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Über den Mythos einer Schlacht

2000 Jahre nach dem Gemetzel zwischen dem römischen Heer und den Truppen des Cheruskers Arminius suchen die Hobbyhistoriker noch immer nach dem Schauplatz der Varusschlacht. Die Gelehrten hingegen widmen sich einer ganz anderen Frage: Weshalb interessieren wir uns eigentlich so sehr für dieses Ereignis? Für das Machtgefüge zwischen dem Römischen Reich und den germanischen Stämmen spielte es nämlich keine wirkliche Rolle.

Von Willi Reiter | 16.02.2009
    Was ist im Jahre 9 nach Christus im Teutoburger Wald eigentlich geschehen? Was können wir über diese Schlacht wissen? Wer war der historische Arminius? Führte er, der später von Luther den Namen Hermann erhielt, wirklich einen germanischen Freiheitskrieg? Und schließlich: Wie konnte der Cheruskerfürst zum Gründungsmythos der Deutschen und damit der Deutschen Nation werden? 2000 Jahre nach der Schlacht zwischen Römern und Germanen bemühen Autoren sich gleich reihenweise um die Beantwortung dieser Fragen.

    So etwa der Münchner Journalist Christian Pantle. Ziel seines Buch mit dem Titel "Der germanische Freiheitskrieg" ist es

    … das zusammenzuführen, was üblicherweise getrennt dargestellt wird: Die Erkenntnisse aus der Archäologie einerseits und aus den schriftlichen Quellen andererseits – um beides in einem Handlungsstrang zu verweben.

    Ein großer Vorsatz, der jedoch von etlichen Historikern längst umgesetzt ist.

    Die Zielsetzung des Historikers Tillmann Bendikowski ist dagegen origineller. Er will herausfinden, ob Deutschland wirklich mit der Varusschlacht entstand und …

    "… wie weit diese Vorstellung mit den historischen Ereignissen sowie späteren Entwicklungen der deutschen Nation tatsächlich vereinbar ist."

    So verheerend die römische Niederlage damals auch war und so grandios der Sieg der vereinigten Stämme unter Arminius: Die Taten des Cheruskers geraten schon bald nach dem Jahr 9 in Vergessenheit. Bis rund 1500 Jahre später der Humanist Ulrich von Hutten in Rom die ersten Bücher der Annalen des Tacitus entdeckt. Darin schreibt der Römer, dass der heldenhafte Arminius die Varusarmee besiegt habe und damit der Befreier Germaniens sei. Nun erst beginnt der wahre Siegeszug des Helden, in dessen Verlauf er mit unterschiedlichen Charaktereigenschaften und politischen Stilblüten geschmückt wird.

    Obwohl Pantle und Bendikowski in ihren Büchern um die gleiche Thematik kreisen, sind sie von unterschiedlicher Qualität. Pantles "Varusschlacht" ist der Belletristik zu zuordnen. Er hat viel Material zusammengetragen, um seine These vom germanischen Freiheitskrieg zu untermauern. Seine Darstellung könnte eine Drehbuchvorlage für einen Blockbuster sein – dramaturgisch gut erzählt, verknüpft mit historischem Sachwissen. Sein Schreibstil ist flott, mit einer Reportage zu vergleichen. Nach Pantles Ansicht kämpften die Germanen also um ihre Befreiung vom römischen Joch. Angeführt von Arminius, der zuvor eine beachtliche Karriere in der römischen Armee absolvierte hatte. Mehr noch: Pantle zieht eine direkte Verbindungslinie von den alten Germanen zu den heutigen Deutschen, etwa, wenn er schreibt:

    "Unsere Vorfahren vor 2000 Jahren waren diejenigen, die als Menschen zweiter Klasse galten, auf die von oben herabgesehen wurde. Möglicherweise hat sich Arminius innerlich von der römischen Zivilisation abgewandt, als er diese Grundhaltung immer wieder zu spüren bekam. Persönliche Kränkungen und Solidarität mit seinen diskriminierten Stammesgenossen haben dabei vermutlich zusammengewirkt und sich im Effekt gegenseitig verstärkt."

    Damit erliegt Pantle der Versuchung, die Schlacht im Teutoburger Wald, für die eine Gruppe mitteleuropäischer Stämme eine Koalition geschmiedet hatte, als quasi deutschen Freiheitskrieg zu feiern. Und das ist kein einmaliger Ausrutscher in seinem Buch. Formulierungen wie

    "Unsere germanischen Vorfahren lebten am selben Ort wie wir und sie waren uns wohl auch ähnlicher als lange gedacht."

    ziehen sich durch das gesamte Werk des Münchner Journalisten.
    Über weite Strecken seines Buches wirft Pantle Germanen und Deutsche also in einen Topf, um erst auf den letzten Seiten durchblicken zu lassen, dass er es besser weiß. Da heißt es:

    "Schon die Humanisten des 16. Jahrhunderts begingen mehr oder weniger mutwillig den Fehler, germanisch mit deutsch gleichzusetzen, so als ob es die ethnischen und kulturellen Verwerfungen ab der Völkerwanderungszeit nie gegeben hätte."

    Die antiken Quellen geben nur spärlich Auskunft darüber, was vor 2000 Jahren genau geschah. Hinzu kommen einige archäologische Funde wie die bei Osnabrück, die unsere Wissenslücken etwas verkleinern. Doch unabhängig vom nach wie vor nur schemenhaft erkennbaren Ablauf der Schlacht stellt Tillmann Bendikowski in seinem Buch fest:

    "Entscheidender war ohnehin die Nachwirkung der Schlacht: Mit ihr betrat Hermann der Cherusker, der eigentlich Arminius hieß, die Bühne der deutschen Geschichte – und wollte sie bis heute nicht wieder verlassen."

    Der Hamburger Historiker schildert eingehend die Wirkungsgeschichte des Cheruskers. Beginnend mit der Erfindung Hermanns durch den Humanisten Ulrich von Hutten, über Hermanns Überzeichnung in der deutschen Literatur etwa in Kleists Drama "Die Hermannschlacht", über den Bau des Hermannsdenkmals, bis hin zur Instrumentalisierung des Hermannmythos im 1. und 2. Weltkrieg sowie in der DDR, wo der Cheruskerfürst zum sozialistischen Freiheitskämpfer erhoben wurde. Letztendlich mutierte Arminius also auch noch zum Genossen.

    "Der Mythos dieser Schlacht zeigt die Schattenseiten der deutschen Geschichte und den Kern des politischen Arminius- beziehungsweise Hermannkults. Denn die mit Arminius-Hermann transportierte Forderung nach deutscher Freiheit war immer auch mit aggressiven Drohgebärden gegen äußere Feinde verbunden. Außerdem war der mit ihm verknüpfte Appell an die Einigkeit oft eine unerbittliche Kampfansage an innenpolitische Abweichler. Das war in der Weimarer Republik so, unter den Nazis und in der DDR. Innere Feinde waren mal die Katholiken, mal die Sozialisten, dann die Juden."

    Bleibt die Frage, ob die Varusschlacht ein Wendepunkt der Weltgeschichte war, wie es Christian Pantle nahelegt. Tillmann Bendikowski hingegen kommt zu einem anderen Ergebnis:

    "Dass sich Rom – viele Jahre nach der Varusschlacht – hinter die Rheinlinie zurückgezogen hat, hatte seine Ursache nicht in der Varusschlacht, sondern darin, dass sich Rom auf sein ursprüngliches Ziel konzentrieren wollte: Gallien zu sichern."

    Bendikowskis Darstellung ist gewissenhaft und leserfreundlich. Jedes Quellenzitat ist gut nachprüfbar.

    Pantle dagegen spaziert leichten Schrittes durch die römisch-germanische Geschichte. Er bietet Historisches, garniert mit vielen Spekulationen. Fußnoten sind für ihn unnötiger Ballast. Dafür präsentiert er den Lesern Arminius und seine Frau Thusnelda im Stile eines Klatschmagazins als urgermanisches Liebespaar.

    Willi Reiter war das über: Christian Pantle: "Die Varusschlacht – der germanische Freiheitskrieg." In diesen Tagen erschienen bei Propyläen, 300 Seiten, zum Preis von 16,90 €. Und: Tilman Bendikowski: "Der Tag an dem Deutschland entstand. Geschichte der Varusschlacht". Bertelsmann, 270 Seiten, 19,95 €.