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Überfüllte Hörsäle

Wer sich nicht nur über volle Hörsäle ärgert, sondern den Grund dafür erfahren will, der stolpert recht schnell über die so genannte "KapVo" - die Kapazitätsverordnung. Mit ihr wird bundesweit errechnet, mit wie vielen Studenten ein Studiengang ausgelastet ist. Wieder einmal ist eine Verordnung schuld an der Misere. Aber warum kann man diese Verordnung aus dem Jahr 1975 nicht einfach abschaffen? Ein Besuch an der Universität Dortmund.

Von Christiane Krüger |
    "Das ist eine Katastrophe. Man bekommt teilweise nichts von den Veranstaltungen mit. Da kann man genauso gut zu Hause bleiben. Die Professoren nehmen keine Rücksicht. Dadurch lernt man es eigentlich nicht."

    "Ich finde das natürlich nicht so toll, wenn man zum Beispiel keinen Tisch vor sich hat, um darauf zu schreiben oder überhaupt keinen Platz, ist immer sehr anstrengend."

    Der Grund für überfüllte Hörsäle liegt in der Kapazitätsverordnung. Sie regelt seit 30 Jahren, wie viel Personal für die Studentenbetreuung gebraucht wird. Denn laut Grundgesetz-Artikel 12 - freie Berufswahl - soll jeder studieren können, was er will. Die Hochschulen sollten dazu verpflichtet werden, ihre Kapazitäten erschöpfend zu nutzen. Hat das Fach Physik zum Beispiel zwanzig Professoren und 40 wissenschaftliche Mitarbeiter, dann können 840 Studenten aufgenommen werden - das entspricht in dem Fall 14 Studenten pro Dozent. Reine Zahlenspiele. In der Realität laufen die Fächer voll. Denn eine Zahl, die als oberster Wert von den Gerichten angenommen wurde, wird mittlerweile von den Ländern als normale Planungszahl missbraucht. Michael Stückradt, Staatssekretär im Innovationsministerium in Nordrhein-Westfalen, wünscht sich ein Ende der KapVO, die die Hochschulen knebelt:

    " Eine völlige Abschaffung halte ich persönlich durchaus für wünschenswert, ich glaube aber, dass sie unrealistisch ist, solange die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel zwölf Grundgesetz der Berufszugangsfreiheit so besteht, wie sie seit den 70er-Jahren besteht. "

    NRW will neue Wege beschreiten. Künftig sollen die Hochschulen entscheiden können, welche Fächer ihnen wichtig sind - ob sie eine bessere Betreuung in der Medizin oder in der Betriebswirtschaft haben möchten. Michael Stückradt:

    " Deshalb ist unser nächster Schritt, dass wir in der KapVo die so genannten Curricularnormwerte, das ist der rechnerische Aufwand der nötig ist, um einen Studenten zum Examen zu bringen, dass wir diesen Rechenwert nicht mehr fest vorschreiben, sondern Bandbreiten vorgeben, innerhalb derer dann die Hochschulen selbst Schwerpunkte setzen können, und dazu haben wir in Nordrhein-Westfalen eine a) Arbeitsgruppe gegründet, die vernünftige Vorschläge erarbeitet und sind b) auch im Gespräch mit anderen Bundesländern. "

    Schon ab dem kommenden Wintersemester könnten die Hochschulen mit dieser neuen Berechnung planen. So wird zum Beispiel eine bessere Betreuung von Bachelor-Studenten möglich. Noch kam die Arbeitsgruppe zu keinem Ergebnis. Aber derzeit wird über eine Bandbreite von 85 bis 120 Prozent des bisherigen Betreuungswertes diskutiert. Demnach müsste es Fächer geben, die bereit sind, 20 Prozent mehr Studierende aufzunehmen. Andere Fächer müssten entsprechend weniger Studenten ausbilden. Statt der 840 Diplom-Studenten im Fach Physik zum Beispiel könnten nur noch 505 Bachelor-Studenten aufgenommen werden. Zumindest wenn man davon ausgeht, dass maximal die Hälfte weiter bis zum Master-Abschluss studiert, was ja in Nordrhein-Westfalen Planungsgrundlage ist. Der Prorektor für Planung und Personalentwicklung der Universität Dortmund, Johannes Bohlen, fragt sich allerdings, welche Fächer schon freiwillig einwilligen, mehr Studierende auszubilden.

    " Von daher kann ich nicht sehen, dass es Fächer geben könnte, die davon Gebrauch machen, den Curricularnormwert niedriger als den bisherigen anzusetzen. Es werden alle versuchen, an die Grenze dieser Bandbreiten zu gehen "

    Weitere Grabenkämpfe an der Hochschule sind vorprogrammiert. Jedes Fach wird sich dafür einsetzen, bessere Betreuungsquoten zu erhalten. Außerdem sieht Bohlen eine Reihe von Klagen von abgewiesenen Studierenden auf die Hochschulen zukommen. So mancher Dozent geht das Problem der überfüllten Hörsäle deutlich pragmatischer an - wie der Dortmunder Student Philipp Fröhlich berichtet:

    " Es gibt teilweise Dozenten, die davon abraten zu den Vorlesungen zu kommen, die das komplette Material ins Internet stellen, um zu erreichen, dass die Hörsäle nicht so überfüllt sind und dass man überhaupt arbeiten kann. "