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Über Kopf zu lesen

Mit seinem hyper-postmodernen Psychothriller "Das Haus" begeisterte Mark Danielewski Fans von Horrorfilmen und Derrida-Anhänger gleichermaßen. Sein Zweitling "Only Revolutions" ist nicht weniger verspielt und ambitioniert: ein streng formalisiertes Langgedicht, das sich von vorne nach hinten oder seitenweise auch kopfüber lesen lässt.

Von Tobias Lehmkuhl | 18.04.2012
    Der Held von "Das Haus", Mark Danielewskis überbordendem Debütroman, hatte Mühe, sich in seinen eigenen vier Wänden zurechtzufinden: Plötzlich taten sich Türen auf, wo vorher keine waren, dahinter neue Räume, ja ganze Raumfluchten und schließlich sogar, so schien es, die Unendlichkeit. Will Navidson, der fragliche Held, hatte sich da schon längst aufgemacht, dieser rätselhaften Raumreproduktion nachzugehen. Mit seiner Filmkamera, mit Stirnlampe und Steigeisen ausgerüstet begab er sich tief in das sich ständig verändernde Labyrinth. Fündig wurde er freilich nicht. Famos war seine Reise dennoch.

    Auch in "Only Revolutions", 2006 im Original erschienen, schickt Danielewski seine Helden auf eine Reise durch Raum und Zeit: Sam und Hailey, so heißen sie, zwei 16-Jährige, die durch Amerika jagen, in Automobilen, die schneller ihre Namen wechseln, als man schauen kann. Sie sind in guter amerikanischer Tradition "on the road", mal in Mississippi, mal in Montana, mal im Osten, mal im Westen. Die Zeit scheint für sie dabei nicht zu gelten: Bürgerrechtsbewegung und Irakkrieg rahmen ihre Reise ebenso wie die Jahre 1863 und 2063.

    Hier klingt noch der DripLag
    nach. Ist halt die Großstadt.
    Lissabon, Neudehli,
    Schanghai. Amsterdam. Warschau.
    Santiago, Budapest
    Prost auf St. Louis!
    Weit hin. Weit weg. Alles.
    Unverteidigt. Den Studebaker Dictator verschleudert,
    um den Preis des Festsitzens. Miete.
    Und'n Putzjob für paar Kröten
    Von flotten Bienen und Zuckerpuppen,
    während Hailey ständig
    lächeltundgrüßt, hierlangbitte,
    ganz ruhig, Schreckschraube und Stöckelschuhtussen,
    die zur Pause prassen, Trinkgelder dalassen,
    Gefallen abpassen. Alles passieren lassen.


    Es ist nicht leicht diese Geschichte nachzuerzählen, und die Frage ist überhaupt, ob hier etwas erzählt wird. Bei "Only Revolutions" handelt es sich, wie man hören kann, um eine Art Langgedicht, im freien Vers zwar, aber häufig doch gereimt und insgesamt stark durchformalisiert: Auf jeder Seite finden sich exakt 90 Wörter, wendet man die Seite um 180 Grad, lassen sich weitere 90 Wörter lesen, macht zusammen ebenfalls 180. Auf einer Doppelseite also stehen 360 Wörter entsprechend der Gradzahl einer vollständigen Drehung. Darüber hinaus umfasst "Only Revolutions" 360 Seiten, die sich wiederum, je nachdem, ob man die Perspektive von Sam oder von Hailey wählt, vom einen oder vom anderen Ende aus lesen lassen. Das rechte Buch also für Freunde mathematischer Symmetrie. Allen anderen empfiehlt der Verlag, nach jeweils acht Seiten stets das Buch zu wenden, offenbar, damit man der Geschichte besser folgen kann, besser mitbekommt, wie die Perspektiven ineinandergreifen und sich überlagern. So dreht und wendet man das Buch also ständig, was nicht nur lästig und unbequem ist, sondern auch den Lesefluss immer wieder unterbricht. Doch der hat es ohnehin schwer, sich einzustellen. Denn die numerischen Vorgaben ebenso wie Danielewskis Vorstellung davon, was lyrische Rede ist, verhindern, dass man in das Buch eintauchen kann wie noch in die Untiefen von "Das Haus". Statt Spannung entsteht hier nur Unruhe, statt Schönheit schroffe Brüche.

    "Also verlaufen. Sie. Ich. Aber mein
    Lachen ist trotzdem sinister,
    ein schmachtendes Frühlingsgeknister.
    Bin jedenfalls jetzt ungebunden und
    Keile aus. Tue, was ich nicht tue.
    Nie nicht tue.
    - Tu, was du tust, fordern die Großen Getüpfelten Perlmutterfalter.
    - Was tust du?
    rillen die Kamelgrillen
    Alles. Immer. Durchdringlich.
    Marschiere brandbombig durch eisige Berg-
    weiten und bewaldete Grabhügel."


    Atemlos jagt das Buch dahin, ein ästhetischer Mehrwert der formalen Obsessionen ist dabei, auch wenn die Übersetzungsleistung großen Respekt abfordert, nicht auszumachen. All die Fußnoten, weißen oder quer bedruckten Seiten in "Das Haus" trugen dazu bei, es zu einem ausgefüllten Leseerlebnis zu machen. Hier hatte Danielewski alle Möglichkeiten des Mediums kunstvoll ausgenutzt. "Only Revolution" dagegen hat, so meint man, zuweilen kaum noch etwas mit einem Buch zu tun. Und das ist vielleicht das Problem: Danielewski scheint vom Computer her gedacht zu haben, der Möglichkeit, mit einem Klick hin und her zu springen, verschiedene Fenster zu öffnen und so mühelos von einer Zeitebene in die andere, von einem Standpunkt zum anderen zu wechseln, von einem Raum zum nächsten. Das sonst so leichte und bewegliche Buch wirkt ob dieser Anforderung auf einmal äußerst schwerfällig und steht der Rezeption immer wieder im Weg. Das gilt ebenso für das ermüdende Stakkato der Sätze. Freilich klingt überall die Tradition amerikanischer Lyrik von Walt Whitman über William Carlos Williams bis Robert Creeley an, doch wirken Mark Danielewski Verse häufig allzu eklektisch. Dabei verfügt er über eine eigene Stimme, das hat mit der Prosa von "Das Haus" unter Beweise gestellt. Hoffen wir, dass er ihr in Zukunft wieder stärker vertraut, statt sich so hemmungslos formalen Exerzitien zu unterwerfen.

    Mark Z. Danielewski: "Only Revolutions". Übersetzt von Gerhard Falkner und Nora Matocza. Tropen Verlag, Stuttgart 2012. 368 Seiten, 24,95 Euro.