Das Melken wird sowohl von Männern als auch Frauen gemacht. Die Tiere gehen tagsüber in den Wald zum Weiden. Und kommen dann spät abends meistens so nach Dunkelheit wieder zurück zu ihren Höfen und sie werden da also - in einer Umzingelung aus Dornengestrüpp, da übernachten sie drin. Diese großen Herden werden in nomadischen Systemen gehalten. D.h. sie sind ungefähr neun Monate des Jahres auf Wanderschaft, sie gehen nach Gudjarat und drei Monate, während der Regenzeit, werden sie in der Umgebung ihres Dorfes gehalten.
Ilse Köhler-Rollefson arbeitet seit zehn Jahren mit den Raikas zusammen. Sie ist Mitbegründerin der "Liga für Hirtenvölker". Ein Netzwerk, in dem nicht- staatliche Organisationen aus Nord und Süd sich zusammengeschlossen haben, um sich für die Interessen von Nomaden - und Hirtenvölkern stark zu machen. "Für die ärmeren Viehhalter", wie Köhler-Rollefson betont. Die Nomaden und ihre Herden geraten weltweit zusehends in Bedrängnis.
Zum einen werden ihre Weidegründe immer knapper, weil der Ackerbau sich weiter ausbreitet. Zum andern setzen die meisten Regierungen blindlings auf importierte Hochleistungsrassen, um die Produktion von Milch, Fleisch und Eiern in ihren Ländern zu steigern. Da macht auch die Bundesregierung von Radjastan keine Ausnahme. Ilse Köhler-Rollefson
In Bezug auf Schafzucht ist es so, dass es auch 20 oder 30 Jahre lang Bemühungen gegeben hat, die einheimischen Schafe züchterisch zu verbessern durch Einkreuzen von Rambouillet- und Merinorassen. Da hat es auch ein Projekt gegeben. Das hat leider auch überhaupt keine Auswirkungen gehabt. Es wurden zwar männliche Tiere verteilt, aber die waren dann nicht in der Lage auf Wanderschaft zu gehen, die sind also gestorben. Davon sind also keine Konsequenzen zu merken.
Was noch der geringste Schaden sein mag, angesichts der katastrophalen Folgen unbedachter Züchtungsstrategien. Denn vielfach hat planloses Einkreuzen von Hochleistungstieren die traditionellen Rassen so stark zurückgedrängt, dass sie vom Aussterben bedroht sind. Damit verschwinden auch genetisch fixierte Eigenschaften, die für die Züchtung in der Zukunft sehr wertvoll sein können.
Jede Woche gehen ein bis zwei traditionelle Nutztierrassen verloren - so lautet der alarmierende Befund der FAO. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen hat das Thema 'bedrohte Nutztierrassen' erst vor Kurzem aufgegriffen. Mit der Erosion der Gene bei den Kulturpflanzen befasst sich die FAO hingegen bereits seit mehr als 20 Jahren. Aber die fortschreitende Industrialisierung der Landwirtschaft rund um den Globus hat vor den Nutztieren nicht halt gemacht.
Seit 1999 arbeitet die FAO nun an einem Weltzustandsbericht über gefährdete Haustierrassen - den tiergenetischen Ressourcen, wie es in der Fachsprache heißt. In der dritten Ausgabe der "World Watch Liste für Nutztier-Vielfalt" werden rund 2000 Lokalrassen aufgeführt, die unmittelbar vom Aussterben bedroht sind. Das ist knapp ein Drittel aller bisher registrierten Rassen. Inzwischen haben die FAO-Mitgliedsstaaten eine "Globale Strategie für tiergenetische Ressourcen" verabschiedet, um diese Entwicklung zu stoppen. Sie muss jetzt umgesetzt werden.
Auch in Deutschland und in anderen europäischen Ländern. Denn von Europas Weiden ist die Vielfalt längst verschwunden. In Rinder- und Schweineställen dominiert die Gleichförmigkeit mit Namen "Holstein-Rind" oder "Deutsches Edelschwein". Die "Informationsstelle Biologische Vielfalt", die beim Bundesministerium für Verbraucherschutz und Landwirtschaft angesiedelt ist, wirbt seit einigen Jahren in der deutschen Öffentlichkeit für den Erhalt der "Agrobiodiversität".
Aber in Zeiten der Globalisierung sind die Weichen anders gestellt. Auch in der Landwirtschaft wird für den Weltmarkt produziert. Und in den meisten Entwicklungsländern ist die industrielle Produktion mit hochgezüchteten Nutztierrassen und Hochertragssorten nach wie vor das Vorbild.
Auf der Südhalbkugel wächst die Nachfrage nach tierischen Produkten so rasant, dass das internationale Agrarforschungszentrum für Ernährungspolitik - das IFPRI in Washington - von einer "livestock revolution" spricht - von einer Revolution in der Tierhaltung. Mark Rosegrant vom IFPRI:
Wir sehen, dass in den Entwicklungsländern die Nachfrage nach Fleisch unglaublich schnell steigt. Gleichzeitig orientieren sich die Ernährungsgewohnheiten in den wachsenden Städte zusehends am Westen.
Am IFPRI schätzt man, dass sich Erzeugung und Verzehr von tierischen Produkten im Süden bis zum Jahr 2020 verdoppeln. Es ist die neue Mittelschicht in den wachsenden Städten, die mehr Milch, mehr Fleisch und Eier konsumiert. Erzeugt werden die tierischen Produkte zum großen Teil in Agrarfabriken an der Peripherie der Städte.
Das 'Tiermaterial' - wie es heißt - liefern global agierende Zuchtunternehmen - So halten ganze zwei Unternehmen 80 Prozent des Weltmarktes in der Hühnerbranche.
Die Technologie mit allem Drum und Dran lieferten die Industrieländer, konstatiert Mark Rosegrant lapidar
Es ist ein Gebiet, in dem die Entwicklungsländer die komplette Technologie - ob gut oder schlecht- exakt übernehmen können, die in den Industrieländern existiert. Massentierhaltungssyteme für Hühner und Schweine sind einschließlich der Futtermittel nahezu identisch übertragbar.
Allerdings darf nichts Unvorhergesehenes dazwischen kommen. Wie zum Beispiel die ökonomische Krise in Asien Ende der 90er Jahre. Dann kann die ausgetüftelte "Komplettlösung" zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Beate Scherf, die bei der FAO für den "Weltzustandsbericht über gefährdete Nutztierrassen" zuständig ist, nennt ein Beispiel:
Indonesien produziert Geflügel, Fleisch und Eier, hauptsächlich basierend auf ... Rassen, die halt importiert werden. Da wird sozusagen, das ganze Produktionssystem importiert vom Futter, Stall bis zur Genetik. Durch die Krise konnten sie sich das aber nicht mehr leisten. Und die Tiere konnten nicht mehr gefüttert werden, es wurden Massenschlachtungen durchgeführt. Und die Farmer, die noch lokale Rassen hatten, waren froh, dass sie überhaupt noch was hatten, mit dem sie produzieren konnten. Das zeigt also wirklich die Bedeutung. Haustierrassen, die nicht genutzt werden, sind schnell ausgestorben.
Die Tierfabriken gehen mit den bekannten Umweltbelastungen einher. Umso mehr als sanitäre Bestimmungen und Standards für den Umgang mit Gülle und Abfällen in den Entwicklungsländern nicht hoch sind. Und sie verdrängen kleinbäuerliche Produzenten vom Markt, deren Existenzgrundlage die Tiere sind. Mit der vermeintlich billigen Massenproduktion können kleine Viehhalter nicht konkurrieren.
Eine halbe Milliarde Hirten sind es weltweit und mindestens noch einmal 200 Millionen Kleinbauern und Landlose, die in Afrika, Asien und Lateinamerika Ackerbau und Viehzucht betreiben. Sie existieren von weniger als einem US-Dollar pro Tag und brauchen zum Überleben eine reiche Vielfalt lokal angepasster Kulturpflanzen und Tierrassen, die auch mit mageren Böden und unter schwierigen klimatischen Bedingungen zurechtkommen. Bis zu 80 Prozent ihres Bargeldeinkommens erwirtschaften sie aus der tierischen Produktion.
Wenn diese Menschen nicht mehr über die Milch für den eigenen Bedarf verfügen und ihr Fleisch nicht mehr verkaufen können, wird noch mehr Hunger die Folge sein. Natürlich müssen auch sie das Management ihrer Tiere ständig verbessern, und dazu brauchen sie technische Hilfe. Um die Züchtungsstrategien für die Herden weiterzuentwickeln, müssten die Lokalrassen allerdings als erstes angemessen bewertet werden. Davon kann bislang nicht die Rede sein.
Das Idol vom schnell wachsenden massigen Hochleistungsrind oder -schwein dominiert in allen Köpfen. Kleiner gebaute traditionelle Rassen können damit äußerlich oft nicht mithalten. Ihre Vorzüge werden dabei übersehen. Beate Scherf von der FAO:
Den Irrglauben, den es gibt und weshalb auch immer Rassen aus entwickelten Ländern in Entwicklungsländer exportiert werden und in Zuchtprogrammen genutzt werden, ist halt, dass diese Rassen produktiver sind und effektiver. Das Problem ist aber, dass sie nicht angepasst sind an die lokalen Bedingungen. Und dass die vergleichenden Studien, die gemacht wurden in der Vergangenheit eigentlich nie alle Aspekte in Betracht gezogen haben, sondern nur ganz enge Aspekte wie Fruchtbarkeit.
Die erfolgreichen Tiere verlangen viele Extras, wenn sie ihre Leistungen erbringen sollen. Wie Erbanlagen und Haltungsbedingungen zusammenspielen - Genotyp und Umwelt, wie es heißt - wurde in der Vergangenheit viel zu wenig berücksichtigt, betont auch Kurt Peters, Professor für Tierzüchtung an der Humboldt Universität in Berlin:
Die Fleischerzeugung setzt sich ja zusammen aus dem Reproduktionsprozess und dem Wachstumsprozess. Und frühere Ansätze haben immer den Wachstumsprozess nur im Auge gehabt, nämlich das schöne große fleischige Tier. Und haben vergessen, dass unter solchen Produktionsbedingungen auch die Reproduktion stattfinden muss. Und große, schöne, fleischige Tiere haben einfach nicht reproduziert. Und dann gab's keine Kälber, oder keine Nachzucht und dann gab's keine Fleischerzeugung.
Hochleistungstiere sind für eine genau vorgegebene Umgebung gezüchtet. Wie Stall, Futter und Krankheitsvorsorge auszusehen haben, ist präzise festgelegt. Die Tiere sind anspruchsvoll. Unter veränderten Umweltbedingungen ist es mit ihrer Leistung allerdings nicht mehr weit her.
Ganz anders die Lokalrassen. Sie produzieren und reproduzieren auch noch unter widrigen Umständen. Trotzdem werden sie von vielen Wissenschaftlern, Agrarexperten und auch Politikern gering geschätzt. Diese Art der tierischen Nahrungsmittelproduktion gilt als nicht wettbewerbsfähig.
Ganz falsch, sagt eine wissenschaftliche Langzeitstudie aus Zimbabwe, die eindeutig die hervorragenden Qualitäten der traditionellen Tuli-, Nkona- und Mashona Rinder im Vergleich mit Hochleistungsrassen wie Charolais oder Sussex belegt. Sobinoso Moyo vom Landwirtschaftsministerium in Harare:
Es kam ganz klar heraus, dass die indigenen Typen- die drei Züchtungen, über die wir reden - die beste Leistung erbrachten. Wenn man die Produktivität der Tiere insgesamt betrachtet: Ihre Fruchtbarkeit, wie die Kälber wachsen, und wie lange die Kühe produktiv bleiben. Wenn 100 Kühe in einer Saison zum Bullen gebracht wurden, dann gaben uns zum Beispiel 85 Prozent der Mashona-Kühe ein Kalb. Und das unter diesen harten Umweltbedingungen.
Die gleichen Ergebnisse brachten die Tuli- und Nkoni-Kühe. Am andern Ende der Skala standen Sussex und Charolais, die für ganze andere Umweltbedingungen gezüchtet wurden.
Es ist wichtig, das Produktionssystem zu verstehen, von dem die Rede ist. Wir sprechen von Bauern, die Milch haben möchten. Das sind bei uns überwiegend Kleinbauern. Sie brauchen auch Dung für ihre Felder. Und sie wollen Zugkraft von den Tieren. In so einer Situation braucht man ein Tier , das unter den harten Bedingungen überlebt und ein Kalb gibt. Dieses Kalb soll entweder zu einer Milchkuh aufwachsen oder zu einem Zugtier. In dieser Art System wünscht man sich ein widerstandsfähiges Tier, das überlebt.
Eine Reihe von Studien aus anderen Regionen kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Nur an sehr günstigen Standorten haben sich Kreuzungstiere bewährt. An mageren Standorten hingegen zeigen indigene Rassen gleiche, wenn nicht bessere Leistungen als Tiere, die mit europäischen Rassen gekreuzt wurden.
So konnte in Indien die Milchproduktion in den vergangenen Jahren beträchtlich gesteigert werden - dank der heimischen Büffel. Sie decken in Radjastan 60 Prozent des Milchbedarfs. Während Kühe, die mit Holstein, Jersey und Brown Swiss gekreuzt wurden, gerade ein Prozent zur Milchversorgung beitragen. In Äthiopien wurden eingekreuzte Ziegen mit heimischen Rassen verglichen. Dabei zeigt sich, dass die Kreuzungstiere zwar schneller wachsen, aber während der Trockenheit auch schneller wieder an Gewicht verlieren.
Viele Lokalrassen zeichnen sich durch eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber Wasser- und Futterknappheit aus und sind resistent gegenüber Krankheiten. Das hellgraue Nari-Rind z.B. mit seinen langen spitzen Hörnern, das von den Raikas in Radjastan gehalten wird, braucht praktisch keine Gesundheitsprophylaxe, berichtet Ilse Köhler-Rollefson von der "Liga für Hirtenvölker".
Das ist z.B. ein Rind, bei dem sind praktisch keine Krankheiten bekannt. Wir haben also die Leute gefragt, was gibt's für Krankheiten und die haben gesagt: Es gibt keine. Die einzige Krankheit, die es gibt, ist: Buki ka bimeri - d.h. die Krankheit des Hungers. Also, wenn es nichts zu fressen gibt, dann stirbt es.
Die Leistungen der traditionellen Rassen sowie der Nomaden, die sie in Jahrhunderten entwickelten, gelten bei den meisten akademisch gebildeten Tierzüchtern wenig. Sie sprechen gern von "Hinterhofzüchtung". Aber für einzelne Eigenschaften dieser angepassten Tiere interessieren sie sich durchaus. Die Widerstandsfähigkeit- Resistenz - gegenüber Maul- und Klauen-Seuche, Parasiten und anderen Krankheitserregern gehört sicherlich dazu. Mit Hilfe der Gentechnik hoffen die Wissenschaftler die Gene, die diese Eigenschaften ausdrücken, zu isolieren und auf andere Rassen zu übertragen.
Da gibt es z.B. eine ägyptische Hühnerrasse - das Fayoumi chicken - die resistent gegen bestimmte Viruskrankheiten ist
... Schon seit Jahrzehnten besteht großes amerikanisches Interesse an dieser Hühnerrasse. Das Problem war aber, dass gleichzeitig mit der Resistenz gegen die Viruskrankheiten sie auch sehr aggressiv wurde. Sie eignet sich nicht, in intensiven Haltungsbedingungen gehalten zu werden. Jetzt ist es so, dass man dank des genetic engineering meint, man kann spezifisch das Gen, was das Tier resistent gegen die Viruskrankheiten macht, rausnehmen und dann in andere Hühnerrassen einpflanzen. Und dann tritt natürlich die Frage des geistigen Eigentums auf. Wem gehört das Ganze?
Das "Booroola-Gen", das bei Schafen für Mehrfachgeburten sorgt, stammt ursprünglich von einer bengalischen Rasse. Um 1800 wurde sie in australische Merinoschafe eingekreuzt. Die Herden vergrößerten sich sprunghaft. Jetzt hat ein Forschungsinstitut aus Neuseeland ein Patent auf das Gen angemeldet.
Über das Züchtungsinstrument der Gentechnik geraten die traditionellen Tierhalter in weitere Bedrängnis. Denn für die Nutztiere zeichnet sich bereits ab, was in der Pflanzenzüchtung längst gang und gebe ist: Für gentechnische Manipulationen am Erbgut der Tiere beantragen die Geningenieure flugs ein Patent. Welche Folgen das für die Nomaden haben wird, ist noch gar nicht absehbar.
Keith Hammond, der das Tiergenetische Programm bei der FAO angeschoben hat, berichtet jedenfalls:
Einige Entwicklungsländer sind ernstlich beunruhigt darüber, dass Industrieländer genetisches Material von Tieren aus Entwicklungsländern für den Preis eines Tieres bekommen haben. Mit dem Verkauf verdienen sie jetzt Geld, ohne die angemessen zu entschädigen, die das genetische Material hervorgebracht haben.
Der Genklau - wie Kritiker die Selbstbedienung von Züchtungsunternehmen aus dem Norden im Genpool der Dritten Welt bezeichnen - kann umso ungenierter stattfinden, je weniger die Züchtungsstrategien der Nomaden als solche anerkannt werden. Dazu passt die Einschätzung, diese Rassen hätten sich lediglich durch den Einfluss der Umwelt entwickelt - ohne Zutun ihrer Halter und Besitzer. Am Fachbereich für internationale Tierzüchtung der Humboldt Universität wird das anders gesehen. Kurt Peters:
Unsere AG befasst sich mit der Entwicklung von Methoden, um im Tiernutzungssektor Informationen zu gewinnen überall dort, wo keine geschriebenen und anders auffindbaren Informationen verfügbar sind. Wir zielen da insbesondere ab auf die Integration der Tiernutzer, Halter, Eigner dieser Tiere, die ja auch jetzt die Ressource nutzen und alle Entscheidungen treffen. Wir sind besonders interessiert, wie Züchter an extensiven Standorten Zuchtziele definieren. Welche Merkmale sie dabei im Auge haben, wie sie die bewerten, um aus dieser Erkenntnis heraus praktisch auch den ersten Ansatz für Selbsthilfeaktivitäten zu entwickeln. Denn Tierzucht ist eine Gemeinschaftsaufgabe.
Ausgeprägte Rassen, wie sie heute bekannt sind, gibt es auch in Europa noch gar nicht so lange. Sie sind am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden - in der Tat als Gemeinschaftsaufgabe. Die Bauern hatten sich zusammengeschlossen und die ersten Herdbücher gegründet. Quasi eine Buchführung der Züchtungsschritte und -strategien, die den Stammbaum der Tiere nachvollziehbar macht. Solche Herdbücher existieren nicht in den Ländern des Südens - wo viele Kulturen nicht schriftlich, sondern mündlich überliefert werden.
Die Liga für Hirtenvölker hat die Erfahrung gemacht, dass die Besitzer der Tiere deren Herkunft und Stammbaum genau kennen. Den hätten sie im Kopf - sagt Ilse Köhler-Rollefson. Die Liga und andere nicht-staatliche Organisationen, die für eine "menschenorientierte Erhaltung von Nutztieren" zusammenarbeiten, sind aktiv geworden. Mit Unterstützung auch durch die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit haben sie begonnen, die Zuchtziele und -strategien der Hirtenvölker - d.h. deren geistige Leistung - zu dokumentieren.
Wir versuchen das zu dokumentieren für den Fall, dass diese Rassen bestimmte Gene enthalten, die später mal von kommerziellem Interesse sein könnten, um zu verhindern, dass die von Außenstehenden oder industriellen Interessen patentiert werden. Wenn das einmal schriftlich niedergelegt worden ist, dass diese Rasse von bestimmten Hirtenvölkern geschaffen worden ist, dass da eine geistige Leistung dabei beteiligt ist, dann ist das unmöglich die später zu patentieren.
So soll festgehalten werden, was Nomaden und Bauern über die Jahrhunderte zur Entwicklung traditioneller Haustierrassen, also auch ihrer Gene, beigetragen haben, um der Biopiraterie entgegenzutreten. Darüberhinaus müsse ein internationaler Vertrag abgeschlossen werden, der den Tierhaltern im Süden langfristig den freien Zugang zu den tiergenetischen Ressourcen sichert und sie an Gewinnen aus deren Nutzung beteiligt. So wie der, der im vergangenen Jahr nach zähen Verhandlungen für landwirtschaftliche Nutzpflanzen zustandekam.
Ilse Köhler-Rollefson arbeitet seit zehn Jahren mit den Raikas zusammen. Sie ist Mitbegründerin der "Liga für Hirtenvölker". Ein Netzwerk, in dem nicht- staatliche Organisationen aus Nord und Süd sich zusammengeschlossen haben, um sich für die Interessen von Nomaden - und Hirtenvölkern stark zu machen. "Für die ärmeren Viehhalter", wie Köhler-Rollefson betont. Die Nomaden und ihre Herden geraten weltweit zusehends in Bedrängnis.
Zum einen werden ihre Weidegründe immer knapper, weil der Ackerbau sich weiter ausbreitet. Zum andern setzen die meisten Regierungen blindlings auf importierte Hochleistungsrassen, um die Produktion von Milch, Fleisch und Eiern in ihren Ländern zu steigern. Da macht auch die Bundesregierung von Radjastan keine Ausnahme. Ilse Köhler-Rollefson
In Bezug auf Schafzucht ist es so, dass es auch 20 oder 30 Jahre lang Bemühungen gegeben hat, die einheimischen Schafe züchterisch zu verbessern durch Einkreuzen von Rambouillet- und Merinorassen. Da hat es auch ein Projekt gegeben. Das hat leider auch überhaupt keine Auswirkungen gehabt. Es wurden zwar männliche Tiere verteilt, aber die waren dann nicht in der Lage auf Wanderschaft zu gehen, die sind also gestorben. Davon sind also keine Konsequenzen zu merken.
Was noch der geringste Schaden sein mag, angesichts der katastrophalen Folgen unbedachter Züchtungsstrategien. Denn vielfach hat planloses Einkreuzen von Hochleistungstieren die traditionellen Rassen so stark zurückgedrängt, dass sie vom Aussterben bedroht sind. Damit verschwinden auch genetisch fixierte Eigenschaften, die für die Züchtung in der Zukunft sehr wertvoll sein können.
Jede Woche gehen ein bis zwei traditionelle Nutztierrassen verloren - so lautet der alarmierende Befund der FAO. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen hat das Thema 'bedrohte Nutztierrassen' erst vor Kurzem aufgegriffen. Mit der Erosion der Gene bei den Kulturpflanzen befasst sich die FAO hingegen bereits seit mehr als 20 Jahren. Aber die fortschreitende Industrialisierung der Landwirtschaft rund um den Globus hat vor den Nutztieren nicht halt gemacht.
Seit 1999 arbeitet die FAO nun an einem Weltzustandsbericht über gefährdete Haustierrassen - den tiergenetischen Ressourcen, wie es in der Fachsprache heißt. In der dritten Ausgabe der "World Watch Liste für Nutztier-Vielfalt" werden rund 2000 Lokalrassen aufgeführt, die unmittelbar vom Aussterben bedroht sind. Das ist knapp ein Drittel aller bisher registrierten Rassen. Inzwischen haben die FAO-Mitgliedsstaaten eine "Globale Strategie für tiergenetische Ressourcen" verabschiedet, um diese Entwicklung zu stoppen. Sie muss jetzt umgesetzt werden.
Auch in Deutschland und in anderen europäischen Ländern. Denn von Europas Weiden ist die Vielfalt längst verschwunden. In Rinder- und Schweineställen dominiert die Gleichförmigkeit mit Namen "Holstein-Rind" oder "Deutsches Edelschwein". Die "Informationsstelle Biologische Vielfalt", die beim Bundesministerium für Verbraucherschutz und Landwirtschaft angesiedelt ist, wirbt seit einigen Jahren in der deutschen Öffentlichkeit für den Erhalt der "Agrobiodiversität".
Aber in Zeiten der Globalisierung sind die Weichen anders gestellt. Auch in der Landwirtschaft wird für den Weltmarkt produziert. Und in den meisten Entwicklungsländern ist die industrielle Produktion mit hochgezüchteten Nutztierrassen und Hochertragssorten nach wie vor das Vorbild.
Auf der Südhalbkugel wächst die Nachfrage nach tierischen Produkten so rasant, dass das internationale Agrarforschungszentrum für Ernährungspolitik - das IFPRI in Washington - von einer "livestock revolution" spricht - von einer Revolution in der Tierhaltung. Mark Rosegrant vom IFPRI:
Wir sehen, dass in den Entwicklungsländern die Nachfrage nach Fleisch unglaublich schnell steigt. Gleichzeitig orientieren sich die Ernährungsgewohnheiten in den wachsenden Städte zusehends am Westen.
Am IFPRI schätzt man, dass sich Erzeugung und Verzehr von tierischen Produkten im Süden bis zum Jahr 2020 verdoppeln. Es ist die neue Mittelschicht in den wachsenden Städten, die mehr Milch, mehr Fleisch und Eier konsumiert. Erzeugt werden die tierischen Produkte zum großen Teil in Agrarfabriken an der Peripherie der Städte.
Das 'Tiermaterial' - wie es heißt - liefern global agierende Zuchtunternehmen - So halten ganze zwei Unternehmen 80 Prozent des Weltmarktes in der Hühnerbranche.
Die Technologie mit allem Drum und Dran lieferten die Industrieländer, konstatiert Mark Rosegrant lapidar
Es ist ein Gebiet, in dem die Entwicklungsländer die komplette Technologie - ob gut oder schlecht- exakt übernehmen können, die in den Industrieländern existiert. Massentierhaltungssyteme für Hühner und Schweine sind einschließlich der Futtermittel nahezu identisch übertragbar.
Allerdings darf nichts Unvorhergesehenes dazwischen kommen. Wie zum Beispiel die ökonomische Krise in Asien Ende der 90er Jahre. Dann kann die ausgetüftelte "Komplettlösung" zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Beate Scherf, die bei der FAO für den "Weltzustandsbericht über gefährdete Nutztierrassen" zuständig ist, nennt ein Beispiel:
Indonesien produziert Geflügel, Fleisch und Eier, hauptsächlich basierend auf ... Rassen, die halt importiert werden. Da wird sozusagen, das ganze Produktionssystem importiert vom Futter, Stall bis zur Genetik. Durch die Krise konnten sie sich das aber nicht mehr leisten. Und die Tiere konnten nicht mehr gefüttert werden, es wurden Massenschlachtungen durchgeführt. Und die Farmer, die noch lokale Rassen hatten, waren froh, dass sie überhaupt noch was hatten, mit dem sie produzieren konnten. Das zeigt also wirklich die Bedeutung. Haustierrassen, die nicht genutzt werden, sind schnell ausgestorben.
Die Tierfabriken gehen mit den bekannten Umweltbelastungen einher. Umso mehr als sanitäre Bestimmungen und Standards für den Umgang mit Gülle und Abfällen in den Entwicklungsländern nicht hoch sind. Und sie verdrängen kleinbäuerliche Produzenten vom Markt, deren Existenzgrundlage die Tiere sind. Mit der vermeintlich billigen Massenproduktion können kleine Viehhalter nicht konkurrieren.
Eine halbe Milliarde Hirten sind es weltweit und mindestens noch einmal 200 Millionen Kleinbauern und Landlose, die in Afrika, Asien und Lateinamerika Ackerbau und Viehzucht betreiben. Sie existieren von weniger als einem US-Dollar pro Tag und brauchen zum Überleben eine reiche Vielfalt lokal angepasster Kulturpflanzen und Tierrassen, die auch mit mageren Böden und unter schwierigen klimatischen Bedingungen zurechtkommen. Bis zu 80 Prozent ihres Bargeldeinkommens erwirtschaften sie aus der tierischen Produktion.
Wenn diese Menschen nicht mehr über die Milch für den eigenen Bedarf verfügen und ihr Fleisch nicht mehr verkaufen können, wird noch mehr Hunger die Folge sein. Natürlich müssen auch sie das Management ihrer Tiere ständig verbessern, und dazu brauchen sie technische Hilfe. Um die Züchtungsstrategien für die Herden weiterzuentwickeln, müssten die Lokalrassen allerdings als erstes angemessen bewertet werden. Davon kann bislang nicht die Rede sein.
Das Idol vom schnell wachsenden massigen Hochleistungsrind oder -schwein dominiert in allen Köpfen. Kleiner gebaute traditionelle Rassen können damit äußerlich oft nicht mithalten. Ihre Vorzüge werden dabei übersehen. Beate Scherf von der FAO:
Den Irrglauben, den es gibt und weshalb auch immer Rassen aus entwickelten Ländern in Entwicklungsländer exportiert werden und in Zuchtprogrammen genutzt werden, ist halt, dass diese Rassen produktiver sind und effektiver. Das Problem ist aber, dass sie nicht angepasst sind an die lokalen Bedingungen. Und dass die vergleichenden Studien, die gemacht wurden in der Vergangenheit eigentlich nie alle Aspekte in Betracht gezogen haben, sondern nur ganz enge Aspekte wie Fruchtbarkeit.
Die erfolgreichen Tiere verlangen viele Extras, wenn sie ihre Leistungen erbringen sollen. Wie Erbanlagen und Haltungsbedingungen zusammenspielen - Genotyp und Umwelt, wie es heißt - wurde in der Vergangenheit viel zu wenig berücksichtigt, betont auch Kurt Peters, Professor für Tierzüchtung an der Humboldt Universität in Berlin:
Die Fleischerzeugung setzt sich ja zusammen aus dem Reproduktionsprozess und dem Wachstumsprozess. Und frühere Ansätze haben immer den Wachstumsprozess nur im Auge gehabt, nämlich das schöne große fleischige Tier. Und haben vergessen, dass unter solchen Produktionsbedingungen auch die Reproduktion stattfinden muss. Und große, schöne, fleischige Tiere haben einfach nicht reproduziert. Und dann gab's keine Kälber, oder keine Nachzucht und dann gab's keine Fleischerzeugung.
Hochleistungstiere sind für eine genau vorgegebene Umgebung gezüchtet. Wie Stall, Futter und Krankheitsvorsorge auszusehen haben, ist präzise festgelegt. Die Tiere sind anspruchsvoll. Unter veränderten Umweltbedingungen ist es mit ihrer Leistung allerdings nicht mehr weit her.
Ganz anders die Lokalrassen. Sie produzieren und reproduzieren auch noch unter widrigen Umständen. Trotzdem werden sie von vielen Wissenschaftlern, Agrarexperten und auch Politikern gering geschätzt. Diese Art der tierischen Nahrungsmittelproduktion gilt als nicht wettbewerbsfähig.
Ganz falsch, sagt eine wissenschaftliche Langzeitstudie aus Zimbabwe, die eindeutig die hervorragenden Qualitäten der traditionellen Tuli-, Nkona- und Mashona Rinder im Vergleich mit Hochleistungsrassen wie Charolais oder Sussex belegt. Sobinoso Moyo vom Landwirtschaftsministerium in Harare:
Es kam ganz klar heraus, dass die indigenen Typen- die drei Züchtungen, über die wir reden - die beste Leistung erbrachten. Wenn man die Produktivität der Tiere insgesamt betrachtet: Ihre Fruchtbarkeit, wie die Kälber wachsen, und wie lange die Kühe produktiv bleiben. Wenn 100 Kühe in einer Saison zum Bullen gebracht wurden, dann gaben uns zum Beispiel 85 Prozent der Mashona-Kühe ein Kalb. Und das unter diesen harten Umweltbedingungen.
Die gleichen Ergebnisse brachten die Tuli- und Nkoni-Kühe. Am andern Ende der Skala standen Sussex und Charolais, die für ganze andere Umweltbedingungen gezüchtet wurden.
Es ist wichtig, das Produktionssystem zu verstehen, von dem die Rede ist. Wir sprechen von Bauern, die Milch haben möchten. Das sind bei uns überwiegend Kleinbauern. Sie brauchen auch Dung für ihre Felder. Und sie wollen Zugkraft von den Tieren. In so einer Situation braucht man ein Tier , das unter den harten Bedingungen überlebt und ein Kalb gibt. Dieses Kalb soll entweder zu einer Milchkuh aufwachsen oder zu einem Zugtier. In dieser Art System wünscht man sich ein widerstandsfähiges Tier, das überlebt.
Eine Reihe von Studien aus anderen Regionen kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Nur an sehr günstigen Standorten haben sich Kreuzungstiere bewährt. An mageren Standorten hingegen zeigen indigene Rassen gleiche, wenn nicht bessere Leistungen als Tiere, die mit europäischen Rassen gekreuzt wurden.
So konnte in Indien die Milchproduktion in den vergangenen Jahren beträchtlich gesteigert werden - dank der heimischen Büffel. Sie decken in Radjastan 60 Prozent des Milchbedarfs. Während Kühe, die mit Holstein, Jersey und Brown Swiss gekreuzt wurden, gerade ein Prozent zur Milchversorgung beitragen. In Äthiopien wurden eingekreuzte Ziegen mit heimischen Rassen verglichen. Dabei zeigt sich, dass die Kreuzungstiere zwar schneller wachsen, aber während der Trockenheit auch schneller wieder an Gewicht verlieren.
Viele Lokalrassen zeichnen sich durch eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber Wasser- und Futterknappheit aus und sind resistent gegenüber Krankheiten. Das hellgraue Nari-Rind z.B. mit seinen langen spitzen Hörnern, das von den Raikas in Radjastan gehalten wird, braucht praktisch keine Gesundheitsprophylaxe, berichtet Ilse Köhler-Rollefson von der "Liga für Hirtenvölker".
Das ist z.B. ein Rind, bei dem sind praktisch keine Krankheiten bekannt. Wir haben also die Leute gefragt, was gibt's für Krankheiten und die haben gesagt: Es gibt keine. Die einzige Krankheit, die es gibt, ist: Buki ka bimeri - d.h. die Krankheit des Hungers. Also, wenn es nichts zu fressen gibt, dann stirbt es.
Die Leistungen der traditionellen Rassen sowie der Nomaden, die sie in Jahrhunderten entwickelten, gelten bei den meisten akademisch gebildeten Tierzüchtern wenig. Sie sprechen gern von "Hinterhofzüchtung". Aber für einzelne Eigenschaften dieser angepassten Tiere interessieren sie sich durchaus. Die Widerstandsfähigkeit- Resistenz - gegenüber Maul- und Klauen-Seuche, Parasiten und anderen Krankheitserregern gehört sicherlich dazu. Mit Hilfe der Gentechnik hoffen die Wissenschaftler die Gene, die diese Eigenschaften ausdrücken, zu isolieren und auf andere Rassen zu übertragen.
Da gibt es z.B. eine ägyptische Hühnerrasse - das Fayoumi chicken - die resistent gegen bestimmte Viruskrankheiten ist
... Schon seit Jahrzehnten besteht großes amerikanisches Interesse an dieser Hühnerrasse. Das Problem war aber, dass gleichzeitig mit der Resistenz gegen die Viruskrankheiten sie auch sehr aggressiv wurde. Sie eignet sich nicht, in intensiven Haltungsbedingungen gehalten zu werden. Jetzt ist es so, dass man dank des genetic engineering meint, man kann spezifisch das Gen, was das Tier resistent gegen die Viruskrankheiten macht, rausnehmen und dann in andere Hühnerrassen einpflanzen. Und dann tritt natürlich die Frage des geistigen Eigentums auf. Wem gehört das Ganze?
Das "Booroola-Gen", das bei Schafen für Mehrfachgeburten sorgt, stammt ursprünglich von einer bengalischen Rasse. Um 1800 wurde sie in australische Merinoschafe eingekreuzt. Die Herden vergrößerten sich sprunghaft. Jetzt hat ein Forschungsinstitut aus Neuseeland ein Patent auf das Gen angemeldet.
Über das Züchtungsinstrument der Gentechnik geraten die traditionellen Tierhalter in weitere Bedrängnis. Denn für die Nutztiere zeichnet sich bereits ab, was in der Pflanzenzüchtung längst gang und gebe ist: Für gentechnische Manipulationen am Erbgut der Tiere beantragen die Geningenieure flugs ein Patent. Welche Folgen das für die Nomaden haben wird, ist noch gar nicht absehbar.
Keith Hammond, der das Tiergenetische Programm bei der FAO angeschoben hat, berichtet jedenfalls:
Einige Entwicklungsländer sind ernstlich beunruhigt darüber, dass Industrieländer genetisches Material von Tieren aus Entwicklungsländern für den Preis eines Tieres bekommen haben. Mit dem Verkauf verdienen sie jetzt Geld, ohne die angemessen zu entschädigen, die das genetische Material hervorgebracht haben.
Der Genklau - wie Kritiker die Selbstbedienung von Züchtungsunternehmen aus dem Norden im Genpool der Dritten Welt bezeichnen - kann umso ungenierter stattfinden, je weniger die Züchtungsstrategien der Nomaden als solche anerkannt werden. Dazu passt die Einschätzung, diese Rassen hätten sich lediglich durch den Einfluss der Umwelt entwickelt - ohne Zutun ihrer Halter und Besitzer. Am Fachbereich für internationale Tierzüchtung der Humboldt Universität wird das anders gesehen. Kurt Peters:
Unsere AG befasst sich mit der Entwicklung von Methoden, um im Tiernutzungssektor Informationen zu gewinnen überall dort, wo keine geschriebenen und anders auffindbaren Informationen verfügbar sind. Wir zielen da insbesondere ab auf die Integration der Tiernutzer, Halter, Eigner dieser Tiere, die ja auch jetzt die Ressource nutzen und alle Entscheidungen treffen. Wir sind besonders interessiert, wie Züchter an extensiven Standorten Zuchtziele definieren. Welche Merkmale sie dabei im Auge haben, wie sie die bewerten, um aus dieser Erkenntnis heraus praktisch auch den ersten Ansatz für Selbsthilfeaktivitäten zu entwickeln. Denn Tierzucht ist eine Gemeinschaftsaufgabe.
Ausgeprägte Rassen, wie sie heute bekannt sind, gibt es auch in Europa noch gar nicht so lange. Sie sind am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden - in der Tat als Gemeinschaftsaufgabe. Die Bauern hatten sich zusammengeschlossen und die ersten Herdbücher gegründet. Quasi eine Buchführung der Züchtungsschritte und -strategien, die den Stammbaum der Tiere nachvollziehbar macht. Solche Herdbücher existieren nicht in den Ländern des Südens - wo viele Kulturen nicht schriftlich, sondern mündlich überliefert werden.
Die Liga für Hirtenvölker hat die Erfahrung gemacht, dass die Besitzer der Tiere deren Herkunft und Stammbaum genau kennen. Den hätten sie im Kopf - sagt Ilse Köhler-Rollefson. Die Liga und andere nicht-staatliche Organisationen, die für eine "menschenorientierte Erhaltung von Nutztieren" zusammenarbeiten, sind aktiv geworden. Mit Unterstützung auch durch die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit haben sie begonnen, die Zuchtziele und -strategien der Hirtenvölker - d.h. deren geistige Leistung - zu dokumentieren.
Wir versuchen das zu dokumentieren für den Fall, dass diese Rassen bestimmte Gene enthalten, die später mal von kommerziellem Interesse sein könnten, um zu verhindern, dass die von Außenstehenden oder industriellen Interessen patentiert werden. Wenn das einmal schriftlich niedergelegt worden ist, dass diese Rasse von bestimmten Hirtenvölkern geschaffen worden ist, dass da eine geistige Leistung dabei beteiligt ist, dann ist das unmöglich die später zu patentieren.
So soll festgehalten werden, was Nomaden und Bauern über die Jahrhunderte zur Entwicklung traditioneller Haustierrassen, also auch ihrer Gene, beigetragen haben, um der Biopiraterie entgegenzutreten. Darüberhinaus müsse ein internationaler Vertrag abgeschlossen werden, der den Tierhaltern im Süden langfristig den freien Zugang zu den tiergenetischen Ressourcen sichert und sie an Gewinnen aus deren Nutzung beteiligt. So wie der, der im vergangenen Jahr nach zähen Verhandlungen für landwirtschaftliche Nutzpflanzen zustandekam.