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Das Buch "Handymania" gibt einen interessanten Überblick über die Geschichte des mobilen Telefonierens. Günter Burkarts zentrale These: Der Mensch verändert sich mit der Technik.

Von Ute Krupp | 29.10.2007
    In dem Buch "Handymania" geht es darum, wie zwischenmenschliche Beziehungen durch mobile Telefonate beeinflusst werden, wie das Handy unser Leben verändert hat. Das Buch von Günter Burkart, Professor für Soziologie an der Universität in Lüneburg, basiert sowohl auf Theorien als auch auf narrativen Interviews.

    Kultur und Technik werden oft als Gegensätze gesehen. Günter Burkhart interessiert sich nicht für diese Dichotomie, ihm geht es vielmehr darum herauszufinden, was Menschen lernen, wenn neue Techniken in Gebrauch sind. Der Mensch verändert sich mit der Technik, das ist seine zentrale These. Als das Telefon aufkam, mussten alle lernen, wie man mit jemanden spricht, den man nicht sieht. Beim Schreiben von E-Mails lernte man, die geschriebene Sprache der mündlichen anzupassen. Und seit Handys auf dem Markt sind, gewöhnte man sich daran, dass Leute in öffentlichen Räumen, private und berufliche Gespräche führen, die jeder mithören kann, ob gewollt oder ungewollt.

    Ortlosigkeit ist ein wichtiges Stichwort in diesem Buch. Menschen können über große Distanzen hinweg in sehr kurzer Zeit, unabhängig vom Ort, miteinander sprechen. Damit unterstützt diese neue dialogische Technik die Globalisierung und übernimmt, so Burkhart, teilweise die Funktion einer Uhr, denn Begegnungen können kurzfristig und überall per Telefonat oder SMS abgestimmt werden. Allerdings belegen die Studien, die für dieses Buch durchgeführt worden sind, dass zwar potenziell die Möglichkeit besteht, jederzeit weltweit Kontakt aufzunehmen, aber real gesehen ist es so, dass die Telefonate vorwiegend im lokalen Bereich stattfinden.

    Welche Verbindungen lassen sich herstellen zwischen Handy und Demokratie? Wie werden mit diesem kleinen Multifunktionsgerät Hierarchien abgebaut? Wie verändert das Handy unser Körpergefühl? Der Autor fasst Diskussionen zusammen. Manchmal schweift er ab zu Spekulationen, dabei neigt er gelegentlich zur Übertreibung - zum Beispiel, wenn er meint, dass das Handy das erste Gerät sein wird, das Menschen mit ins Grab nehmen werden, so wie man das aus vergangenen Jahrhunderten von Kultgegenständen kennt.

    Eine besondere Leistung dieses Buches ist es, die zahlreichen Aspekte rund ums Handy zu diskutieren, dabei sowohl theoretisch fundiert als auch empirisch zu argumentieren. Eine derartige Zusammenfassung fehlte bisher im deutschsprachigen Raum.

    Tatsache ist, dass dieses kleine Gerät, das die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Raum aufgelöst hat, die Befürchtungen aus der Anfangszeit nicht bestätigt. Vor etwas mehr als zehn Jahren wurde angenommen, dass der Gebrauch des Handys dazu führen könnte, private Bindungen zu vernachlässigen, ähnliche Befürchtungen gab es auch in der Zeit der ersten Festnetztelefone.

    Das Buch "Handymania" gibt einen interessanten Überblick über die Geschichte des mobilen Telefonierens, einer Entwicklung, die noch nicht abgeschlossen ist. Denn möglicherweise wird man sich in Kürze daran gewöhnen müssen, dass Leute in der Öffentlichkeit ohne Gegenüber und ohne Gerät mit anderen sprechen: einen kleinen Knopf im Ohr und ein winziges Mikrofon, nicht sichtbar, irgendwo im Mundbereich.


    Günter Burkart: Handymania. Wie das Mobiltelefon unser Leben verändert hat
    Campus Verlag, Frankfurt a.M., erschienen 2007
    240 Seiten, 24,90 Euro