanzgenie und baut sich allmählich eine Kartenhauswelt auf. Das ist wie eine Parodie auf das, was wir täglich in den Zeitungen lesen."
Ein Roman über den Aberwitz der Finanzwelt, in der Kalkül und Wahn sich wechselseitig anfeuern. Gaddis erhält für "J. R." den National Book Award, den bedeutendsten amerikanischen Literaturpreis.
"Das Buch wurde 1975 veröffentlicht und dann in den 80er Jahren von der Reagan-Regierung in die Tat umgesetzt. Das nannte man 'Deregulierung' und hieß: 'Nimm, was Du kriegen kannst, dreh dem Geist des geschriebenen Gesetzes überall das Wort im Mund herum und umgeh' es.'"
Das Wort im Munde - der Roman besteht nur aus Dialogen. Aber aus den Redeströmen entstehen Ordnungen und Systeme. Wirtschaftsfachleute versichern: Genauer, das heißt böser, geht es nicht.
1994 erscheint sein vorletztes Buch "Letzte Instanz".
"Es geht um das Recht - und wie wir es missbrauchen"
Jeder klagt gegen jeden. Ein Hund verirrt sich in einem öffentlichen Kunstwerk und muss rausgesägt werden. Der Hundehalter verklagt die Gemeinde, die Gemeinde den Künstler und der Künstler den Hundehalter. Wieder nur in Dialogen komponiert Gaddis den Sound eines sich hochschraubenden Wahns. Auch für diesen Roman erhält Gaddis den National Book Award. Allmählich wurde klar, dass Gaddis einer der bedeutendsten amerikanischen Autoren des 20. Jahrhunderts war.
"Es ist weitgehend eine feindschaftliche Gesellschaft. Der Markt bestimmt den Wert. Offensichtlich ist es ein Kampf Mann gegen Mann. Ob das ein fairer Wettkampf ist oder ein meuchelmörderischer oder illegaler Kampf, egal - immer handeln wir in einer feindlichen Welt. Und darum dreht es sich in Amerika."
Gaddis gehört zu den genauesten Beobachtern des ganz normalen Bürgerkriegs in unseren Gesellschaften. Aber er verfasst keine Sozialepen, sondern Grotesken.
Seinen allerletzten Text schreibt er für den Deutschlandfunk und vollendet ihn erst kurz vor seinem Tod. Er heißt "Torschlusspanik" und ist ein Hörspiel. Ein alter Mann palavert vor sich hin: Der Künstler am Ende seines Lebens - krank und hinfällig, dem Tode nahe und ans Bett gefesselt, umgeben von Büchern und Dokumenten.
Wie William Gaddis hadert er mit den Vorgaben der Kunst, geht ins Gericht mit den Mystifikationen des Geistes und dem Kult der Empfindsamkeit. Und sucht ihn so doch: den Künstler - und durchlebt immer noch die ganze Palette seiner klassischen Leiden.
William Gaddis stirbt am 16. Dezember 1998 kurz vor seinem 76. Geburtstag. Wie sein Sohn Matthew berichtet: heiter und gefasst.