Donnerstag, 25. April 2024

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Überleben in der Festung Europa

Tausende Afrikaner machen sich jedes Jahr auf den Weg, um nach Europa zu gelangen in der Hoffnung, hier geduldet zu werden oder als Illegale unterzutauchen. Der Preis ist hoch: Viele werden ausgenutzt und ausgebeutet, viele sehen sich ihrer Rechte beraubt. Karl Hoffmann schildert das Beispiel eines Somaliers in Italien.

25.06.2007
    Ali steht mit dem großen Schöpflöffel bereit. Im Topf vor ihm schwimmen Fleischklößchen in Tomatensoße. Doch vor dem Austeilen muss in dem ehemaligen Kasernenbau noch der Sonntagssegen gesprochen werden.

    Ali ist seit sechs Monaten hier in Palermo bei dem Mönch Biago Conte. Der hat aus eigener Kraft eine Unterkunft für viele hundert Immigranten geschaffen. Er ist die Anlaufstation für all die Boat People, die an Siziliens Küsten anlanden und um die sich die Behörden nicht kümmern. Ali hat sich sofort nützlich gemacht, der kleine dunkle Mann aus Somalia, 45 Jahre alt, hat noch nie die Hände in den Schoß gelegt. Er ist ausgesprochen vielseitig.

    "Ich bin Chauffeur und Automechaniker, Elektriker und Schlosser bin ich auch. Meine Heimat ist Mogadischu, aber ich habe auch im Sudan in Saudi-Arabien, in Libyen und in Kenia gearbeitet."

    Das in der Fremde verdiente Geld schickte Ali immer nach Hause, seine Familie hatte genug zu essen, und die acht Kindern gehen alle in die Schule. Sie sind sicher, doch er, der Fremdarbeiter, kann nicht mehr heim. In Mogadischu herrscht die reine Anarchie:

    "Überall laufen Jugendliche mit Waffen herum. Es gibt keine Polizei, keiner hat eine Arbeit. Wenn die jemanden finden, der Geld hat, dann erschießen sie ihn einfach. Ich kann nicht mehr dorthin zurück. Denn wenn jemand aus dem Ausland kommt, dann denken die Banditen: Der hat bestimmt Geld . Wer aus dem Ausland kommt wird erschossen und ausgeraubt."

    Ali blieb am Leben, aber beraubt wurde er trotzdem während der letzten zwei Jahre, die er in Libyen als Arbeitssklave verbracht hat.

    "Auch dort hab ich als Fahrer gearbeitet. Sechs Monate Lohn haben sie mir bis heute nicht bezahlt, drüben in Libyen. Sie haben nicht bezahlt, da habe ich mich in Boot gesetzt und bin nach Italien gefahren. Und was hat das gekostet? Ich habe 1200 Dollar bezahlt."

    Ali und seine 57 Mitreisenden hatten Glück: Nach sechs Tagen und Nächten auf dem Meer kam er in Sizilien an. Beinahe ein Wunder, denn sie hatten kein Wasser mehr und keine Lebensmittel und die Richtung verloren.

    "Unser Bootsführer hatte keine Ahnung vom Kompass, er wusste nicht wo Osten, Westen, Norden oder Süden lagen. Das ist ein Problem, die einen wollten dahin, die anderen dorthin, ein einziger Zickzackkurs war das."

    Alis Töpfe sind leer, die meisten Missionsbewohner haben bereits aufgegessen und gehen in kleinen Gruppen ins freie

    Vor den Schlafsälen stehen Stühle vor kleinen Wandspiegeln. Heute ist Sonntag , da werden Haare geschnitten und Bärte rasiert. Mitten im chaotischen Leben finden die vielen Boat People an diesem friedlichen Ort mitten in der Stadt Palermo etwas Ruhe und Ordnung. Ali aus Somalia hat keine Ruhe, er stolpert mit einem Packen Fotokopien daher.

    Seine Worte sind konfus, die Papiere, die er zeigt dagegen vollkommen klar. Das sind Überweisungsbelege, einige tausend Dollar. Die hat Ali vor über 25 Jahren als Gastarbeiter in italienischen Unternehmen in Libyen verdient und auf eine römische Bank überweisen lassen. Ein Notgroschen für schwere Zeiten wie diese, sagt Ali. Doch die Bank in Rom findet weder seinen Namen noch sein Konto, geschweige denn das Geld, das man ihm angeblich überwiesen hat. Ali hat den Verdacht, dass man ihn auch um seine wenigen Ersparnisse gebracht hat. Aber trotzdem lässt er den Mut nicht sinken.

    "Na gut, dann hoffen wir halt weiter, solange wir die Kraft haben, hoffen wir."