Tanja Runow: Sie haben erstaunliche Entdeckungen gemacht, als sie alte Ausgaben des Playboy durchgeblättert haben, der ja 1953 erstmals in den USA erschienen ist. Was hat ihre Neugier geweckt?
Beatriz Preciado: Wie Sie sich vorstellen können, war ich keine klassische Playboy-Leserin. Ich habe zu den 50er-Jahren geforscht, zum Wandel der Sexualität nach dem Zweiten Weltkrieg. Genau zu dieser Zeit sah ich eines Nachts eine Dokumentation im Fernsehen. Da erklärte Hugh Hefner, der Playboy-Gründer, dass es ihm im Wesentlichen darum gegangen sei, die häusliche Sphäre für seine männlichen Leser zurückzuerobern. Ich war sehr erstaunt, das hatte nichts mit meiner vorherigen Wahrnehmung dieser Zeitschrift zu tun.
Aber dann merkte ich, über Pornografie zu arbeiten ist speziell, du machst dich überall sofort verdächtig. In der Bibliothek wird man ermahnt: "Bitte nicht die Bilder auszuschneiden!", und so weiter.
Runow: Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Mann!
Preciado: Stimmt. Aber nicht nur, dass Pornografie allgemein ein schwieriges Feld ist. Beim Playboy hat man es auch noch mit einem großen internationalen Unternehmen zu tun, das versucht alle Äußerungen zu kontrollieren. Als ich angefangen habe, darüber zu schreiben, bekam ich sofort Post von deren Anwälten. Sie wollten, dass ich von "Kunst” sprechen soll statt von Pornografie.
Runow: In ihrem Buch schreiben Sie, dass der Playboy mehr für die Architektur und das Design der 50er und 60er Jahre getan hat als die zeitgenössischen Architektur- und Einrichtungsmagazine. Wie meinen Sie das?
Preciado: Moderne Architektur im Sinne von Mies van der Rohe, Le Corbusier oder Charles und Ray Eames galt in den USA zu der Zeit als "anti-amerikanisch". Die meisten Architekturzeitschriften lehnten die Moderne und die europäischen Architekten rigoros ab. Der Playboy aber, der ja am Anfang ein echtes Untergrundmedium war, hatte bis in die 70er Jahre in jeder Ausgabe eine Reportage dazu. Wenn man die nackten oder halb nackten Frauen ausblendet, hat man quasi ein Designmagazin vor sich.
Runow: Eine Ihrer zentralen Thesen, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist, dass Hugh Hefner auch selbst zu einer Art Pop-Architekt wurde. Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Preciado: Interessanterweise hat er schon vor Gründung des Magazins begonnen, Aufnahmen von sich und seiner Frau in der gemeinsamen Wohnung zu machen. Eine Art Self-Fiction. Diese Bilder tauchten 1953 im Chicago Journal auf. Sobald er dann seine eigene Zeitschrift hatte, begann er auf diesem Weg seine Architekturfantasien zu verbreiten. Da war zum Beispiel das berühmte rotierende Bett. Das erstmal nicht ungewöhnlich aussah, groß und rund eben. Aber es hatte einen Fernseh-Anschluss, ein Telefon und eine Kamera eingebaut und war damit auch eine Art Sexarchiv seines Bewohners.
Die Playboy Villa sah von außen ja auch überhaupt nicht fortschrittlich aus. Modern wurde sie durch ihre mediale Ausstattung. Durch die Kameras überall. Durch die Aufhebung der Grenzen zwischen privat und öffentlich. Das ganze Haus war vollgestopft mit Kommunikationstechnik.
Und in den späten 50ern hat Hefner das Magazin ja buchstäblich aus seinem Bett heraus geleitet.
Runow: Wer konnte sich die Filme anschauen, die er dort aufgenommen hat, nur er selbst?
Preciado: Oh nein. Die meisten Bilder, die in den 50ern und 60ern im Magazin erschienen, sind genau auf diese Weise entstanden. Deshalb sehen sie auch so privat aus. Die Frauen scheinen die Kamera kaum zu bemerken.
Runow: Eine frühe Variante der Reality Show?
Preciado: Absolut. Ich würde sagen, dass Hefner das Reality Fernsehen, wie wir es heute kennen, erfunden hat. Und zwar, als er 1959 begann, Fernsehteams einzuladen, die legendären Pyjama Parties in der Playboy-Villa zu filmen. Von einem Chicagoer Sender wurde das dann ausgestrahlt.
Runow: Wir sollten vielleicht noch ein paar Details des perfekten Playboy Apartments erwähnen. Zum Beispiel die Küche. Sie nennen sie die "küchenlosen Küche", glaube ich.
Preciado: Die Leute vom Playboy bezeichnen sie selbst so. Im Wesentlichen ist gemeint: eine Küche ohne Frau drin. Die Bunnies sind willkommen im Haus, aber nur zu bestimmten Zeiten, für bestimmte Aufgaben: Sex oder Fotoshootings zum Beispiel. Dann sollen sie aber auch wieder verschwinden. Stellt sich natürlich die Frage, wer die klassischen Hausfrauen-Jobs übernimmt. Und die Idee ist, dass sich das über Hightech-Geräte lösen lässt. Es geht um einen Gegenentwurf zu Suburbia. Und das ist in diesem Fall das Playboy Apartment für den alleinstehenden Mann.
Runow: Sie sagten, Frauen sollten davon abgehalten werden, sich dort häuslich einzurichten. Welche Vorkehrungen wurden dafür getroffen?
Preciado: Das wichtigste Anliegen des frühen Playboy ist der Kampf gegen die Hausfrau. Die im Heft beschriebenen Wohnungen ähneln dem Unterschlupf eines Spions. Und tatsächlich war James Bond eine wichtige Inspirationsquelle. Lustigerweise umgeben uns heute die Dinge, die damals den Single-Mann vor der Ehefalle bewahren sollten, überall und ständig. Zum Beispiel das Klapp-Sofa für den schnellen Sex. Oder der Anrufbeantworter, der damals angepriesen wurde als diskrete Möglichkeit, mehrere Dates parallel zu verwalten.
Runow: Wer ist Hugh Hefner für Sie? Ein fortschrittlicher Geist des 20. Jahrhunderts oder ein peinlicher Typ, der irgendwie in den 50ern hängen geblieben ist?
Preciado: Ich interessiere mich nicht besonders für den Mann und seine Psyche. Für mich ist der Playboy ein Modell. An dem man etwas über die Konstruktion der Sexualität in den 50er Jahren ablesen kann…
Runow: Aber er ist ja auch eine Art historische Figur, vielleicht sogar eine tragische. Die Multimedia-Formate, die er mit erfunden hat, sind gerade dabei, ihn finanziell zu ruinieren, oder?
Preciado: Es stimmt natürlich, dass die Zeitschrift nicht mehr rentabel ist. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass die Playboy Mansion überlebt. Als Museum, Themenpark oder Erotik-Resort. Und die Haupteinkommensquelle des Playboy ist im Moment ja sowieso die Vermarktung des Logos, das besonders von Mädchen nachgefragt wird.
Runow: Können Sie erklären, wie es zu diesem Logo kam? Der Hase ist ja nicht das maskulinste aller Tiere, würde man meinen...
Preciado: Stimmt. Hefner wollte seine Zeitung ursprünglich auch der "Hirsch" nennen. Aber der Name war schon an ein Jagdmagazin vergeben. Also suchten sie verzweifelt nach einem neuen Tier, das für Freiheit und sexuelle Unabhängigkeit stehen konnte. Möglichst etwas Verspielteres als der Hirsch. Und so kamen sie auf den Hasen. Der zu Anfang tatsächlich ein männlicher Hase war. Erst später verwandelte er sich in eine Frau, bekam andere Ohren und einen flauschigen Schwanz.
Da steckt etwas sehr Kindliches drin, das nicht nur beim Playboy zutage tritt, sondern zum Beispiel auch bei Disney. In den 50er Jahren tauchen bei beiden diese ganzen Tierfiguren auf. Ich mit meinem queeren Hintergrund habe mich immer schon gefragt: Gibt es eigentlich ein schrägeres Bild als einen alten Mann umringt von Kaninchen?!
Beatriz Preciado: "Pornotopia. Architektur, Sexualität und Multimedia im Playboy". Klaus Wagenbach-Verlag, 160 Seiten, 24,90 Euro.
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Beatriz Preciado: "Pornotopia" (Kritik)
Beatriz Preciado: Wie Sie sich vorstellen können, war ich keine klassische Playboy-Leserin. Ich habe zu den 50er-Jahren geforscht, zum Wandel der Sexualität nach dem Zweiten Weltkrieg. Genau zu dieser Zeit sah ich eines Nachts eine Dokumentation im Fernsehen. Da erklärte Hugh Hefner, der Playboy-Gründer, dass es ihm im Wesentlichen darum gegangen sei, die häusliche Sphäre für seine männlichen Leser zurückzuerobern. Ich war sehr erstaunt, das hatte nichts mit meiner vorherigen Wahrnehmung dieser Zeitschrift zu tun.
Aber dann merkte ich, über Pornografie zu arbeiten ist speziell, du machst dich überall sofort verdächtig. In der Bibliothek wird man ermahnt: "Bitte nicht die Bilder auszuschneiden!", und so weiter.
Runow: Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Mann!
Preciado: Stimmt. Aber nicht nur, dass Pornografie allgemein ein schwieriges Feld ist. Beim Playboy hat man es auch noch mit einem großen internationalen Unternehmen zu tun, das versucht alle Äußerungen zu kontrollieren. Als ich angefangen habe, darüber zu schreiben, bekam ich sofort Post von deren Anwälten. Sie wollten, dass ich von "Kunst” sprechen soll statt von Pornografie.
Runow: In ihrem Buch schreiben Sie, dass der Playboy mehr für die Architektur und das Design der 50er und 60er Jahre getan hat als die zeitgenössischen Architektur- und Einrichtungsmagazine. Wie meinen Sie das?
Preciado: Moderne Architektur im Sinne von Mies van der Rohe, Le Corbusier oder Charles und Ray Eames galt in den USA zu der Zeit als "anti-amerikanisch". Die meisten Architekturzeitschriften lehnten die Moderne und die europäischen Architekten rigoros ab. Der Playboy aber, der ja am Anfang ein echtes Untergrundmedium war, hatte bis in die 70er Jahre in jeder Ausgabe eine Reportage dazu. Wenn man die nackten oder halb nackten Frauen ausblendet, hat man quasi ein Designmagazin vor sich.
Runow: Eine Ihrer zentralen Thesen, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist, dass Hugh Hefner auch selbst zu einer Art Pop-Architekt wurde. Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Preciado: Interessanterweise hat er schon vor Gründung des Magazins begonnen, Aufnahmen von sich und seiner Frau in der gemeinsamen Wohnung zu machen. Eine Art Self-Fiction. Diese Bilder tauchten 1953 im Chicago Journal auf. Sobald er dann seine eigene Zeitschrift hatte, begann er auf diesem Weg seine Architekturfantasien zu verbreiten. Da war zum Beispiel das berühmte rotierende Bett. Das erstmal nicht ungewöhnlich aussah, groß und rund eben. Aber es hatte einen Fernseh-Anschluss, ein Telefon und eine Kamera eingebaut und war damit auch eine Art Sexarchiv seines Bewohners.
Die Playboy Villa sah von außen ja auch überhaupt nicht fortschrittlich aus. Modern wurde sie durch ihre mediale Ausstattung. Durch die Kameras überall. Durch die Aufhebung der Grenzen zwischen privat und öffentlich. Das ganze Haus war vollgestopft mit Kommunikationstechnik.
Und in den späten 50ern hat Hefner das Magazin ja buchstäblich aus seinem Bett heraus geleitet.
Runow: Wer konnte sich die Filme anschauen, die er dort aufgenommen hat, nur er selbst?
Preciado: Oh nein. Die meisten Bilder, die in den 50ern und 60ern im Magazin erschienen, sind genau auf diese Weise entstanden. Deshalb sehen sie auch so privat aus. Die Frauen scheinen die Kamera kaum zu bemerken.
Runow: Eine frühe Variante der Reality Show?
Preciado: Absolut. Ich würde sagen, dass Hefner das Reality Fernsehen, wie wir es heute kennen, erfunden hat. Und zwar, als er 1959 begann, Fernsehteams einzuladen, die legendären Pyjama Parties in der Playboy-Villa zu filmen. Von einem Chicagoer Sender wurde das dann ausgestrahlt.
Runow: Wir sollten vielleicht noch ein paar Details des perfekten Playboy Apartments erwähnen. Zum Beispiel die Küche. Sie nennen sie die "küchenlosen Küche", glaube ich.
Preciado: Die Leute vom Playboy bezeichnen sie selbst so. Im Wesentlichen ist gemeint: eine Küche ohne Frau drin. Die Bunnies sind willkommen im Haus, aber nur zu bestimmten Zeiten, für bestimmte Aufgaben: Sex oder Fotoshootings zum Beispiel. Dann sollen sie aber auch wieder verschwinden. Stellt sich natürlich die Frage, wer die klassischen Hausfrauen-Jobs übernimmt. Und die Idee ist, dass sich das über Hightech-Geräte lösen lässt. Es geht um einen Gegenentwurf zu Suburbia. Und das ist in diesem Fall das Playboy Apartment für den alleinstehenden Mann.
Runow: Sie sagten, Frauen sollten davon abgehalten werden, sich dort häuslich einzurichten. Welche Vorkehrungen wurden dafür getroffen?
Preciado: Das wichtigste Anliegen des frühen Playboy ist der Kampf gegen die Hausfrau. Die im Heft beschriebenen Wohnungen ähneln dem Unterschlupf eines Spions. Und tatsächlich war James Bond eine wichtige Inspirationsquelle. Lustigerweise umgeben uns heute die Dinge, die damals den Single-Mann vor der Ehefalle bewahren sollten, überall und ständig. Zum Beispiel das Klapp-Sofa für den schnellen Sex. Oder der Anrufbeantworter, der damals angepriesen wurde als diskrete Möglichkeit, mehrere Dates parallel zu verwalten.
Runow: Wer ist Hugh Hefner für Sie? Ein fortschrittlicher Geist des 20. Jahrhunderts oder ein peinlicher Typ, der irgendwie in den 50ern hängen geblieben ist?
Preciado: Ich interessiere mich nicht besonders für den Mann und seine Psyche. Für mich ist der Playboy ein Modell. An dem man etwas über die Konstruktion der Sexualität in den 50er Jahren ablesen kann…
Runow: Aber er ist ja auch eine Art historische Figur, vielleicht sogar eine tragische. Die Multimedia-Formate, die er mit erfunden hat, sind gerade dabei, ihn finanziell zu ruinieren, oder?
Preciado: Es stimmt natürlich, dass die Zeitschrift nicht mehr rentabel ist. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass die Playboy Mansion überlebt. Als Museum, Themenpark oder Erotik-Resort. Und die Haupteinkommensquelle des Playboy ist im Moment ja sowieso die Vermarktung des Logos, das besonders von Mädchen nachgefragt wird.
Runow: Können Sie erklären, wie es zu diesem Logo kam? Der Hase ist ja nicht das maskulinste aller Tiere, würde man meinen...
Preciado: Stimmt. Hefner wollte seine Zeitung ursprünglich auch der "Hirsch" nennen. Aber der Name war schon an ein Jagdmagazin vergeben. Also suchten sie verzweifelt nach einem neuen Tier, das für Freiheit und sexuelle Unabhängigkeit stehen konnte. Möglichst etwas Verspielteres als der Hirsch. Und so kamen sie auf den Hasen. Der zu Anfang tatsächlich ein männlicher Hase war. Erst später verwandelte er sich in eine Frau, bekam andere Ohren und einen flauschigen Schwanz.
Da steckt etwas sehr Kindliches drin, das nicht nur beim Playboy zutage tritt, sondern zum Beispiel auch bei Disney. In den 50er Jahren tauchen bei beiden diese ganzen Tierfiguren auf. Ich mit meinem queeren Hintergrund habe mich immer schon gefragt: Gibt es eigentlich ein schrägeres Bild als einen alten Mann umringt von Kaninchen?!
Beatriz Preciado: "Pornotopia. Architektur, Sexualität und Multimedia im Playboy". Klaus Wagenbach-Verlag, 160 Seiten, 24,90 Euro.
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