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Überleben mit 400 Euro

Im Jahre 2003 wurden die Vorschriften für Minijobs gelockert - um mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Heute haben in Deutschland mehr als sieben Millionen Beschäftigte einen sogenannten 400-Euro-Job. Doch hinter der beeindruckenden Statistik verbergen sich allerhand Probleme.

Von Jens Rosbach |
    Nadin Heise hat einen Minijob in Göttingen bei einem Mittagstisch für sozial Bedürftige. Die Langzeitarbeitslose schält dort Kartoffeln, kocht und putzt: für acht Euro die Stunde, insgesamt 320 Euro im Monat.

    "Ich finde, davon kann man nicht leben und nicht sterben. Man ist zwar beschäftigt, aber in einem derart geringen Maße, dass man das auch als Hobby bezeichnen kann."

    Heise ist 34 Jahre alt und findet keine Stelle in ihrem Beruf als Agrarlaborantin. So hangelt sie sich von Job zu Job, arbeitet in Callcentern, bei McDonalds - und seit eineinhalb Jahren - bei einem kirchlichen Träger. Die Küchenarbeit sei okay, sagt sie, bis auf den Hungerlohn. Ohne zusätzliches Wohngeld und ohne Krankenkassenzahlung vom Jobcenter käme sie nicht über die Runden.

    "Das Gute ist, man kann die Essensreste halt mitnehmen, wenn man daran Interesse hat. Also finde ich, das ist halt etwas, wo ich mein Sparpotenzial entdeckt habe, dass ich mir halt immer Essensreste mitnehme und die dann halt esse. Oder ich kaufe halt billiger, wenn jetzt Lidl nach 18 Uhr das Brot reduziert hat, dann shoppe ich halt dann, wenn es 30 oder 50 Prozent billiger ist."

    "Das ist wirklich nur ein Job für ja, so Hausfrauen, die was dazuverdienen wollen, die halt einen Ernährer haben. Aber so für alleinstehende Leute ist das überhaupt nichts."

    Heise kann ihrem Minijob nur einen positiven Aspekt abgewinnen: Sie braucht nichts ans Finanzamt zu zahlen und auch nichts in die Rentenkasse - solange sie nicht mehr als 400 Euro im Monat verdient.

    "Der einzige Vorteil von diesen 400-Eurojobs ist, dass man keine Abgaben zahlen muss und brutto gleich netto ist."

    Gemischte Gefühle auch bei den Arbeitgebern: Sie loben zum einen, bei Minijobs gebe es weniger Bürokratie als bei Normaljobs. Zum anderen schimpfen sie über die finanzielle Seite. Wie der Berliner Taxiunternehmer Richard Leipold.

    "Für den Unternehmer ist es, meiner Auffassung nach, gar kein Vorteil für den 400-Euro-Job vorhanden. Die Kosten, die Lohnnebenkosten, sind deutlich höher im Vergleich zu dem ganz normalen Festangestellten."

    Arbeitgeber Leipold zahlt bei einem Normaljob rund 20 Prozent Lohnnebenkosten, bei einem Minijob dagegen 30 Prozent. Nach den Erfahrungen des Mittelständlers werden die 400-Euro-Stellen deshalb vor allem dort geschaffen, wo Arbeitskräfte gesucht werden: im Einzelhandel, in der Gastronomie, im Reinigungs- und im Taxigewerbe.

    "Die 400-Euro-Jobs werden angeboten, weil die Fahrer das wünschen, weil sie brutto für netto bezahlt werden wollen."

    Brutto für netto. Am besten bezahlt nach BAT, bar auf Tatze, wie es in der Szene heißt. Und viele 400-Euro-Jobber leben dann auch von der Hand in den Mund. Da das Gehalt gering ist und nur der Arbeitgeber eine Sozialpauschale zahlt, kann es dann Probleme ab 65 geben. Der Duisburger Sozialwissenschaftler Gerhard Bäcker warnt:

    "Der Knackpunkt liegt darin, dass auf der Basis von 400 Euro im Monat insgesamt nur äußerst geringe Rentenansprüche erworben werden."

    Nach Auskunft der Deutschen Rentenversicherung erwirbt ein Minijobber pro Jahr einen Anspruch von 3,11 Euro Monatsrente; bezogen auf das Höchstgehalt von 400 Euro. Zahlt der Minijobber einen freiwilligen Zusatzbeitrag in die Rentenkasse, bekommt er pro Arbeitsjahr maximal 4,45 Euro Monatsrente. Sozialwissenschaftler Bäcker spricht von "garantierter Altersarmut". Der Professor verweist auf einen weiteren prekären Aspekt: das Arbeitsrecht. Theoretisch stünden auch Minijobbern Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und Lohnfortzahlung bei Krankheit zu.

    "Wenn wir uns aber die Praxis anschauen, dann werden diese Rechte zu einem großen Teil nicht wahrgenommen. Die Beschäftigten wissen nicht davon oder die Beschäftigten stehen unter erheblichen Druck; oder die Arbeitgeber gehen schlichtweg davon aus, dass diese Arbeitsrechte für diese Jobs nicht gegeben seien und verhalten sich gewissermaßen rechtswidrig."

    Rechtswidrig geht es offenbar auch in anderer Hinsicht zu: Insider berichten von weit verbreiteter Schwarzarbeit. Taxi-Unternehmer Richard Leipold erklärt, die 400-Euro-Verträge seien häufig nur Fassade. Leipold hat den Überblick, denn er engagiert sich in der Berliner Taxi Vereinigung.

    "Das ist uns in vielen Fällen zu Ohren gekommen, die Konstruktion, dass die Fahrer auf 400-Euro-Basis angemeldet werden, aber tatsächlich sehr, sehr viel mehr Geld verdienen, auch sehr viel länger fahren. Die Kontrollbehörden sind überfordert, weil sie ja immer nur eine Stichprobenprüfung im Regelfall machen. Das heißt, sie sehen jemanden auf der Taxe, der sagt: Ich bin ein 400-Euro-Jobber - und woher sollen die jetzt wissen, dass er tatsächlich sechs Tage in der Woche fährt."

    Nach außen hin: ein regulärer 400-Euro-Vertrag. Tatsächlich aber: ein Schein-Vertrag, um Abgaben und Steuern zu sparen.

    "Letztlich ist es vorsätzlicher Betrug, bei dem der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zu gleichen Teilen beteiligt sind; zu Lasten der Sozialgemeinschaft."

    Wenig Rente, Probleme bei Krankheit und Urlaub, illegale Zusatzeinkommen - Arbeitsmarktexperten sehen weitere Minijob-Schwierigkeiten; etwa, dass die Zahl der Arbeitsstunden nicht begrenzt ist - dass es also keinen Mindestlohn gibt. Gestritten wird auch über die Frage, ob 400-Euro-Stellen nicht zum Abbau regulärer Arbeitsplätze führen. Arbeitgeberverbände und Rentenversicherer streiten dies ab, die Gewerkschaften sprechen hingegen von einer Stellen-Verdrängung - zumindest im Handel und im Gastgewerbe.

    Die Göttinger Küchenhilfe Nadin Heise, die übrigens aus Angst vor Schikane nur unter Pseudonym auftritt, sieht nur einen Ausweg: So schnell wie möglich eine ordentliche Stelle finden, um wegzukommen vom Minijob mit den Megaproblemen.

    "Ich finde es eigentlich eher so nur so was wie eine Beschäftigungsmaßnahme, ist das für mich. Damit ich mir nicht ganz so unnütz vorkomme."