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Über den Kugelfisch zum Rinderwahnsinn

Biologie. – Zwar haben inzwischen andere Meldungen die Rinderseuche BSE und die damit in Verbindung gebrachte neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung aus den Schlageilen verdrängt, doch für die Forschung ist der Fall damit keineswegs erledigt. So ist bis heute weitgehend unklar, welche biologische Funktion die so genannten Prion-Proteine erfüllen, die in einer veränderten Variante als Auslöser der Krankheiten gelten. Mehr Licht in diese Frage will jetzt eine Konstanzer Biologin werfen, die dazu auf ungewöhnliche Probanden setzt: auf japanische Kugelfische

    Von Thomas Wagner

    Mit dem japanischen Kugelfisch ist es so eine Sache: Feinschmecker sehen in ihm eine Delikatesse, falsch zubereitet kann er jedoch ein tödliches Gift in sich bergen. Für Professor Claudia Stürmer, Biologin an der Universität Konstanz, ist das einerlei: Sie erhofft sich ausgerechnet vom japanischen Kugelfisch Aufschlüsse über die Entstehung der als Rinderwahnsinn bekannten Seuche BSE. Der Weg dorthin führt über die Erforschung der Funktion des "Prion-Proteins": Jedes Eiweiß besteht langen Aminosäure-Ketten. Bei falscher Faltung dieser Kette verursacht das Prion den Tod umliegender Zellen - und nicht nur das: Ein falsch gefaltetes Prion kann zu einer weiteren falschen Faltung des benachbarten Prion-Proteins führen und sofort kommt es zu einem "Domino"-Effekt", der den tausendfachen Tod der umliegenden Nervenzellen zur Folge hat. Auch im Kugelfisch haben die Konstanzer Forscher nun Prion-Proteine ausgemacht. Die Prion-Proteine sitzen im Gehirn außen auf der Zellwand- und zwar immer gegenüber weiterer Proteine auf der anderen Seite der Zellwand im Zellinneren, den so genannten Reggies. Prion-Proteine und Reggies gehören damit zusammen wie der Stecker und die Steckdose, so die Konstanzer Biologin Professor Claudia Stürmer:

    Ja vermutlich ist es so, dass das zelluläre Prion-Protein, also das, was auf der Oberfläche sitzt, mit den Reggies im Inneren kommuniziert und damit auch Signale in die Zelle geben kann. Und somit könnten vielleicht wir der eigentlichen Funktion eines Prion-Proteins näherkommen.

    Immerhin wissen die Konstanzer Biologen bereits einiges über das Zusammenspiel zwischen Prion-Proteinen und Reggies. Im Rahmen ihrer Fischexperimente gelang es ihnen, die Reggies im Fischei unbrauchbar zu machen.

    Und dann können wir feststellen, dass sich Fische entwickeln, die Defekte haben im Gehirn. Diese haben verkleinerte Gehirne oder aber überhaupt große Defekte im Nervensystem. Und dieses Modell, dass man eben in kleinen Fischen sehr gut analysieren kann, möchten wir jetzt direkt auf das Prion-Protein anwenden, und dann herauszubekommen: Was macht das Prion-Protein in einem ganz normalen Lebewesen in der Entwicklung ?

    Das Experiment zeigt: Aller Wahrscheinlichkeit nach beeinflussen die Reggies in ihrem Zusammenspiel mit den Prion-Proteinen Wachstum und Ausdifferenzierung von Nervenzellen. Weitere Versuche, bei denen dann Prion-Proteine unbrauchbar gemacht werden, sollen diese Hypothese stärken. Dann sind die Biologen bei der Frage nach der Funktion der Prion-Proteine ein gutes Stück weiter. Dass die Konstanzer Forscher dieser Frage nicht am Rind, sondern am Fisch nachgehen, hängt mit dem wesentlich kürzeren Entwicklungszyklus eines Fisches im Vergleich zu einem Säugetier zusammen. Claudia Stürmer:

    Fische als sogenannte niedrige Wirbeltiere entwickeln sich rapide schnell. Und man kann sehr schnell Entwicklungsschritte sehr genau analysieren, unterm Mikroskop direkt zuschauen, weil diese Fischchen nämlich durchsichtig sind und man sich damit solche Entwicklungsschritte richtig visualisieren, veranschaulichen kann und somit auch sofort Defekte erkennen kann.

    Bleibt die bange Frage: Wenn tatsächlich Prion-Proteine im Gehirn dieser Fische vorkommen, können diese dann möglicherweise auch, wie beim Rind, in falscher Faltung vorliegen und damit erkrankte Proteine übertragen ? Auf den ersten Blick erscheint das unwahrscheinlich: Denn die Prion-Proteine bei Fischen und bei Rindern bestehen aus unterschiedlichen Aminosäuren-Sequenzen. Aber, so Claudia Stürmer:

    Das Erstaunliche ist, dass die Strukturen, wenn man sie versucht, zu modellieren, was man ja auch kann heutzutage mit entsprechenden Programmen, dass sich die Strukturen in einer bestimmten Domäne dieses Prion-Proteins sehr, sehr ähnlich sehen .Und das ist auch die Domäne, die sich unter diesen fatalen Bedingungen falsch faltet.

    Damit ist eine Infizierung von Prion-Proteinen von Säugetiere durch falsch gefaltete Fisch-Prion-Proteine und umgekehrt zwar noch nicht beweisen, aber eben auch nicht auszuschließen.