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Über-Maler Arnulf Rainer

Arnulf Rainer erinnert an eine Grundtechnik von Kultur: aus altem Material Neues zu schaffen. Bibelübermalungen des Österreichers sind in der Ausstellung "Bibel-Bilder" in Baden-Baden zu sehen.

Von Christian Gampert |
    Ein ganzes Ensemble von 160 Bibelübermalungen hat der Sammler Frieder Burda 1998 von Arnulf Rainer gekauft - ein großer Fischzug, der nun ein kompaktes Ausstellungsthema hergibt. Rainer, dessen Anfänge im fantastischen Surrealismus liegen, hat sich schon in seiner Frühphase mit der Kreuzesthematik des Leidens und Mitleidens beschäftigt. Sieben dieser abstrakten, in Farbschlieren expressiv bemalten, kreuzförmigen Großformate, teils aus den 50er Jahren, sind in Baden-Baden zu sehen, und sie bilden nun das Rückgrat dieser Ausstellung.

    Was ist ein Über-Maler? Ein Meta-Maler? Ein Über-Vater? Es liegt scheinbar Hochmut darin, sich über ganze Epochen der Kunstgeschichte zu erheben und sie zeichnerisch und malerisch zu kommentieren. Andererseits ist es ein Zeichen von Demut, die Bildfindung anderen zu überlassen und selbst nur als jeweils zweiter, als Analytiker und bisweilen auch wilder Interpret hinzuzutreten. Dass daraus wirklich Neues entsteht, beweist diese Ausstellung auf Schönste, weil sie auch zeigt, wie Rainer auf diesen Weg gekommen ist. Im Erdgeschoss sieht man, neben diversen Marien-Übermalungen nach Andrea Mantegna und Simone Martini, auch die frühen Selbstporträts von Arnulf Rainer, als er begann, sein Gesicht zu verwischen und schließlich zu übermalen. Man sieht auch ganz frühe, abstrakte, hingehackte Strichknäuel, der Titel hieß schon 1951 "Kruzifkation".

    Die Technik der Übermalung ermöglicht es nun, sowohl figurativ wie auch abstrakt zu sein, gegenständliches Material explosiv oder auch vorsichtig nachempfindend zu verdeutlichen. Es geht darum, die geheimen Strukturen, Linien, Energien von Bildern sichtbar zu machen oder bestimmte Details oder Großflächen eben zu verdecken, zuzuziehen. Du sollst dir kein Bild machen: Das kann auch heißen, das Bild zeichnerisch auszulöschen. Inmitten der Bilderflut kann es auch heißen, Werke kommentierend aufzureißen.

    Rainers Lösungen sind - bei der Bibel-Thematik - nicht immer überzeugend. Er tendiert bisweilen zu simplen Eins-zu-Eins-Übersetzungen. Optimismus und Freude sind fast immer Rotgelb und dynamisch, Trauer immer nur verhangen und trüb. Wenn Gott in der Fotokopie einer Bibel von 1250 die Welt mit einem Zirkel erschafft, geht der Zirkelschwung bei Rainer in einen rotgelben Kreide-Strudel über. "Moses vor dem brennenden Dornbusch" übersetzt er lediglich in ein gelb und orange blakendes Feuer. Andererseits sind seine Madonnen effektvoll mit Schleiern blutroter Farb- und Tränenströme behangen, auf den Pfingstbildern fließen die Farben wie der heilige Geist, die Verkündigungsengel auf einer Botticelli-Kopie werden bewegt von einem wild spritzenden Gelb. Hier wird also eine verborgene Bild-Energie heraufgeholt und ausagiert.

    Die früheste von Rainer benutzte, fotokopierte biblische Vorlage stammt aus dem Jahr 950, aus einem Kommentar zu Apokalypse. Ansonsten übermalt er viel mittelalterliche Kunst und Renaissance-Werke. Den Hauptteil der Ausstellung aber bilden Übermalungen der Bilderbibel des Romantikers Gustave Doré. Rainer teilt mit ihm den Sinn für Dramatik. Doré arrangiert in virtuoser Hell-Dunkel-Theatralik stets große Menschenmassen, im Alten Testament übrigens weitaus effektvoller als im Neuen. Rainer greift das dankbar auf, bleibt in der zeichnerischen Kommentierung aber viel dezenter als sonst, arbeitet Vektoren, psychische Linien, Atmosphären heraus. Dorés filigrane Original-Drucke sind in der Ausstellung Rainers Übermalungen gegenübergestellt: eine ganz klare, saubere Konzeption.

    Wer immer heute ein Gedicht schreibt, er paust die Text älterer Gedichte durch, oder er übermalt alten Grund, indem er bestimmte Topoi nutzt, neu montiert, ablehnt, verhöhnt oder auch variiert. Arnulf Rainer erinnert uns an diese Grundtechnik von Kultur: aus altem Material Neues zu schaffen. Ohne Vorlage geht es nicht. Und obwohl die Trauer ein elementares Moment von Rainers Kunst ist, sind seine Übermalungen auch tröstlich: eine Eruption von Farbe im trüben Mond November.

    Service:

    Die Ausstellung ist bis zum 21. Januar 2007 zu sehen. Nähere Informationen auf der Homepage des Museums Frieder Burda.