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Über Kämpfer für das vermeintlich Gute

Der nigerianische Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka meldet sich einmal mehr als politischer Kopf zu Wort. Sein Buch Klima der Angst enthält fünf Vorträge aus dem Jahr 2004 für das Radio der BBC. Soyinkas Thema ist die Bedrohung der Welt durch selbsternannte Kämpfer für eine vermeintlich gerechte Sache, die - wie im russischen Beslan - nicht einmal vor der Ermordung von Kindern zurückschrecken.

Ein Beitrag von Gaby Mayr | 12.05.2005
    "Heutzutage herrscht Angst vor einer verstohlenen, unsichtbaren Macht, der Macht des Quasi-Staates, einem Gebilde, das keinen Anspruch auf irgendwelche physischen nationalen Grenzen erhebt, keine nationale Flagge hisst, nicht Mitglied irgendwelcher internationaler Vereinigungen ist, und das in jeder Faser seines Wesens ebenso verrückt... ist wie die Frohe Botschaft der Vernichtung, die die Supermächte seinerzeit so gelassen verkündeten."

    Brutale Gewalt gehe nicht mehr zuvorderst von Staaten oder säkularen Ideologien wie dem Kommunismus aus, sondern von nichtstaatlichen Gruppen, die vorgeben einer göttlichen Offenbarung zu folgen. Die größte Gefahr produzieren nach Ansicht des bekennenden Atheisten, der in einer christlichen Familie aufwuchs und heute mit gewisser Sympathie die traditionellen Gottheiten seiner Yoruba-Heimat betrachtet, die größte Gefahr produzieren die beiden auf Missionierung ausgerichteten Weltreligionen Christentum und Islam.

    Gewalttätige US-Christen, die abtreibungswillige Frauen drangsalieren und Mediziner töten, stellt Soyinka an den Pranger. Die schärfste Klinge aber führt er gegen die Fanatiker muslimischer Couleur. Dabei ist nicht allein der im Westen unablässig beschworene 11. September 2001 Ausgangspunkt seiner Argumentation - er betrachtet die Bedrohung zusätzlich aus einer Perspektive des Südens: Bereits 1989 wurde eine französische Passagiermaschine über der Sahara-Republik Niger durch einen Sabotageakt zum Absturz gebracht. Als Drahtzieher des bis heute offiziell nicht aufgeklärten Verbrechens vermutet man den muslimischen Revolutionsführer Muammar al Ghaddafi. Anders als die Toten von Lockerbie wurde den Mordopfern vom afrikanischen Himmel kaum Aufmerksamkeit geschenkt.

    Ebenso wenig müssen die Mitglieder fanatisierter Horden Konsequenzen fürchten, die in Soyinkas Heimat Gewaltorgien anzetteln, wenn ihrer Meinung nach Gesetze des Koran übertreten werden. Der Nobelpreisträger lenkt ein helles Licht auf...

    "...die Grauzonen relativistischer Definitionen von Mord, in denen abwegige Ursachen zur Rechtfertigung des Verabscheuungswürdigen bemüht werden."

    Soyinka fordert unmissverständlich ein Ende von Verharmlosung und klammheimlicher Komplizenschaft:

    "Die Yoruba warnen nicht umsonst: Bevor das Monsterkind seinen schmachvollen Tod auf dem Markt findet, sollte die Mutter es lieber in der verborgenen Abgeschiedenheit des Hauses erwürgen. Dieses Sprichwort besagt ganz einfach: Die Pflicht, sich des Dämons zu entledigen, obliegt der Gebärerin, deren Schoß dieser Dämon entsprang. Die Mutter Religion - egal welcher Ausrichtung - sollte der Menschheit heute dementsprechend schleunigst mit wohltätigen Kindesmorden zu Hilfe eilen."

    Wortgewaltig geißelt der Nobelpreisträger die Fanatiker und ihre Taten, er lenkt die Aufmerksamkeit auf Orte und Opfer abseits westlicher Medienwahrnehmung.

    Doch die Wucht der eigenen Worte, so scheint es, bringt ihren berühmten Schöpfer mitunter aus dem Tritt. Soyinka jongliert mit medial vielfach reproduzierten politischen Schlüsselvokabeln, von "68" bis "Achse des Bösen". Er schafft ungewohnte Blickwinkel - aber manchmal ist seine Darstellung ungenau, es entsteht der Eindruck mangelnder Recherche.

    "Wenn ein Student in Deutschland oder Frankreich Ende der sechziger oder anfangs der siebziger Jahre irgendwo ein fremdes, geparktes Auto nahm, dann betrachtete er seine Tat keineswegs als Diebstahl,"

    .... fabuliert Soyinka. Und als "schwarze Freiheitskämpfer" bezeichnet er die Rebellen aus dem christlichen Südsudan, wo doch längst bekannt ist, dass sie ihren Krieg vor allem gegen die Zivilbevölkerung führen und die Menschenrechte mit Füßen treten - genauso wie ihre muslimischen Widersacher im Norden des Landes.

    "Ereignisse eines bislang unvorstellbaren Ausmaßes haben praktisch jede Ecke der Welt verwundbar werden lassen."

    Die Bedrohungen der Gegenwart erscheinen bei Soyinka unvergleichlich, übermächtig. Die Leiden der Vergangenheit relativiert er dadurch in beschämender Weise.

    Neue Technik hat neue Möglichkeiten des Horrors geschaffen. Aber Terror hat viele Gesichter in der Geschichte, und auch früher herrschte namenlose Angst unter den Menschen: Als in Europa Zehntausende unangepasster Frauen als Hexen denunziert und auf dem Scheiterhaufen verbrannt und aus Afrika Millionen Menschen in die Sklaverei verfrachtet wurden. Beim Völkermord an den Armeniern, bei antijüdischen Pogromen in Osteuropa, beim Holocaust und der Vernichtung von Sinti, Roma, politischen Linken und Homosexuellen in den Konzentrationslagern der Nazis. In den sowjetischen Gulags, unter Pol Pot in Kambodscha, in Ruanda, bei der Vernichtung von Hereros und Namas durch deutsche Kolonialtruppen in Südwestafrika. Und in den Kerkern der Apartheid. Nur war damals CNN nicht dabei und der Schrecken wurde nicht zum Abendbrot ins Wohnzimmer serviert.

    Angesichts derartiger historischer Katastrophen geraten bei Soyinka so manches Mal die Relationen durcheinander, wenn er beispielsweise US-amerikanisches Sicherheits- und Behördenpersonal aufs Korn nimmt, die seiner Ansicht Angst erzeugen: Als "nacktes Gesicht der Macht in seiner banalsten Form" erscheint die US-Steuerbehörde, die dem Nobelpreisträger offenbar einen unangenehmen Brief geschrieben hat. Und - "die politische Korrektheit kann mir gestohlen bleiben", kokettiert der Autor in diesem Zusammenhang: Als die "am meisten machtbesessenen Beamten" outet Soyinka US-Grenzkontrolleure, die zugleich jung, weiblich und schwarz sind. Da hat sich der renommierte Schriftsteller offenbar über etwas gewaltig geärgert.

    Und noch ein letzter Punkt sei angemerkt: Der Beschreibung des Angst Erzeugenden folgt allzu wenig über dessen Ursachen. Armut, Aussichtslosigkeit und die explosive Lage im Nahen Osten wurden schon oft genannt. Aber welche Mechanismen sind es genau, die beispielsweise aus jungen muslimischen Männern gnadenlose Gewalttäter machen? Statt sich über schwarze Grenzkontrolleurinnen zu ereifern, wäre es vielleicht interessant zu untersuchen, wie es auf kleine Jungen wirkt, wenn sie in eine Welt hineinwachsen, in der Waffen als unverzichtbare Accesoires privilegierter Männlichkeit gelten.

    Das ist nur eine Frage unter vielen naheliegenden, die Soyinka in seinem Buch nicht einmal antippt.

    Wenig ausgearbeitet sind auch Soyinkas Gedanken zum Ausbruch aus dem Gefängnis der Gewalt. Niemand erwartet Patentlösungen vom Autor eines politischen Essays. Aber dass, wie er schreibt, "die Welt durchsättigt werden muss" mit Treffen wie dem von Irans Präsident Khatami angeregten und im UNO-Rahmen bereits durchgeführten "Dialog zwischen den Ziviliationen" - das reicht bei weitem nicht aus.