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Über Verstrickungen wurde kaum geredet

Ausgerechnet die Ägyptologen, von Hause aus nahe an der Historie, haben ihre Rolle im Dritten Reich bislang kaum thematisiert. Bei der Ständigen Ägyptologenkonferenz kam das Thema nun endlich aufs Tapet. 400 Wissenschaftler debattierten über die Verstrickung ihrer Vorbilder in den Nationalsozialismus.

Von von Johanna Kutsche | 28.07.2011
    Im 19. Jahrhundert brach in Europa eine regelrechte Ägyptomanie aus. Die Eliten finanzierten Grabungen oder sicherten sich zumindest Fundstücke für die heimische Vitrine. Doch während England und Frankreich schon längst Forschungsinstitute vor Ort unterhielten, hinkten die Deutschen hinterher. Kaiser Wilhelm II. ärgerte der wissenschaftliche Vorsprung der beiden Kolonialmächte gewaltig, so Dietrich Raue. Er leitet das ägyptische Museum der Universität Leipzig:

    "Das ist das große Leitbild, also England und Frankreich sollen eingeholt, wenn möglich überholt werden. Dafür hat man eben 1870 zum ersten Mal überhaupt Möglichkeiten, das ist aber alles noch ein bisschen dünn. Und dann mit Wilhelm II. und der wirtschaftlichen Expansion kommt auf einmal auch das Geld und das Bürgertum, das das auch zum eigenen Prestige nimmt. Also Antiken sammeln zum Beispiel ist nicht mehr das Hobby von irgendwelchen Aristokraten, sondern ist einfach ein Bürgerhobby."

    Für Georg Steindorff war das Sammeln nicht Hobby, sondern Berufung. 1893 wurde er auf den Lehrstuhl für Ägyptologe der Universität Leipzig berufen. Für ihn war klar: Ohne Anschauungsmaterial kann eine vernünftige Lehrtätigkeit nicht funktionieren. Viele Fundstücke seiner Grabungen sind noch heute in Leipzig zu sehen. Ein Engagement, das dem Steindorff nicht immer gedankt wurde. Obwohl er früh zum Christentum konvertierte, für die Nationalsozialisten blieb er Jude.

    "1894 schreibt er, er hätte den Antisemitismus hier am eigenen Leibe noch nicht gespürt, aber ich habe das Gefühl, auf einem Vulkan zu tanzen. Diesen Tanz nimmt er an, in Anführungsstrichen. Steindorff hat zum ersten Mal mit Fundraising im großen Stil eine Grabungsaktivität gestartet, um eine Universitätssammlung aufzubauen. Und so erringt er eben den Ruf eines Grandseigneurs unter den deutschen Ägyptologen, an dem eigentlich niemand mehr vorbeikommt."

    In diese erste Generation der einflussreichen deutschen Ägyptologen gehört auch Ludwig Borchardt. Er wurde 1896 von der Deutschen Akademie der Wissenschaften nach Kairo geschickt, um Kontakte zu knüpfen. Tatsächlich fand er einige Financiers für bedeutende Grabungen. Zum Beispiel den Baumwollhändler James Simon, der seine wohl bekannteste Expedition finanzierte: 1912 entdeckte Borchardt die Büste der Nofretete. Nach und nach entstanden deutsche Forschungseinrichtungen in Kairo. Borchardt leitete zum Beispiel das Kaiserlich-Deutsche Institut für ägyptische Altertumskunde. Doch kurz vor seiner Pensionierung kam es zu Querelen und Borchardt beschloss kurzerhand, sein eigenes Institut zu eröffnen. Cornelius von Pilgrim ist sein Nachfolger am heutigen Schweizerischen Institut für Ägyptische Bauforschung in Kairo:

    "Er hat sich immer weiter in diese Frage reinverbissen, dass die Bauforschung doch das wesentliche Aushängeschild der deutschen Ägyptologie im Lande ist und auch bleiben muss. Und da man ihm diese Perspektive verweigert hat, oder dem deutschen Institut diese Perspektive verweigert hat, hat er einfach gesagt, na, dann mach ich eben meinen eigenen Laden auf. Und er hatte eben das Glück, dass er eigenständig, dass er unabhängig war und finanziell reich gesegnet. Und so bedurfte es keiner großen Überlegung."

    Eine rein wissenschaftliche Begründung also, die später auch politische Bedeutung erlangen sollte. Während die Einrichtungen in Kairo Anfang des 20. Jahrhunderts weitgehend autonom agierten, änderte sich durch die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 alles. Die Universitäten wurden gleichgeschaltet. Georg Steindorff verlor 1935 in Leipzig die Lehrerlaubnis und emigrierte wenige Jahre später in die USA. Während Ludwig Borchardt politisch gar nicht so weit von den Nationalsozialisten entfernt war, stand er ihnen in diesem Punkt diametral gegenüber: auch Borchardt war Jude.

    "Er hatte natürlich eine starke politische Prägung, er war ein überzeugter deutschnational denkender Mensch. Das hat ihn dann aber umso mehr getroffen, diese plötzliche Veränderung in Deutschland. Und dann hat er ganz gezielt ab ´33 jungen Bauforschern oder Bauforschern mit semitischem Hintergrund geholfen und die dann bevorzugt in seinem Institut eingestellt."

    Während Borchardt versuchte, einen Rückzugsort zu etablieren, schlug das Deutsche Archäologische Institut in Kairo eine ganz andere Richtung ein. Dessen Leiter, Hermann Junker, dachte ebenfalls deutschnational. Aber er hatte als geweihter katholischer Priester und Deutsch-Österreicher einen ganz anderen Hintergrund. Am 1. November 1933 trat Junker in die NSDAP ein, erklärte in seinen Memoiren später allerdings, das sei unter Druck geschehen, er hätte seinen Posten nicht behalten können. Stimmt nicht, sagt Julia Budka vom Ägyptologischen Institut in Wien, die Aufforderung zum Eintritt kam erst 1935.

    "Also, es war mein ursprünglicher Gedanke, als wir begonnen haben, an dem Thema zu arbeiten, hatte ich eben auch den Eindruck von Hermann Junker, dass er erstens ein ganz ein unglaublicher Opportunist war, und zweitens, dass er aber auf Teufel komm raus, in jeder Position, wie er´s auch hinkriegt, Wissenschaft betreiben wollte.”"

    Die Deutschen waren nach dem Ersten Weltkrieg in Ägypten nicht gerade gut gelitten. Ein schlauer Schachzug, meint Julia Budka, ausgerechnet Junker zum Leiter des Deutschen Archäologischen Instituts zu machen. Er hatte durch seine Arbeit für die Universität Wien gute Kontakte in Kairo und nutzte seine deutsch-österreichische Staatsbürgerschaft geschickt aus. Und zwar nicht nur für die Forschung, sondern auch für sein persönliches Fortkommen.

    ""Er hat nur in der Entnazifizierung gesagt, ich bin Priester, ich bin Wissenschaftler, ich hab wirklich nur als deutscher Beamter auf Anweisung, um Österreich vor Schaden zu bewahren, all diese Dinge gemacht. Und das ist schon harter Tobak, mit dem vor allem die Wiener Ägyptologie jetzt mal ganz klar umgehen muss, weil er wirklich von allen seinen Schülern bis heute extrem glorifiziert wird."

    Junkers Strategie ging auf. Obwohl er überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus war, wurde er 1948 schon wieder Honorarprofessor in Wien. Das Deutsche Archäologische Institut in Kairo, das er vormals geleitet hatte, besetzte dagegen alle Stellen neu - mit unverdächtigen Forschern. Die Universitäten, egal ob in Österreich oder Deutschland, waren lange nicht so rigoros. Die ägyptologische Disziplin war klein, jeder kannte jeden. Der eine war der Doktorvater von dem, der war wiederum mit jenem auf der Grabung und so weiter und so fort. Über eventuelle Verstrickungen wurde kaum geredet. Es entstanden dabei auch so ambivalente Verhältnisse wie das des Nazis Junker zum Juden Steindorff. Dieter Raue, Leiter des ägyptischen Museums der Universität Leipzig:

    "Der schickt dem im Sommer 1939 noch Bücher in die USA: 'Lieber Onkel Schorsch, hier meine letzte Publikaten. Mit herzlichen Grüßen Ihr Hermann Junker.' Die sind zwiegespalten und da sind wir wieder bei der Logik kleiner Fächer, der Hermann Junker setzt natürlich in seinem Institut den Nationalsozialismus durch, aber in seinem Verhältnis zu Steindorff versucht er, so lange wie möglich, trotz der damit auch immanent verbundenen Gefahr, die alte Loyalität Schüler-Professor aufrecht zu erhalten."

    Doch jetzt, meint Julia Budka, muss Schluss sein mit der Loyalität. Die Ägyptologie hat lange genug zu ihrer eigenen Geschichte geschwiegen, und es ist an der Zeit, die Karten offen auf den Tisch zu legen.

    #"Es gibt eine Wissenschaftsethik. Das ganze Wiener Institut war natürlich massiv verstrickt, alle Institutionen. Nur es hat einfach keine personellen Konsequenzen gegeben. Und die Schüler haben es nicht gewagt, die Lehrer zu Lebzeiten damit zu konfrontieren. Jetzt muss es halt im Nachhinein geschehen. Aber geschehen muss es. Weil es eben zu unserer Fachidentität auch dazugehört."