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Überleben in der Dauerkrise

Eine Reise nach Heyerode in Thüringen. Mittendrin eine kleine Fabrik mit einem Hinterhof als Firmenparkplatz.

Helmut Frei | 18.02.2001
    Drinnen in einem der Fabriksäle Strickautomaten vom Feinsten, supermoderne Technik, aber nicht wie einst aus dem sächsischen Chemnitz, sondern aus dem württembergischen Reutlingen, computergesteuert, personalsparend. Die Krumbeins , denen das Unternehmen gehört, sind Textilfabrikanten, wie es sie überall in Sachsen und Thüringen gab - bis die Einheitssozialisten der DDR die Besitzer enteigneten und aus ihren Werken volkseigene Betriebe machten. Die Krumbeins harrten aus und bekamen nach der Wende ihre alte Firma zurück.

    Margarete Krumbein, die Chefin, hatte sich auch zu DDR-Zeiten den Sinn für Mode bewahrt. Sie suchte den Kontakt zu Escada in München, einer der Topadressen der deutschen Bekleidungsindustrie. Heute ist die thüringische Traditionsfirma der größte Zwischenmeister von Escada - und Escada ist der wichtigste Kunde.....

    Anstatt die Büros modern zu stylen, investierten die Besitzer Millionen in neue Maschinen. Die Produktion ging vor - und Bankkredite konnten fristgerecht zurückbezahlt werden. Selbst die Verhandlungen mit Escada nutzte das Unternehmerehepaar nicht zu einem verlängerten Wochenende in München, wie Margarete Krumbein erzählt:

    Margarete Krumbein: "Wenn wir das alles an einem Tag auf einer Backe absitzen, dann muss eben ein anständiges Auto her. Dann bin ich früh um halb fünf los mit meinem Mann nach München, haben wir die Verhandlungen geführt und sind am gleichen Tag nach Hause. So ist das auch in Holland und da und dort, wo wir überall hinfahren. Wir fahren früh hin. Und wir waren auch in Aachen und da hätt ich auch mal gerne den Aachener Dom gesehen. Und da hat mein Mann gesagt: Wenn du ihn sehen willst, schau in den Rückspiegel, wir fahren nach Hause - so einfach ist das für uns."

    Ein Vorzeigebeispiel, die Ausnahme von der Regel. Ostdeutsche Textilunternehmen von überregionaler Bedeutung sind rar. Dabei gehörte die Textilindustrie der DDR zu jenen stark exportorientierten Branchen, die massenweise in den Westen verkauften, nicht zuletzt an Warenhäuser und an den Versandhandel.

    Mühlhausen in Thüringen, ein hübsches Städtchen, das der Reformator Thomas Müntzer berühmt machte. Dort ist der Niedergang der ostdeutschen Textilindustrie fast mit Händen zu greifen. In Mühlhausen gab es zwei Riesen-Betriebe. 8000 Menschen stellten Spezialstoffe her und andere Textilien. Übrig geblieben sind bis heute rund 800 Arbeitsplätze. Ein Hoffnungsträger für Mühlhausen und Umgebung ist das Zweigwerk der Firma Krumbein. Es hat 120 Beschäftigte, 18 von ihnen sind derzeit Auszubildende. Das Unternehmen strickt in Mühlhausen für eine kleine eigene Kollektion, vor allem jedoch für große Modefirmen aus Westdeutschland. Auch Krumbein ist also eine jener verlängerten Werkbänke und die sind für die neuen Bundesländer typisch.

    Annemarie Breitbart von der städtischen Wirtschaftsförderung möchte erst gar nicht daran denken, was wäre, wenn West-Kunden sich jetzt plötzlich Zulieferer in einem anderen Land besorgen und die Kontakte nach Thüringen vernachlässigen würden:

    Annemarie Breitbart: "Das ist schon richtig. Sie sind auf die Gnade und Barmherzigkeit der anderen angewiesen, sage ich´s mal so. Aber ich glaube, bei der Schließung bestimmter verlängerter Werkbänke spielt auch die Qualität eine große Rolle. Also ich bin ganz optimistisch, dass da ein Unterschied gemacht wird und ich den qualitativ hochwertigen Produzenten präferiere gegenüber einem, der dann mal so Massenproduktion herstellt."

    Inzwischen zeichnen sich Silberstreifen am Horizont der ostdeutschen Textilindustrie ab. Zumindest hat die Rolf-Rüdiger Baumann ausgemacht. Er ist der Hauptgeschäftsführer von Gesamttextil, dem zuständigen Arbeitgeberverband in der Bundesrepublik Deutschland:

    Rolf-Rüdiger Baumann: "Es ist richtig, dass die Textil- und Bekleidungsindustrie der alten DDR nach dem Fall der Mauer einfach zusammengebrochen ist, weil sie nicht in der Lage war, sich auf den Märkten zu behaupten und weil die Qualität häufig auch nicht so war, um dem Wettbewerb standhalten zu können. Insofern ist die Zahl der Beschäftigten dort dramatisch reduziert worden und zwar in sehr kurzer Zeit nach dem Fall der Mauer. Nach ein, zwei Jahren waren da Zahlen erreicht, die aber seitdem wirklich auch nicht nur konstant geblieben sind, sondern sie sind zum Teil gewachsen; das heißt: Es wird dort Beschäftigung aufgebaut. Der Umsatz ist stabil; in den vergangenen Jahren waren dort leichte Zuwachsraten beim Umsatz und Produktion zu verzeichnen und das Gros der Unternehmen dort ist heute in der Lage, sich auf den Weltmärkten zu behaupten."

    Diese Auffassung teilt Thomas Brühl von der Firma Ploucquet. Ihr Stammsitz ist im württembergischen Heidenheim. Erst vor wenigen Monaten übernahm Ploucquet eine Fabrik im sächsischen Zittau. Das Zittauer Werk hatten West-Investoren nach der Wende auf die grüne Wiese gebaut - mit staatlicher Unterstützung. Kaum war die Fabrik fertiggestellt, kam für die West-Firma das Aus. Sie hatte sich übernommen.

    An sich keine günstigen Vorgaben. Dennoch entschied sich das württembergische Unternehmen Ploucquet für Zittau. Thomas Brühl, einer seiner Manager, verweist auf die Lage nahe der Grenze zu Tschechien und Polen.

    Thomas Brühl: "Wir sehen dort gute Chancen, weil es dort Fachleute gibt, Textilfachleute, Textilarbeiter. Und vor allen Dingen wird eines Tages Zittau nicht mehr am Rande der EU liegen, sondern mittendrin. Wenn die Osterweiterung der EU kommt - und sie wird ja kommen -, direkt Grenze zu Zittau ist Tschechien, ist Polen, wenn man da weitergeht, so dass wir uns also gute Chancen ausrechnen für dieses Unternehmen."

    Zweckoptimismus, von der Wirklichkeit überholt? Viele Unternehmen der deutschen Textilindustrie gründeten längst Zweigwerke nicht im Osten Deutschlands, sondern in osteuropäischen Ländern. Sie setzen auf die dort erheblich geringeren Lohnkosten und auf Umweltbestimmungen, die lascher sind als die in der Europäischen Union.

    Auch die württembergische Firma Ploucquet hat sich in Osteuropa niedergelassen. Einer ihrer Geschäftszweige ist die Fertigung von Hosenbünden - und die hat sie zu einem erheblichen Teil in Rumänien konzentriert. Thomas Brühl erklärt, warum.

    Thomas Brühl: "Nach Rumänien sind wir gegangen etwas natürlich aus Kostengründen; aber der überwiegende Antrieb war: wir sind eigentlich - sagen wir mal - mit unseren Abnehmern, mit den Konfektionären gegangen. Es gibt keine deutsche bedeutende Hosenfirma, die nicht in Rumänien produziert. Und wir liefern jetzt Hosenbund ab Standort Rumänien."

    Allerdings zeichnen sich mittlerweile einige gegenläufige Tendenzen ab und manche deutsche Textilunternehmen besinnen sich offenbar wieder stärker auf den Standort Deutschland. Der ist um so interessanter, je anspruchsvoller das Produkt ist, urteilt Professor Heinrich Planck. Er leitet das Institut für Textil- und Verfahrenstechnik in Württemberg und hat Erfahrung mit deutschen Textilunternehmen, die schon vor Jahren Fabriken in südeuropäischen Ländern wie Portugal eröffneten: Heinrich Planck: "Sie müssen immer bedenken, wenn ich in Portugal, in Spanien oder in Griechenland etwas herstellen lasse oder sogar konfektionieren lasse, heißt das: Ich muss das Material runter bringen, muss es wieder hochbringen, ich muss kontrollieren, was ich runterschicke, muss kontrollieren, was ich hochbringe. Wenn ich das hier in einem Betrieb mach, dann schaut der eine dem anderen auf die Finger - und das ist weniger Aufwand."



    Gute Aussichten haben in hochentwickelten Industrieländern vor allem jene Textilunternehmen, die nicht mehr nur Bekleidung herstellen, sondern sich zunehmend auf das Feld sogenannter "technischer Textilien" wagen.

    Die bereits vorgestellte württembergische Firma Ploucquet gilt als eines der Textilunternehmen im Umbruch. Zwar stellt sie außer Hosenbünden nach wie vor Baby- und Kinderbekleidung her. In erster Linie expandiert Ploucquet jedoch mit anderen Produkten, vor allem mit wasserabweisenden Stoffen der Marke Sympatex. Außerdem bietet die Firma eine Kollektion spezieller Arbeitsbekleidung an. Das Angebot reicht von Overalls für Kühlhauspersonal bis zu kompletten Hitzeschutz-Ausrüstungen. Sie erlauben es, einen Hochofen noch bei glühender Hitze von 900 Grad Celsius zu betreten. Darüber hinaus ist Ploucquet an der Entwicklung von Zeltplanen und Tarnnetzen beteiligt, die Radarstrahlen abweisen.

    Andere Textilunternehmen sind auf sogenannte Bau- und Geotextilien spezialisiert. Die finden sich in Brücken oder dichten Deponien ab, um nur zwei Anwendungen zu nennen. Extrem feine textile Gewebe spielen in der Medizin eine zunehmende Rolle. Sie dienen als Gerüste für die Rekonstruktion von Ohren und anderen Organen aus körpereigenen Zellen der Patienten, bilden die Membranen künstlicher Herzklappen oder Ersatzgefäße.

    Die Deutsche Industriebank stellt fest, dass derzeit der Teilmarkt Bekleidung nur noch 30 Prozent der Produktion der deutschen Textilindustrie ausmacht. Heimtextilien - von Teppichböden bis zu Geschirrtüchern - liegen bei 31 Prozent. Tendenz bei Bekleidung und Heimtextilien aus Deutschland: weiter fallend. Der Anteil technischer Textilien erreichte bereits 39 Prozent - Tendenz. steigend. Vor rund 15 Jahren dominierte die Bekleidungsindustrie noch mit über 50 Prozent.

    Wie vieles in Deutschland kam der Aufschwung für technische Textilien im Sog der Automobilindustrie. Statt der Sitzbezüge und Verkleidungen aus Plastik sind heute wieder textile Gewebe gefragt. Die bestehen allerdings vor allem aus Chemiefasern.

    Will also ein Unternehmen der traditionellen Textilindustrie nun mit neuen, technischen Textilien erfolgreich sein, dann muss es sich der modernen Chemie und Verfahrenstechnik zuwenden. Gelungene Beispiele gibt es gerade in solchen Gegenden, wo die Textilindustrie Geschichte hat und ihr das Sterbeglöcklein schon mehrfach geläutet wurde. Zu früh, wie der Textilforscher Heinrich Planck weiß. Das Bild einer darniederliegenden Textilbranche, das für Textilregionen wie die Schwäbische Alb seit Jahren gezeichnet wird, trifft nur teilweise zu.

    Heinrich Planck: "Da gibt es schon Beispiele, wie ein guter schwäbischer Stricker sich umstrukturiert in den Bereich der technischen Textilien hineingehn und heute ein absolut florierendes Unternehmen darstellt. Mit herkömmlichen Strickmaschinen ist er in den Bereich der technischen Textilien hinein und ist heute Systemanbieter. Das ist auch natürlich 'ne Philosophie, die dann ein Unternehmen aufgreifen muss, dass ich nicht nur einen Stoff mache, sondern dass ich dann ein ganzes System herstelle und anbiete und durch Zukäufe praktisch ein Verbundnetz aufbaue, um meinem Abnehmer ein ganzes System anbieten zu können."

    ... ein komplettes Sicherheitssystem fürs Auto zum Beispiel, Airbags genauso wie Sicherheitsgurte. Um die Forderung umsetzen zu können, müssen aus Konkurrenten, die sich jahrzehntelang nicht angeschaut haben, erst Partner werden. Denn für sich allein kämpft so ziemlich jeder deutsche Textilfabrikant auf verlorenem Posten. Eine Einsicht, die auch das Management von Mey gewonnen hat. Das mittelständische Traditionsunternehmen von der Schwäbischen Ab stellt Unterwäsche für Damen und Herren in gehobener Preisklasse her. Es nutzt konsequent den über Generationen erworbenen Standortvorteil: gut ausgebildete Arbeitnehmer und in der näheren Umgebung Fachhochschulen und Forschungsinstitute. Außerdem zählt, dass es im Württembergischen namhafte Hersteller von Strickautomaten und Nähnadeln für die Industrie gibt, Färbereien und andere Betriebe der textilen Produktionskette. Die Infrastruktur stimmt. Und darauf baut Mey-Geschäftsführer Reinhard Deiß:

    "Wenn wir eine Idee haben, die wir hier umsetzen, dann brauchen wir auch den Lieferanten, der diese Idee mit uns begleitet. Das geht bis in den Maschinenbau, das geht bis in die Nähmaschinentechnik, ja. Wir haben ja unsere hohen Konfektionsanteile nur deswegen halten können, weil wir eben nicht die Arbeit unendlich unterteilt haben und dann für einen Slip zehn Näherinnen brauchen als Hilfskräfte, sondern wir sind hergegangen und haben gesagt: Wie können wir mit technologischer Innovation an der Nähmaschine so viele Arbeitsschritte wie möglich konzentrieren, besetzen dann die ein, zwei Arbeitsplätze mit hochqualifiziertem Personal, das auch entsprechend bezahlt wird , aber immer noch günstiger ist, wie wenn Sie dafür acht Hilfskräfte haben. Damit brauchen Sie aber ständig Innovation und brauchen auf der anderen Seite den technischen Partner, der mit Ihnen dies auch umsetzt, um einen solchen Standort zu verteidigen."

    Das gelang bislang jedenfalls nur um den Preis eines massiven Personalabbaus. Der ist eines der größten Probleme der deutschen Textilindustrie. Sie hat in den neuen wie den alten Bundesländern ihre regionalen Schwerpunkte in Gegenden, die oft nicht zu den wirtschaftlich begünstigten gehörten.

    Auf der Schwäbischen Alb entwickelte sich mit staatlicher Geburtshilfe erst um die Jahrhundertwende eine nennenswerte Textilindustrie: Sie zeichnete sich bis in die jüngste Vergangenheit durch einen hohen Anteil an Heimarbeit aus. Ausgangspunkt waren die kleinen Webereien und Färbereien jener kalt-kargen Landschaft, die im fernen Stuttgart verächtlich "des Teufels Hirnschale" genannt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Textilindustrie der Schwäbischen Alb dann einen enormen Aufschwung. Sie sprang für bedeutende Textilregionen ein wie Thüringen und Sachsen, die nun hinter dem Eisernen Vorhang lagen.

    Fast zwangsläufig wurden manche Familien-Unternehmen groß und größer, verpassten den Anschluss an die weltweite Entwicklung, verhedderten sich in Erbstreitigkeiten und unternehmerische Fehlentscheidungen, setzten auf billige Massenware statt Markenprodukte - und stürzten ab. In der Folge brachen etliche hundert Arbeitsplätze weg, vor allem solche für Frauen, die gleich nach der Schule in die Fabrik zum Arbeiten gehen mussten.

    Der Verlust der Arbeitsplätze in der deutschen Textilindustrie einschließlich der Bekleidungsindustrie war dramatisch. 1993 wurden zum ersten Mal die alten und neuen Bundesländer zusammen betrachtet. Von damals bis heute schrumpfte die Zahl der in der Branche Beschäftigten von 328 tausend auf 198 tausend.

    Teilweise zumindest kann man diese Entwicklung als "Gesundschrumpfen" interpretieren. Karin Musbach hatte das Glück, nach dem Niedergang eines großen volkseigenen Betriebes in die thüringische Firma Krumbein übernommen zu werden. Im Stammwerk Heyerode arbeitet sie inzwischen als Leiterin der Konfektionierung:

    Karin Musbach: "Die Ware von früher ist überhaupt nicht mehr zu vergleichen mit der Ware jetzt. Im Strickbereich ist alles viel modischer geworden, natürlich viel aufwendiger. Der Kunde möchte ja modische Details haben, die sofort umzusetzen sind. Gestern auf dem Laufsteg, heute schon in der Produktion. Mit italienischen Garnen arbeiten wir, das ist sehr viel diffiziler als früher. Natürlich auch die Geschwindigkeit, mit der wir diese hochwertige Mode durchziehen müssen in der Produktion. Es muss sich ja auch letztendlich rechnen."

    Ob die deutsche Bekleidungs-, Garn- und Stoffindustrie wieder richtig Fuß fassen kann, erscheint derzeit zumindest fraglich. Tatsächlich haben Länder wie Italien und Frankreich in den letzten Jahren das Rennen gemacht. Rolf-Rüdiger Baumann vom Verband Gesamttextil:

    Rolf-Rüdiger Baumann: "In Italien, Frankreich ist aus meiner Sicht Mode - also das heißt auch Bekleidung, Konfektion, Design - Bestandteil der nationalen Kultur. Die Menschen sind mehr auf der Straße, sie flanieren, sie zeigen sich, zeigen gerne auch, was sie tragen. Es sind in den vergangenen Jahren dort natürlich auch Modenamen entstanden, die Weltruf haben. Insofern ist es für eine italienische Modeindustrie möglicherweise - in diesem Segment Bekleidung - auch einfacher, auf bestimmte Märkte weltweit zu kommen, die ansonsten schwierig zu erobern sind. Man hat in Italien Ende der 80er Jahre regelrecht eine Strategie entwickelt. Diese Strategie besagt, dass man mit Türöffnern, mit den großen Modehäusern voranmarschiert und dann die mittelständische Industrie, die weniger bekannte Namen, die Textilindustrie als Begleittruppe mit hinausschickt. Und dies ist in den vergangenen mehr als zehn Jahren sehr sehr erfolgreich von der italienischen Industrie gehandhabt worden - mit Unterstützung auch der staatlichen Institutionen."

    Trotz allem bleibt festzustellen, dass sich die Stimmung in der deutschen Textilindustrie etwas aufgehellt hat. Sogar in den neuen Bundesländern halten sich inzwischen Hoffen und Bangen die Waage:

    Rolf-Rüdiger Baumann: "Die Textilbranche ist allgemein sehr auf einem gewissermaßen absterbenden Ast. In Verbindung mit dem Ausland mag das noch ein paar Jahre gehen. Wir hoffen ja alle noch, dass wir noch mindestens zwanzig Jahre so arbeiten können - oder noch länger. Und ich denke., vielleicht gibt´s sogar eine Kehrtwendung in der Wirtschaft, dass dieses Auslandsbestreben in gewisse Schranken verwiesen wird. Wir haben auch Vorteile : zum Beispiel die Zeit der Umsetzung und der Motivation."

    Eine neue Bewährungsprobe steht allerdings bevor. Ende 2004 läuft das derzeit geltende Welttextilabkommen aus. Dann werden nationale Schranken fallen. Sie sollten auch der deutschen Textilindustrie einen Schutz vor gnadenloser Konkurrenz aus anderen Kontinenten bieten. Sehr wirksam ist dieser Schutz seit Jahren nicht mehr, aber es gab ihn immerhin der Form nach.

    Nun kommt es darauf an, wie die Branche reagiert. Erneut mit Jammern und dem Ruf nach dem Staat? - und sei's in Gestalt der Europäischen Union. Doch die Forderung, dass sie sich Importen verschließen soll, ist unrealistisch. Oder die deutsche Textilindustrie besinnt sich auf ihre Stärken. Die liegen im Hightech-Bereich mit technischen Textilien und bei Topqualitäten der Hersteller von Bekleidung. Das gilt sowohl für die Techniken der Produktion als auch für die Produkte selbst.

    Wenn die Verantwortlichen der deutschen Textilindustrie das erkennen und danach handeln, sieht Reinhard Deiß von der schwäbischen Firma Mey gute Chancen für die Branche. Sie muss sich klar darüber werden, wohin die Reise gehen soll. Anstatt blindlings auf eine völlig unbestimmte Globalisierung zu vertrauen, will Reinhard Deiß die Globalisierung auch mit langfristigen entwicklungspolitischen Inhalten verknüpft wissen.

    Reinhard Deiß: "Warum kann man heute nicht hergehen - das ist für mich die Frage gerade in Textilhandelsabkommen - und von vornherein für bestimmte Standards sorgen, ja. Man geht ja heute auch her und sagt: so Türkei ihr dürft in die EG zukünftig nur hereinkommen, wenn ihr bestimmte europäische Mindeststandards in Sachen Menschenrechte, in Sachen soziale Arbeitsplätze und verfolgt. Aber in Textilhandelsabkommen oder ähnlichen Abkommen schaut man nur: wie öffne ich eigentlich Märkte, damit diese Riesenstrukturen sich noch billiger versorgen können. Das ist der falsche Weg, weil wir damit auch unser Problem in der Dritten Welt oder Vierten Welt ja überhaupt nicht lösen. Wenn ich dafür sorge, dass die Eltern eine sinnvolle Tätigkeit haben, die auch ordentlich bezahlt wird, dann entsteht hier über Einkommen, dann brauch ich auch nicht mehr so viele Kinder, denn die haben so viele Kinder ja unter anderem , damit sie die Familie überhaupt ernähren können -, und dann entsteht hieraus Prosperität und damit ziehen sich die Länder nach oben und wir haben in Zukunft dort Handelspartner."

    Handelspartner und nicht nur Zulieferer. Gerade die deutsche Textilindustrie lebt von und mit starken Partnern außerhalb Europas.