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Überfrachtet mit Bedeutung

Eigentlich spielt Hans Pfitzners Oper "Palestrina" im 16. Jahrhundert. Regisseur Harry Kupfer überfrachtet seine Inszenierung jedoch mit Projektionen von Stalin, die überdeutlich auf das Verhältnis des Diktators zu Schostakowitsch hinweisen sollen. Die Musik hingegen führt in dunkelste emotionale Welten.

Von Natascha Pflaumbaum |
    "Allein in dunkler Tiefe": dem Komponisten Palestrina erscheint seine verstorbene Frau Lukrezia. Mitten in einer Schaffenskrise hofft Palestrina durch diese Erscheinung auf eine Eingebung, um endlich die Messe schreiben zu können, die die Kirche von ihm fordert.

    Vital und viril singt und spielt der Tenor Kurt Streit die Figur Palestrina in dieser Schlüsselszene der Oper "Palestrina" von Hans Pfitzner - er ist alles andere als ein verzweifelt Trauernder. Durch seine helle, kräftige, an den Tenor Fritz Wunderlich erinnernde Stimme, seine berührende Deklamation zieht Streit gerade im ersten Akt der Oper alle Aufmerksamkeit auf sich. Wenn der Sänger dann am Ende dieses Aktes in einer großen martialischen Fesselungsszene mit Dornenkrone auf dem Kopf blutend über die Bühne kriecht, ist das der Höhepunkt dieser Frankfurter Inszenierung. Die Oper könnte jetzt eigentlich vorbei sein.

    Doch es geht weiter. Zwei Akte noch. Der Dirigent Kirill Petrenko kann Streits Ton abnehmen, indem er dazu eine Musik inszeniert, die wild auffährt, zusammenbricht, in dunkelste emotionale Welten führt. Petrenko ist ein Musikarchitekt, der Hans Pfitzners disparate Musik mit dem Frankfurter Museumsorchester so zusammenbaut, als seien die sakralen Klänge der Neo-Renaissance, die Pfitzner dem Komponisten Palestrina hier unterschiebt, immer schon eingeschrieben in seinen eigenen wild aufbäumenden spätromantischen Stil.

    Diesen Klang, der alles aus sich selbst entwickelt, bebildert der Altstar des deutschen Regietheaters Harry Kupfer mit einem symbolistischen Bilder-Overkill. Brachial symbolträchtig, alles andere als subtiler Zeichencode, glimmen hinter einem roten Plenumssaal, in und vor und hinter dem sich alles abspielt, überdimensionale Bild- und Filmprojektionen. Gleich zu Beginn wird auf dieser Superleinwand ein Doppelporträt des Komponisten Palestrina und des Papstes Pius IV. wie von Zauberhand übermalt mit dem Kopf des Komponisten Schostakowitsch und dem Kopf des Diktators Stalin.

    Harry Kupfer markiert so allzu deutlich die Zeitlosigkeit der nun folgenden Geschichte, die der Zuschauer über dreieinhalb Stunden nun übertragen sieht in eine Welt der Stalin-Sowjetunion: Panzer, Orden, sowjetische Statuen, Palestrina-Partituren, rote Fackeln, rote Sterne, Stalin redend, Stalin schauend, Stalin gehend. Dazwischen Stacheldraht, der zur Dornenkrone mutiert, immer wieder Stacheldraht: das Symbol des Martyriums schlechthin. Anfangs noch assoziationsfördernd, verkommt der pathetische Projektionsoverkill allmählich zur kitschigen dekorativen Tapete. Harry Kupfer wird Opfer seiner eigenen Regiepropaganda.

    Kupfers Regieästhetik alter Schule wirkt rückwärtsgewandt, Kirill Petrenkos Blick auf diese Musik dagegen vorausschauend: ein Widerspruch, der sich in der Frankfurter Produktion bis zum Ende nicht verspielt.