"Ich würde Globalisierung als die Freiheit für meine Gruppe von Unternehmen definieren, zu investieren, wo und wann sie will, zu produzieren, was sie will, zu kaufen und zu verkaufen, wo sie will und die möglichst geringsten Restriktionen zu unterstützen, die aus Arbeitsgesetzen oder anderen sozialen Übereinkünften resultieren."
Deutliche Worte eines Konzernchefs. Percy B. Barnevik war Verwaltungspräsident einer der mächtigsten transnationalen Konzerngruppen der Welt: der Asea-Brown-Bovery Gruppe.
Globalisierung bedeutet demnach die Freiheit für Investoren und Kapitaleigner, ihren Profit weltweit und ohne Einschränkungen durch Sozialgesetze maximieren zu können. Und das heißt dort produzieren zu lassen, wo die Ware Arbeitskraft am billigsten ist, dort zu investieren, wo die Profitrate am höchsten zu sein verspricht. Die ideologische Grundlage dieser globalisierten Marktwirtschaft, des gegenwärtigen Kapitalismus also, ist der Neoliberalismus. Was aber ist darunter genau zu verstehen? Eine Antwort darauf verspricht das Buch des kanadischen Professors für Anthropologie und Geowissenschaften David Harvey, der sich mit Arbeiten über neo-imperialistische Politikformen und die neoliberale Wende einen Namen gemacht hat. Mit diesem Buch nun beansprucht David Harvey, die erste "politisch-ökonomische Erfolgsgeschichte des Neoliberalismus" vorzulegen,
"die der Frage nachgeht, wo die neoliberale Dynamik herkommt und wie sie die ganze Welt erobern konnte. Aus einer kritischen Aufarbeitung dieser Erfolgsgeschichte lässt sich überdies ein Bezugsrahmen für die Aufgabe gewinnen, alternative politische und ökonomische Konzepte zu entwickeln und umzusetzen."
Um es vorweg zu sagen: Das Buch bietet keine Analyse der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und ihrer Wirtschaftsweise, wie es Titel und Zitat in den Begriffen Geschichte und kritische Aufarbeitung nahelegen. Vielmehr präsentiert Harvey hier eine Phänomenologie des Neoliberalismus in der Beschreibung, wie sich die globalisierte Marktwirtschaft neoliberal seit den 1970er Jahren in Erscheinung gebracht hat. Solcherart beschreibt er die Marktideologie als Erfolgsgeschichte einer kleinen Elite, deren Interesse ausschließlich der Erhalt des Kapitalismus und die "Restauration der Klassenmacht" seiner Profiteure ist. Harvey konfrontiert den Leser mit vielfältigen Facetten dieser "Erfolgsgeschichte", mit anekdotisch aufgelesenen Ereignissen, illustrierenden Fallbeispielen und Streiflichtern über die Ruinienlandschaften, die der Neoliberalismus hinterlassen hat. Und das alles in einer Sprache, die oft floskelhaft-selbstgefällig wirkt. Eine Einführung in die Geschichte des Neoliberalismus ist das Buch nicht. So gerät ihm der Liberalismus als Grundlage und Voraussetzung des Neoliberalismus erstaunlicherweise gar nicht in den Blick, und entsprechend bleibt auch der Zusammenhang zwischen Liberalismus und Faschismus ausgeblendet, wie ihn etwa Reinhard Kühnl als Formen bürgerlicher Herrschaft in den 70er Jahren aufgearbeitet hat. In der Zeit unmittelbar nach 1945, so Harveys These, sei der Wiederaufbau einer kapitalistischen Produktionsweise angesagt gewesen, die dem Ausbau eines Sozialstaates dienlich sein sollte, um einen "Klassenkompromiss zwischen Kapital und Arbeit herzustellen". Entsprechend sei das Kapital eingebunden und "gefesselt" worden in einem Netz sozialer und politischer Beschränkungen, "embedded liberalism" genannt, um eine soziale Marktwirtschaft und Befriedung zu garantieren. In den 70er Jahren dagegen habe der Prozess der "Entfesselung" des Kapitals eingesetzt, sei mit Hilfe der neoliberalen Doktrin auf den Weg gebracht worden, um die zunehmend gefährdete Macht einer kleinen Elite wiederherzustellen und zu sichern .
"Der Neoliberalismus als potenzielles Abwehrmittel gegen die Gefährdung der kapitalistischen Ordnung und als Rezept zur Gesundung eines kränkelnden Kapitalismus hatte schon lange hinter den Kulissen der politischen Bühne auf seine Chance gelauert. ( ... ) Die neoliberale Wende lässt sich auf zweierlei Weise interpretieren: entweder als ein utopisches Projekt, das einen theoretischen Plan für die Reorganisation des internationalen Kapitalismus umsetzen soll, oder als ein politisches Projekt, das neue Voraussetzungen für die Kapitalakkumulation schaffen und die Macht der Wirtschaftseliten wiederherstellen soll."
Harvey entscheidet sich für die Interpretation "politisches Projekt". Anhand detaillierter "Frontberichte", wie er das nennt, legt er dar, wie die Mächtigen dieses "politische Projekt" von Chile über Mexiko und Argentinien bis Südkorea und China einerseits, von den USA bis England andererseits durchsetzten. Notfalls auch mit militärischen Mitteln, wie er am Beispiel Chile aufzeigt. Es gehört zu den wenigen Stärken des Buches, dass Harvey die dem Neoliberalismus eigene Tendenz zu autoritärem Staat und Totalitarismus herausarbeitet und als eine der Hauptgefahren für den Weltfrieden benennt. Wie aber kommt es, dass die Denkweise der Herrschenden - der Neoliberalismus als ökonomische und politische Theorie - zum herrschenden Gedanken werden konnte? Der Neoliberalismus sei so weitgehend zur herrschenden Denk- und Handlungsweise geworden, konstatiert Harvey ganz richtig, dass sich "neoliberale Interpretationen in den gesunden Menschenverstand eingeschlichen haben, mit dem viele Menschen ihr Alltagsleben und das Funktionieren unserer Welt wahrnehmen". Die zentrale Frage, wie dieser gesellschaftliche Konsens zustande kommen konnte, beantwortet Harvey dann aber nur unbefriedigend, wenn er vor allem die "Propagandaoffensive" der 70er Jahre herausstellt und die Instrumentalisierung des Freiheitsbegriffs beklagt.
"Das Wort Freiheit zum Beispiel hat im Alltagsverständnis der US-Amerikaner eine so breite Resonanz, dass es für die Elite wie ein Knopf ist, auf den man drücken kann, 'um die Türen zu den Massen zu öffnen'. ( ... ) Ein Projekt, das ganz offen die Rückgabe der ökonomischen Macht an eine kleine Elite fordert, würde wahrscheinlich nicht viel Unterstützung finden. Aber ein programmatisches Unternehmen zugunsten der individuellen Freiheit konnte die Massen ansprechen und damit verdecken, dass es um die Wiederherstellung der Klassenmacht ging."
Mit dem Verweis auf die Verteidigung der Freiheit, verstanden als die Freiheit des Individuums, lasse sich in den USA alles verkaufen: vom Krieg im Irak über die Einschränkung der Bürgerrechte bis hin zur Überwachungskamera fürs Eigenheim. Aber: Funktioniert das alles wirklich so simpel? Wo eine historisch-kritische und theoretisch abgesicherte Analyse gefordert gewesen wäre, verliert sich der Autor in Allgemeinplätzen. Begriffliche Unschärfe, Verallgemeinerungen und nicht nachvollziehbare Behauptungen stehen der beanspruchten analytischen Aufarbeitung entgegen. Vor dem Leser wird zwar die Geschichte der ökonomischen Entwicklung seit 1945 hin zum weltweiten Siegeszug des Neoliberalismus ausgebreitet, aber gerade nicht die strukturellen und ideologischen Bedingtheiten dieser Geschichte herausgearbeitet.
Ruth Jung war das über: Kleine Geschichte des Neoliberalismus von David Harvey, übersetzt von Niels Kadritzke und erschienen im Rotbuchverlag. Es hat 280 Seiten und kostet 24 Euro.
Deutliche Worte eines Konzernchefs. Percy B. Barnevik war Verwaltungspräsident einer der mächtigsten transnationalen Konzerngruppen der Welt: der Asea-Brown-Bovery Gruppe.
Globalisierung bedeutet demnach die Freiheit für Investoren und Kapitaleigner, ihren Profit weltweit und ohne Einschränkungen durch Sozialgesetze maximieren zu können. Und das heißt dort produzieren zu lassen, wo die Ware Arbeitskraft am billigsten ist, dort zu investieren, wo die Profitrate am höchsten zu sein verspricht. Die ideologische Grundlage dieser globalisierten Marktwirtschaft, des gegenwärtigen Kapitalismus also, ist der Neoliberalismus. Was aber ist darunter genau zu verstehen? Eine Antwort darauf verspricht das Buch des kanadischen Professors für Anthropologie und Geowissenschaften David Harvey, der sich mit Arbeiten über neo-imperialistische Politikformen und die neoliberale Wende einen Namen gemacht hat. Mit diesem Buch nun beansprucht David Harvey, die erste "politisch-ökonomische Erfolgsgeschichte des Neoliberalismus" vorzulegen,
"die der Frage nachgeht, wo die neoliberale Dynamik herkommt und wie sie die ganze Welt erobern konnte. Aus einer kritischen Aufarbeitung dieser Erfolgsgeschichte lässt sich überdies ein Bezugsrahmen für die Aufgabe gewinnen, alternative politische und ökonomische Konzepte zu entwickeln und umzusetzen."
Um es vorweg zu sagen: Das Buch bietet keine Analyse der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und ihrer Wirtschaftsweise, wie es Titel und Zitat in den Begriffen Geschichte und kritische Aufarbeitung nahelegen. Vielmehr präsentiert Harvey hier eine Phänomenologie des Neoliberalismus in der Beschreibung, wie sich die globalisierte Marktwirtschaft neoliberal seit den 1970er Jahren in Erscheinung gebracht hat. Solcherart beschreibt er die Marktideologie als Erfolgsgeschichte einer kleinen Elite, deren Interesse ausschließlich der Erhalt des Kapitalismus und die "Restauration der Klassenmacht" seiner Profiteure ist. Harvey konfrontiert den Leser mit vielfältigen Facetten dieser "Erfolgsgeschichte", mit anekdotisch aufgelesenen Ereignissen, illustrierenden Fallbeispielen und Streiflichtern über die Ruinienlandschaften, die der Neoliberalismus hinterlassen hat. Und das alles in einer Sprache, die oft floskelhaft-selbstgefällig wirkt. Eine Einführung in die Geschichte des Neoliberalismus ist das Buch nicht. So gerät ihm der Liberalismus als Grundlage und Voraussetzung des Neoliberalismus erstaunlicherweise gar nicht in den Blick, und entsprechend bleibt auch der Zusammenhang zwischen Liberalismus und Faschismus ausgeblendet, wie ihn etwa Reinhard Kühnl als Formen bürgerlicher Herrschaft in den 70er Jahren aufgearbeitet hat. In der Zeit unmittelbar nach 1945, so Harveys These, sei der Wiederaufbau einer kapitalistischen Produktionsweise angesagt gewesen, die dem Ausbau eines Sozialstaates dienlich sein sollte, um einen "Klassenkompromiss zwischen Kapital und Arbeit herzustellen". Entsprechend sei das Kapital eingebunden und "gefesselt" worden in einem Netz sozialer und politischer Beschränkungen, "embedded liberalism" genannt, um eine soziale Marktwirtschaft und Befriedung zu garantieren. In den 70er Jahren dagegen habe der Prozess der "Entfesselung" des Kapitals eingesetzt, sei mit Hilfe der neoliberalen Doktrin auf den Weg gebracht worden, um die zunehmend gefährdete Macht einer kleinen Elite wiederherzustellen und zu sichern .
"Der Neoliberalismus als potenzielles Abwehrmittel gegen die Gefährdung der kapitalistischen Ordnung und als Rezept zur Gesundung eines kränkelnden Kapitalismus hatte schon lange hinter den Kulissen der politischen Bühne auf seine Chance gelauert. ( ... ) Die neoliberale Wende lässt sich auf zweierlei Weise interpretieren: entweder als ein utopisches Projekt, das einen theoretischen Plan für die Reorganisation des internationalen Kapitalismus umsetzen soll, oder als ein politisches Projekt, das neue Voraussetzungen für die Kapitalakkumulation schaffen und die Macht der Wirtschaftseliten wiederherstellen soll."
Harvey entscheidet sich für die Interpretation "politisches Projekt". Anhand detaillierter "Frontberichte", wie er das nennt, legt er dar, wie die Mächtigen dieses "politische Projekt" von Chile über Mexiko und Argentinien bis Südkorea und China einerseits, von den USA bis England andererseits durchsetzten. Notfalls auch mit militärischen Mitteln, wie er am Beispiel Chile aufzeigt. Es gehört zu den wenigen Stärken des Buches, dass Harvey die dem Neoliberalismus eigene Tendenz zu autoritärem Staat und Totalitarismus herausarbeitet und als eine der Hauptgefahren für den Weltfrieden benennt. Wie aber kommt es, dass die Denkweise der Herrschenden - der Neoliberalismus als ökonomische und politische Theorie - zum herrschenden Gedanken werden konnte? Der Neoliberalismus sei so weitgehend zur herrschenden Denk- und Handlungsweise geworden, konstatiert Harvey ganz richtig, dass sich "neoliberale Interpretationen in den gesunden Menschenverstand eingeschlichen haben, mit dem viele Menschen ihr Alltagsleben und das Funktionieren unserer Welt wahrnehmen". Die zentrale Frage, wie dieser gesellschaftliche Konsens zustande kommen konnte, beantwortet Harvey dann aber nur unbefriedigend, wenn er vor allem die "Propagandaoffensive" der 70er Jahre herausstellt und die Instrumentalisierung des Freiheitsbegriffs beklagt.
"Das Wort Freiheit zum Beispiel hat im Alltagsverständnis der US-Amerikaner eine so breite Resonanz, dass es für die Elite wie ein Knopf ist, auf den man drücken kann, 'um die Türen zu den Massen zu öffnen'. ( ... ) Ein Projekt, das ganz offen die Rückgabe der ökonomischen Macht an eine kleine Elite fordert, würde wahrscheinlich nicht viel Unterstützung finden. Aber ein programmatisches Unternehmen zugunsten der individuellen Freiheit konnte die Massen ansprechen und damit verdecken, dass es um die Wiederherstellung der Klassenmacht ging."
Mit dem Verweis auf die Verteidigung der Freiheit, verstanden als die Freiheit des Individuums, lasse sich in den USA alles verkaufen: vom Krieg im Irak über die Einschränkung der Bürgerrechte bis hin zur Überwachungskamera fürs Eigenheim. Aber: Funktioniert das alles wirklich so simpel? Wo eine historisch-kritische und theoretisch abgesicherte Analyse gefordert gewesen wäre, verliert sich der Autor in Allgemeinplätzen. Begriffliche Unschärfe, Verallgemeinerungen und nicht nachvollziehbare Behauptungen stehen der beanspruchten analytischen Aufarbeitung entgegen. Vor dem Leser wird zwar die Geschichte der ökonomischen Entwicklung seit 1945 hin zum weltweiten Siegeszug des Neoliberalismus ausgebreitet, aber gerade nicht die strukturellen und ideologischen Bedingtheiten dieser Geschichte herausgearbeitet.
Ruth Jung war das über: Kleine Geschichte des Neoliberalismus von David Harvey, übersetzt von Niels Kadritzke und erschienen im Rotbuchverlag. Es hat 280 Seiten und kostet 24 Euro.