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Überleben mit dickem Fell

An der Kette, ohne Wasser, Narben am Hals: Manches Hundeleben in Südeuropa verläuft elend. Jetzt, zur Reisezeit, bekommen die Tierschützer in ganz Europa wieder besonders viel zu tun. Kaum ein Tourist, der in den Sommermonaten nach Kreta, Rom oder Spanien reist, wird die oft verwahrlosten Tiere übersehen.

Mit Reportagen von Knut Benzner, Alkyone Karamanolis, Karl Hoffmann, Hans-Günter Kellner und Ruth Reichstein, Redakteurin am Mikrofon: Barbara Schmidt-Mattern | 27.06.2009
    Ein spanischer Stierkampfzüchter über seine Schützlinge:

    "Wenn sie geschlachtet werden müssten, das würde mir sehr weh tun. Man würde das Ergebnis meiner Arbeit ja nicht sehen. Und diese Tiere sind nicht dafür da, im Schlachthof zu sterben. Sie sind dafür gemacht, in der Stierkampfarena zu sterben."

    Und ein Tierschützer aus Palermo über den sizilianischen Umgang mit Hunden:

    "Die Behörden dürfen die streunenden Hunde laut Gesetz nicht mehr einschläfern. Weil sie aber keinen Platz haben, werden nur weibliche Tiere eingefangen, sterilisiert und dann wieder freigelassen, wenn sie sich von dem Eingriff erholt haben. Nur mit den herrenlosen Kampfhunden geht das nicht. Die müssen im Tierheim bleiben, denn sie sind für Menschen gefährlich. Und das ist grausam. Diese Hunde werden dort an die Kette gelegt und an Pfähle im Hof gebunden."

    Überleben mit dickem Fell: Gesichter Europas heute über Tierschutz in Europa - mit Reportagen aus Griechenland, Spanien, Finnland, Sizilien und aus Ostwestfalen. Am Mikrofon begrüßt Sie Barbara Schmidt-Mattern.

    Mancher Vierbeiner schafft es bis ganz nach oben. Daisy Mooshammer oder Bo Obama zum Beispiel. Die Terrierdame des verstorbenen Münchener Modezars hat inzwischen selbst das Zeitliche gesegnet, doch Bo, der First Dog im Weißen Haus, erfreut sich bester Gesundheit und geht jeden Abend mit Barack Obama Gassi.

    Prominentenhunde füllen heute manche bunte Meldungsspalte, kein Wunder, denn verhätschelte Vierbeiner gibt es überall, gerade in Europa. Dies ist aber auch der Kontinent der vernachlässigten, misshandelten und ausgesetzten Tiere, für deren Wohl und Weh Tierschützer und Behörden teils erbitterte Auseinandersetzungen führen.

    Jetzt zur Urlaubszeit schnellen die Zahlen gerade der ausgesetzten Tiere wieder in die Höhe. Beliebtes Reiseziel ist Griechenland. Bis in die 60er-Jahre stützte sich die griechische Ökonomie vor allem auf die Landwirtschaft, Tiere wurden fast nie als Haus- sondern als Nutztiere gehalten, um dem Menschen einen Teil der Arbeit abzunehmen. Auf dem Land gilt diese Einstellung bis heute.

    Wenn Tiere aber Nutztiere sind, dann werden sie gewissermaßen überflüssig, sobald sie ihre Arbeit nicht mehr tun können. So setzen alte Bauern in Griechenland, wenn sie überhaupt noch Esel haben, die Tiere, nach Ablauf ihres Arbeitslebens einfach aus - oder sie geben sie an Händler ab, die sie wiederum an italienische Schlachthöfe verkaufen. In den Augen eines alten griechischen Bauern wäre es geradezu Luxus, einen Esel noch jahrelang durchzufüttern.

    Wohin also mit ihnen? Zum Beispiel in die Eselrettungsstation auf Korfu. Heimleiterin Judy hat dort für jeden Esel ein Ohr. Alkyone Karamanolis hat zugehört:


    Ein Ohr für Esel: Judys Rettungsstation auf Korfu
    Hara, Psili, Avrio, Ira, Zoi, Paraskevi, Astro, Kalokairi - 38 sind es insgesamt: 38 Esel.

    Zahnprobleme, Verdauungsprobleme, Kreuzprobleme, Hufprobleme - es sind alte Esel. Judy Quinn sammelt sie auf. Inzwischen ist die Engländerin auf Korfu bekannt. Man benachrichtigt sie, wenn irgendwo auf der Insel ein Tier ausgesetzt wurde. Dann fragt Judy Quinn zunächst auf der Polizeistation nach, ob der Esel wirklich herrenlos ist. Niemand soll ihr vorwerfen können, ihn geklaut zu haben. Oder aber die Besitzer rufen sie selbst an und bitten die wundersame Engländerin mit der eigentümlichen Vorliebe, ihren ausgedienten Esel bei sich aufzunehmen.

    Alte Bäuerinnen seien es meist, die sich um die Esel nicht mehr kümmern können. Oft haben sie Tränen in den Augen, erzählt Judy, wenn sie ihren Vierbeiner abgeben. Die patente Britin versichert ihnen dann, sie könnten das Tier jederzeit besuchen. Dankbar seien sie dafür, die alten Bäuerinnen, doch vorbeigekommen sei in all den Jahren noch keine. Zwei Kulturen prallen hier aufeinander, doch es ist ein Kulturschock, der günstig für alle Beteiligten ausgeht - und am günstigsten für die Esel.

    Judy läuft energisch über den Hof, versenkt nach ein paar beruhigenden Worten eine Spritze in einem Eselsnacken und verteilt dann ein paar Kübel mit breiigem Futter an die Esel, die nicht mehr richtig kauen können.

    Angefangen hat alles vor fünf Jahren. Ende 40 war Judy damals - und komplett gelangweilt von ihrem Job: Jeden Tag Computerreparaturen in einer Militärbehörde im Süden Englands. Sie beschließt, ihr Leben umzukrempeln. Es ist ohnehin nicht das erste Mal. Judy war schon Rezeptionistin, Tierarzthelferin, Polizistin. Sie hat Geografie studiert, war beim Militär und zwischendurch war sie auch Hundefriseurin. Die Ausbildung habe sie jedes Mal gereizt, doch die Routine des Berufsalltags konnte sie nie lang ertragen.

    Bei Polizei und Militär kann man sich die drahtige Frau mit dem verlegten, blond gefärbten Haar und dem durchdringenden Blick aus blauen Augen gut vorstellen. Judy hat was von einem Kerl; nicht nur, wenn sie mit der Kaffeetasse in der einen und der Zigarette in der anderen Hand dasteht und von den rasanten Kurven in ihrem Lebenslauf erzählt. Mit Ende 40 also packte sie die Koffer und kam nach Korfu, um Tieren zu helfen. Es dauerte nicht lang und einer, nein zwei Esel kreuzten ihren Weg.

    Keine Aufgabe, die Judy nicht lösen könnte. Sie schaffte es, die Esel auf ein Gut nach England zu schicken und dachte: "That is it." - Mitnichten. Korfu wartete offenbar nur darauf, dass sich jemand der arbeitslosen Esel annehmen würde - und Judy wartete auf die Herausforderung. Sie begegnete ihr in Form der griechischen Bürokratie und in Form finanzieller Nöte, schließlich finanziert sich der Gnadenhof ausschließlich aus Spendengeldern. Die notorisch misstrauischen Griechen - das Leben in einem korrupten Staat prägt die Gemüter - greifen nur ungern zum Portemonnaie; so kommt das Geld zumeist von Touristen.

    Rundgang auf dem Hof: 2000 Quadratmeter Grund, in der Mitte ein Stall in üblem Zustand. Judy renoviert ihn nicht mehr. Sobald sie genug Geld beisammen hat, möchte sie ohnehin auf ein größeres Grundstück ziehen.

    Die Esel stehen in kleinen Gruppen zusammen und fressen aus Trögen. Weil sie oft schlechte Zähne haben und die Nahrung nicht gut verwerten können, werden sie bis zu sieben Mal am Tag gefüttert. Allein das könne einen beschäftigt halten, sagt Judy; außerdem: der Dung. Rund 30 Säcke am Tag sammelt Judy ein. Danach müssen malträtierte Hufe gepflegt, verwachsene Füße bandagiert und Asthmaprobleme behandelt werden. Judy selbst wohnt, um Miete zu sparen, in einem Wohnwagen auf dem Hof.

    Sie will ihn lieber nicht zeigen. Ordnung sei etwas für Leute, die zu viel Zeit haben. Stattdessen lädt die resolute Frau in einen zweiten Wohnwagen gleich nebenan, der ihr Büro ist. Internet- und Telefonanschluss stellt der Nachbar, ansonsten brauche sie nicht viel - oder besser: Sie brauche immer weniger:

    Vor einigen Monaten ging die Dusche kaputt. Das Geld für die Reparatur fehlte. Egal, sagt Judy, die Generation ihrer Eltern habe doch auch nicht anders gelebt. Von ihrem früheren, ihrem englischen Leben fehlen ihr nur die Ausritte durch die weiten Landschaften Südenglands. Ihr Pferd ist selbstverständlich mit ihr nach Korfu umgezogen.

    So ist nicht nur Judys Lebensstandard gesunken, seit dem Umzug von der britischen auf die griechische Insel, sondern auch der ihres Pferdes. Verwöhnt sei es gewesen, damals. Und so besinnt sich Judy - und beginnt im Rückblick auch einige Dinge in England anders einzuschätzen.

    Englische Esel, zum Beispiel, auch sie: viel zu verwöhnt, daher verhaltensauffällig. Die Esel hier seien dagegen ganz anders gestrickt: dankbar und voller Hingabe. Sie fordern nichts - was sie natürlich geradezu prädestiniere für Misshandlungen. Hara zum Beispiel. Judy fand sie mit einem schlecht verheilten Bruch. Nun bekommt Hara täglich Schmerzmittel; und als Zuckerl - so ist es halt, wenn man als griechischer Esel an eine englische Eselsmama gerät - bekommt Hara Pfefferminzbonbons.

    Hara reibt ihren Kopf an Judys Brust. Judy fischt ein letztes Pfefferminzbonbon aus ihrer Hosentasche und entfernt sich langsam. Es scheint, als passe diese Lebensform für beide: für Hara und für Judy.

    Das Europa der Tierfreunde ist dank Internet und gemeinsamer Motivation ganz gut zusammengewachsen. Pflegestellen, Tierheime, Tierärzte und engagierte Privatleute vernetzen sich immer besser, und ihre Arbeit wird professioneller.

    Zu tun gibt es genug. Medizinische Behandlung, Kastrationen gegen die vielen Streuner, Futterspenden, Tiertransporte - alles muss mit mehr oder weniger Aufwand organisiert werden. Wer etwa als Tourist einen vernachlässigten Hund aus Griechenland zur Weitervermittlung im Flugzeug mit nach Deutschland nehmen möchte, als sogenannter Flugpate, muss vor allem eines tun, auf die Seriosität der Vermittleragenturen achten.

    Die Tiere aus ihrer gewohnten Umgebung in ein fremdes Land zu bringen, bleibt bei Behörden und Tourismusunternehmen dennoch umstritten. Während Tierschützer argumentieren, alles sei besser als der Status quo, plädieren die anderen für direkte Hilfe vor Ort. Doch sind die Tiere geimpft und die Besitzverhältnisse geklärt, bleiben kaum offizielle Einwände bestehen.

    Mancher imagebewusste Touristikkonzern engagiert sich sogar beim Tierschutz, verteilt Infobroschüren oder finanziert Kastrationen - wohl wissend, dass gerade deutsche Urlauber im Ausland ihr Herz für Tiere entdecken. Besonders die griechischen Behörden können das nur schwer nachvollziehen. Bei Tierschützern im In- und Ausland gelten sie als unkooperativ und den Tieren gegenüber ignorant. Jeder Flugpate mit Hund oder Katze muss daher trotz korrekter Papiere mit polizeilichen Extrakontrollen aller Art rechnen, bevor er ins Flugzeug steigen darf. Ein dickes Fell kommt da allen Beteiligten zugute.


    Motten und Maultiere, Raben und Ratten, Bienen und Bären - es gibt kein Tier, dem der französische Schriftsteller Jean de La Fontaine kein Denkmal gesetzt hätte. Mit seinen berühmten Tierfabeln lieferte er bis heute die bekannten Zuschreibungen menschlicher Eigenschaften zu bestimmten Tiertypen: der listige Fuchs, die kluge Eule, die fleißige Biene. Entstanden sind La Fontaines Fabeln in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts - und bis heute gelten sie weit über Frankreichs Grenzen hinaus als Klassiker:

    "Jean de La Fontaine: Die weltflüchtige Ratte

    Eine Legende der Orientalen
    Erzählt von einer gewissen Ratte,
    Die sich vor den irdischen Sorgen und Qualen
    In einen Holländer Käs zurückgezogen hatte.
    Die Einsamkeit
    War tief und weit
    In diesem Wartesaal zum Paradies,
    Darin der Klausner fromm sich niederließ.
    Er schaffte so tüchtig mit Zähnen und Füßen,
    Dass er in wenig Tagen schon
    Neben guter Nahrung - als Gottes Lohn -
    Eine Unterkunft hatte zum Beten und Büßen.
    Er wurde dick und fett dabei;
    Denn Gott verschwendet seine Gaben
    An die, die ihn zum Vater haben.
    Einst klopfte es an die Einsiedelei.
    Der Heilige fragte, wer es sei?
    Da hieß es: Boten von den Ratten,
    Die ließen ihn um ein Almosen bitten;
    Rattopolis habe arg gelitten,
    Da die Katzen es rings umschlossen hatten,
    Und immer noch sei die Stadt bedroht,
    Und es fehle am allernötigsten Brot,
    Und sie bäten um etwas - um Christi willen -
    Um den Hunger der Schwächsten so lange zu stillen,
    Bis dass die Marder kämen, die Entsatz versprochen;
    In wenig Tagen sei die schwere Not gebrochen.
    "Meine Freunde," sprach da aus der Käsezelle
    Die fromme Ratte, "derartige Fälle
    Und weltlichen Dinge sind mir verhaßt.
    Ich trage in Armut der Buße Last;
    Nichts kann ich euch geben als nur mein Gebet,
    Das gern für die Ratten zum Himmel fleht,
    Und ich hoffe, er wird euch nicht vergessen.
    Mehr kann ich beim besten Willen nicht tun."
    Und sie zog sich zurück, um sich vollzufressen
    Und hinterher sich auszuruhn."

    Das Tier in der europäischen Kulturgeschichte ist heute beliebtes Forschungsobjekt bei Anthropologen und Soziologen.

    Kennzeichnend für den modernen Menschen ist, dass er bei hoher emotionaler Bindung zu seinem Haustier nicht mehr davon ausgeht, dass Hund, Katze oder Schwein dem Menschen vergleichbare kognitive Fähigkeiten haben, und dass sie dementsprechend von Vernunft geleitet sein müssten. Im Mittelalter war die Sichtweise auf das Tier hingegen noch eine ganz andere - wie die Tradition der Tierprozesse zeigt. Die Zeitung "Die Welt" beschreibt in ihrer Ausgabe vom 11. Dezember 2008 folgenden historischen Fall:


    "In der Gegend von Autun in Frankreich hatten Ratten zu Beginn des 16. Jahrhunderts angeblich Teile der Gerstenernte aufgefressen. Die Ratten wurden verklagt und vom Vikar aufgefordert, zu einem Gerichtstermin zu erscheinen. Als sie wider Erwarten nicht erschienen, erklärte der für sie bestellte Verteidiger, die Vorladung sei nur auf eine Gemeinde beschränkt gewesen. Da sie jedoch die Ratten der gesamten Diözese betreffe, müsse die Vorladung überall bekannt gemacht werden. Das Gericht sandte daraufhin seine Diener aus, um die Ratten jeder einzelnen Gemeinde vorzuladen. Als sie erneut zum Termin nicht erschienen, erklärte Chassenee die Säumigkeit der Beklagten mit den Beschwernissen der Reise. Junge und alte, gesunde und kranke Ratten könnten nicht so schnell der Vorladung folgen und benötigten mehr Zeit als eingeräumt."

    Moderne Gesellschaften geben heute ein zwiespältiges Bild über ihren Umgang mit Tieren ab: verwöhnte und überfütterte Lieblinge hier, verwahrloste und misshandelte Vierbeiner dort. Der Riss geht quer durch europäische Länder und Gesellschaften, nur hier und da spielen auch landestypische Traditionen eine Rolle. Zu Spanien fällt einem da der leidlich umstrittene Stierkampf ein. Seine Anhänger bejubeln ihn stolz als Aushängeschild spanischer Identität, doch Tierschützer sehen darin nicht mehr als ein qualvolles Abschlachten der Tiere.

    Über ihre letzten 20 Minuten vor dem Tod in der Arena ist viel geschrieben worden, doch wie viel Lebensqualität dem Stier in den durchschnittlich vier Lebensjahren vor seinem Tod bleibt, darüber wird kaum berichtet. Hans-Günter Kellner ist in der Nähe von Madrid auf einen Züchter und auf spanische Widersprüche gestoßen:


    Leben für den Stierkampf: Der Spanier Manuel Sanz züchtet Stiere
    Der Tag von Manuel Sanz beginnt mal wieder anders, als geplant. Zwei Stiere streiten sich. Immer wieder stoßen sie ihre Hörner aneinander, verfolgen sich, haben sogar eine alte Steinmauer durchbrochen, die ihre Weide begrenzt. Nun versucht Manuel Sanz die beiden mit seinem Geländewagen wieder auf die Weide zu treiben.

    Schließlich steigt der kleine, etwas kräftige Stierzüchter aus dem Wagen. Er trägt ein ausgewaschenes rotes Poloshirt, doch die Farbe irritiert die Tiere nicht. Er ruft ihnen etwas zu, spricht mit ihnen und am Ende kann er sie tatsächlich überzeugen. Sie folgen ihm auf die Weide zurück.

    Erst jetzt beginnt die tägliche Routine, die Fahrt mit dem Traktor und dem Anhänger voller Heuballen und Trockenfutter über die Felder. Manuel Sanz ärgert sich:

    "Jetzt muss ich den ganzen Zaun wieder in Ordnung bringen. Heute morgen wollte ich die Kühe von einer Weide auf die andere treiben. Da sah ich die beiden auf dem Weg. Klar, die Stiere kämpfen miteinander. Dass die sich zanken, ist normal; aber dass die die ganze Mauer niederreißen, nicht. Zum Glück passiert das nicht ständig."

    Die Fahrt führt an zahlreichen Weiden vorbei, auf der die Stiere nach Jahrgängen getrennt grasen. In der Ferne erheben sich die Wolkenkratzer von Madrid. Von der Großstadt dringt nur gelegentlich der Fluglärm der startenden Maschinen in diese Hochgebirgslandschaft der Sierra de Guadarrama. Die Kampfstierzucht hat hier in Colmenar Viejo Tradition. Schon der Urgroßvater von Manuel Sanz war Züchter:

    "Uns gehören 100 Hektar - und 300 weitere haben wir angemietet. Wir haben das Land von unseren Eltern geerbt. Mein Vater baute hier Weizen und Gerste an. Die Stierzucht gehörte meinem Onkel. Jetzt baut niemand mehr Korn an. Die Erntemaschinen kommen in dieses hügelige Gelände nicht hinein. Hier gibt es jetzt nur noch die Viehzucht."

    Manuel Sanz bringt den Traktor auf der Weide zum Stehen. "Die sind immer noch aufgeregt", sagt er zu seinem marokkanischen Helfer. Die Aussicht auf Futter macht die sechs schwarzen Stiere neugierig. Immer näher kommen sie, während die beiden Männer Heu und Trockenfutter in die Tröge hineingeben. Jeder Stier hat einen eigenen Trog:

    "Gerste, Mais, Hafer, Bohnen - davon wenige, die sind sehr teuer -, Soja und ein Vitaminzusatz. Wir müssen jetzt aber hier weg, wir stören. Die wollen ja fressen. Die Stiere sollen es besonders gut haben, darum haben sie hier auch diesen Stall zum Schutz vor der Kälte oder der Sonne. Das hier sind die Stiere für die Saison nächstes Jahr. Sie sind drei Jahre alt. Jetzt behandeln wir sie besonders gut, geben ihnen mehr Trockenfutter, damit der Stier sich gut entwickelt, sich wohlfühlt."

    Denn mit vier Jahren kommt ein Stier in die Stierkampfarena. Dafür sucht Manuel Sanz die besten und kräftigsten Zuchtstiere aus. Die Kühe werden zur Auswahl gelegentlich in die Arena geschickt, Reiter stechen ihnen dort mit Lanzen in den Nacken. Nur eine Kuh, die sich davon nicht erschrecken lässt, taugt als Muttertier für einen Stier, der es verdient hat, in der Arena zu sterben. Der Tod in der Arena ist die Bestimmung des Stiers und ein guter Kampf eine Auszeichnung - für Züchter und Stier. So sieht das Manuel Sanz:

    "Siehst du, sie machen nichts. Sie stehen hier mit uns, aber sie sind ganz ruhig. Ja, in der Arena, da greifen sie an, verteidigen sich. Im Schlachthof haben sie diese Möglichkeit nicht. Darum sage ich ja, dass sie dort mehr leiden. Aber diesen Schwätzern, den Stierkampfgegnern, kann man das nicht erklären. In der Arena kann sich der Stier ja sogar wehren und stirbt nach 20 oder 25 Minuten einen würdevollen Tod. Und wenn er besonders gut ist, wird er begnadigt, darf für den Rest seines Lebens zurück auf die Weide. Irgendwann passiert das auch mit einem meiner Stiere. Irgendwann werden meine Anstrengungen, Opfer und die Leidenschaften auch belohnt werden. Dafür mache ich das ja, damit das gute Stiere werden. Okay, jetzt sind wir fast fertig. Bleiben uns nur noch die Kühe da oben."

    Die Debatte ist Jahrzehnte alt. Längst sind alle Argumente ausgetauscht. Das Leben des Kampfstiers auf einer zehn Hektar großen Weide sei viel besser, als das eines in einen engen Stall eingepferchten Mastbullen; das Leid in der Arena geringer als im Schlachthof und der Kampf zwischen Stier und Mensch Hochkultur, sagen die einen.

    Die Gegner sehen im ritualisierten Tod des Stiers in der Arena hingegen nicht mehr als ein qualvolles Abschlachten zum Vergnügen der Zuschauer. Jeder kennt die Argumente des anderen, eine Annäherung scheint unmöglich:

    "Vor der Arena in Palma de Mallorca gab es mal eine Demonstration von Stierkampfgegnern. Sie sagten, wir seien Mörder. Ich habe versucht, mit ihnen zu reden. Aber da war kein Gespräch möglich. Alles war nur Geschrei und Beleidigungen. Die haben keinen Respekt. Das war mein erster und letzter Versuch, mit denen zu reden."

    Die Fahrt zurück führt wieder vorbei an den vielen Wiesen von Colmenar Viejo, an der eingerissenen Mauer. Manuel Sanz wird sie am nächsten Tag reparieren. Es ist ein trügerisches Paradies, und das nicht nur, weil die Stiere nach vier Jahren in der Plaza sterben. Längst weisen auch die Dörfer um Madrid immer neue Baugebiete aus.

    "Die Kommunen tun nichts für die Landwirtschaft. Colmenar Viejo hat sich sehr verändert. Früher haben wir als Kinder auf der Straße gespielt. Heute müssen sie dafür auf den Spielplatz. Unsere traditionellen - vom Gesetz eigentlich geschützten - Viehwege bauen sie zu. Die Viehwege sind für das Vieh! Heute treibt keiner mehr seine Tiere über diese Wege. Und mit Kampfstieren kann man das schon gar nicht mehr machen."

    Manuel Sanz schließt das Tor zu seinem Landhaus auf. Hier, umgeben von Stieren und Kühen, hört er oft Kompositionen von Bach in voller Lautstärke, am liebsten, wenn er seine Steuererklärung macht, erzählt er. Die Stierzucht ist nicht sehr lukrativ. Gerade mal 3000 Euro bekommt er für einen Stier, rechnet der Züchter vor, weshalb er sein Landhaus am Wochenende auch für Fiestas vermietet. Vier Jahre lang zieht er die Tiere auf, sorgt sich darum, dass es ihnen gut geht. Er kennt sie - und sie ihn. Und wenn in der Arena ihr Blut fließt, sieht er auch keinen Grund für Mitleid:

    "Wenn sie geschlachtet werden müssten, das würde mir sehr weh tun. Man würde das Ergebnis meiner Arbeit ja nicht sehen. Und diese Tiere sind nicht dafür da, im Schlachthof zu sterben. Sie sind dafür gemacht, in der Stierkampfarena zu sterben."


    Dass Tiere als dankbare Objekte für Mitgefühl und damit für große Schlagzeilen taugen, das beweist das Schicksal von Braunbär Bruno - in Deutschland auch "Problembär" genannt. Im Sommer 2006 überquerte Bruno mehrfach illegal die deutsch-österreichische Grenze, was so viel Wirbel auslöste, dass die Finnen schließlich ihre bewährten Bärenjagdhunde einfliegen ließen, um Bruno aufzuspüren.

    Die sogenannten Karelischen Bärenhunde gelten als Draufgänger, sie sind mutig, eigenwillig, und zäh. Bruno stellten sie allerdings nicht mehr, am Ende kam der Promibär durch den Schuss bayerischer Jäger zu Tode. In Finnland werden indes kaum noch Bären gejagt. Seit dem EU-Beitritt des Landes im Jahre 1995 ist die Jagd ist nur noch in bestimmten Ausnahmefällen erlaubt, eine Regelung, die die Öffentlichkeit akzeptiert.

    Obwohl die Finnen ihn Jahrhunderte gejagt lang haben, wurde der Bär zugleich immer verehrt, für seine Kraft und seine kämpferischen Qualitäten. Hinweise darauf finden sich sogar im finnischen Nationalepos. Heute muss jeder Jäger eine spezielle Lizenz erwerben und natürlich einen Jagdschein, ein passendes Gewehr und eine erfolgreich absolvierte Schießprüfung vorweisen. Unruhe bricht in Finnland nur noch aus, wenn Bären sich allzu nah an Vorgärten und Bauernhöfe heranwagen.

    Das Zusammenleben mit dem Elch verläuft ebenfalls entspannt, und geradezu rücksichtsvoll: An den Landstraßen und selbst an den Autobahnen stehen alle paar Kilometer dreieckige rote Schilder, die darauf hinweisen, dass ein Elch die Straße überqueren könnte.


    Warnung tut not, denn Elche können bis zu 800 Kilogramm schwer werden und eine Schulterhöhe bis 2,30 Meter erreichen. Knut Benzner war in Finnlands Wäldern unterwegs:

    Elche, Bären und Jäger in Finnland
    100 Kilometer nördlich von Helsinki.

    "Nein, nicht 100: 85."

    "Natürlich gibt es Elche."

    Und natürlich jagt Sato Jäskilainen, aber:

    "Nein, keine Elche, sondern Vögel und Kaninchen."

    Es ist ein Hobby. Sato Jäskilainen, 38, trägt eine Tätowierung am linken Arm, derbe Kleidung, langes Haar und feste Schuhe. Sie gehört zu den vielen, noch immer leidenschaftlich jagenden Finnen und betreibt ein Gestüt. In der Einfahrt zu ihrem Haus steht ein Pick-up, ein Kleinlastwagen. Dorf kann man das, wo sie wohnt, nicht nennen - es ist eine Siedlung abseits des Lärms, mitten im Wald. Die Elche stehen manchmal einfach auf der Straße.

    "Ich habe gerade vier gesehen, und sie waren groß, ja."

    Nicht jedem ist erlaubt, Elche zu erlegen. Aber man muss nur eine Art Kurs machen, und dann hat man das Recht, ein Gewehr mitzuführen. Und was passiert mit dem Elch, wenn er erlegt ist?

    "Er wird gegessen", sagt sie, "der ganze Elch, das Geweih natürlich nicht". Die Wälder Finnlands, so sieht es das Gesetzt vor, die weiten Wälder dürfen von allen betreten werden; und alle dürfen Pilze und Beeren sammeln.

    "Ich mag es, in den Wäldern und in der Natur zu sein. Außerdem geht es beim Jagen auch um die Erhaltung der Balance."

    Zu viele Elche bedeuten zu viele Autounfälle; zu viele Greifvögel bedeuten zu wenige Kaninchen. Die Balance. Ihr Mann, erzählt sie, jage Elche. Und die Wölfe und die Bären, die es gibt? Ja, als sie im letzten Sommer vor dem roten Haus gegenüber stand, beim Nachbarn, hat sie ein paar Bären gesehen.

    "Die dürfen wir allerdings nicht jagen. Der Bär ist wie ein Elefant. Wenn ein Bär direkt vor dir steht oder in deinem Garten, dann darfst du schießen, aber nicht im Wald."

    Im Osten Finnlands allerdings, in Karelien etwa, an der Grenze zu Russland, ist das Bärenjagen erlaubt. Um die 50 jedes Jahr werden von den Behörden freigegeben - die Bärenpopulation hat zugenommen. Sato Jäskilainen hat einen Hund; sie hat sogar zwei, aber ein Karelischer Bärenhund, auf Finnisch...

    "Karjalankarhukoira"

    ...ist nicht dabei. Ein Hund für die Kaninchenjagd hat sie. Und der andere ist ein Deutscher Schäferhund.

    In Helsinki, im dritten Stock des neuen Parlamentsgebäudes, in der Nähe vom Hauptbahnhof:

    "Ich habe nie gejagt, nein. Ich wüsste nicht, warum. Ich mag es nicht."

    Juko Skinnari hat ein anderes Hobby: Er fischt; vom Boot. Gegen eine geringe Gebühr kann in Finnland auch jeder fischen.

    Skinnari - 62, schwarzer Anzug, weißes Haar - ist Jurist, geboren in Lahti und Politiker, seit 30 Jahren Parlamentsmitglied, bei den Sozialdemokraten, die zurzeit nicht an der Regierung beteiligt sind. Die Regeln für die Jagd seien strikt, sagt er. Aber sie könnten strikter sein, sie sollten besser überwacht werden.

    "Die Elchjagd zum Beispiel ist nur in bestimmten Perioden erlaubt. Man darf sie nicht das ganze Jahr über schießen."

    Daneben sei das Schießen einiger Wasservögel, ergänzt Skinnari, erst ab Mitte August des jeweiligen Jahres gestattet. Und die Bären:

    "Ab und an gelangt einer in die Stadt, ja, aber nicht bis nach Helsinki. Ich habe das mal in den Nachrichten gesehen. Das war oben oder im Osten. Finnland ist nicht das Land, in dem man Bären auf der Straße begegnet. Sie sind im Wald. Finnland ist so groß und lang. Wir haben Gegenden, wo beinahe niemand lebt. Wenn dann mal ein Bär in die Stadt kommt, ist das wirklich eine große Nachricht. Ich habe es mal gesehen, wie gesagt, aber ich weiß nicht mal mehr, wann."


    "Jean de La Fontaine: Das Huhn mit den goldenen Eiern
    Wer alles haben will, verliert oft alles!
    Dies zu erklären, denk ich jenes Falles,
    In dem ein Huhn, wie uns die Fabel lehrt,
    Dem Geizhals, dem es zugehört,
    Von Tag zu Tag ein goldnes Ei beschert.
    Er meint, es habe einen Schatz im Bauch;
    Er tötet's, öffnet's, findet trüben Mutes:
    Die Henne war genau wie andre Hennen auch.
    Und so beraubte er sich selbst des größten Gutes.

    Ein Beispiel, das sich alle merken sollten!
    Wie viele gibt es doch von solchem Schlag,
    Die arm geworden sind an einem Tag,
    Weil sie in einem Tag zu Reichtum kommen wollten."

    Geklonte Schlachtplatte für den europäischen Verbraucher? Die jüngste Ankündigung aus Brüssel, künftig den Verkauf von Milch und Fleisch von geklonten Tieren zu erlauben, löst Diskussionen aus. Auch der Tierschutz kommt als Argument ins Spiel, denn Kritiker verweisen auf die vielen Pannen, die beim Klonen passieren und den tierischen Versuchsobjekten unnötiges Leid zufügen. Ob man die Politik der Europäischen Union für tierfreundlich hält oder nicht, hängt wie immer vom Standpunkt des Betrachters ab.

    Tatenlosigkeit kann man der EU allerdings nicht vorwerfen: Seien es Tierversuche, Käfighaltung oder Viehtransporte - überall hat Brüssel in den letzen Jahren Verschärfungen zum Schutz der Tiere initiiert oder bereits durchgesetzt. Seit März dürfen zum Beispiel EU-weit keine kosmetischen Inhaltsstoffe aus Tierversuchen mehr eingesetzt werden. Im Mai wurde ein Einfuhrverbot für Robbenprodukte beschlossen. Und bis 2013 sollen wirksamere Betäubungsmethoden für Schlachtvieh in Kraft treten. Beim umstrittenen Thema Schächten hält die EU sich indes lieber raus. Das sei Sache der Mitgliedsstaaten.


    "Wach endlich auf! Wer ist verantwortlich für tierquälerische Massentierhaltung, grausame Tierversuche und endlose Tiertransporte?
    Die Regierenden in Berlin und Brüssel, die durch eine tierfeindliche Gesetzgebung diese Missstände erlauben! Wach endlich auf!"

    Der Wahlwerbespot der Tierschutzpartei zur jüngsten Europawahl verfing bei den Wählern nicht - mit mageren 1,1 Prozent Stimmenanteil war der Erfolg eher gering.

    Aufgeholt haben dagegen die grünen Europaparlamentarier. In Frankreich gewannen sie gar 16 Prozent bei der Europawahl, in Deutschland wurden sie mit über zwölf Prozent immerhin drittstärkste Kraft am 7. Juni.

    Der bisherige Abgeordnete Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf wird in der neuen Legislaturperiode allerdings nicht mehr dabei sein. 25 Jahre hat er für die Grünen im Europäischen Parlament gesessen und war dort unter anderem Vorsitzender der "Intergroup Tierschutz", einer fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe.


    Künftig wird Graefe zu Baringdorf das Straßburger Treiben von Ostwestfalen aus beobachten, als Landwirt im Hauptberuf. Der Hof ist seit Jahrhunderten in Familienbesitz. Ruth Reichstein mit einer Reportage aus Spenge:

    Tierschutz in Straßburg und Spenge: Der Ex-Europaparlamentarier Friedrich-Wilhelm zu Graefe Baringdorf erzählt
    Der Wind fährt durch die tiefgrünen Blätter der hohen Lindenbäume, die Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf Schatten spenden. Der ehemalige EU-Abgeordnete und überzeugte Biobauer sitzt auf der Terrasse vor seinem Hof in der Nähe von Bielefeld und blättert durch die Lokalzeitung.

    Ab und zu greift er zu einer großen, beigefarbenen Schale und schlürft seinen morgendlichen Kaffee mit Milch. Der 66-Jährige genießt die Zeit und die Ruhe auf dem Hof. Ökologische Verträglichkeit und eine artgerechte Tierhaltung stehen für Graefe zu Baringdorf im Mittelpunkt, ganz wie es auch seiner politischen Überzeugung entspricht. Jahrelang hat sich er sich als Grünen-Abgeordneter für mehr Tierschutz in Europa eingesetzt - mit Erfolg, wie er sagt:

    "Die Tiere haben eine massive Lobby durch die Tierschutzverbände auf europäischer Ebene. Ganz besonders ist das in Großbritannien. Da spielt der Tierschutz eine ungeheuere Rolle in der Politik, auch in der Frage, wer gewählt wird, sodass sich viele englische Kollegen auch im Europäischen Parlament in der 'Intergroup Tierschutz' wiederfanden. Ich habe meine Zweifel, ob das immer nur im Interesse des Tieres lief oder nicht auch im Interesse der eigenen Wahlchancen. Aber diese christliche Gesinnungsethik ist vielleicht nicht so entscheidend. Hauptsache, sie tun das, was wichtig für die Tiere war."

    Graefe zu Baringdorf steht auf und geht über den Hof Richtung Hühnerstall. Das Federvieh lebt in einem mehrere Quadratmeter großen Käfig mit Sandboden und einigen Schlafbänken aus Holz. Ein Paradies, für Hühner, sagt der Landwirt, aber das war nicht immer so:

    ""Als wir damals - der alte Herr noch - auf Hühnerhaltung umstiegen, war das ganz brutale Käfighaltung, also etwa 20.000 Hühner. Die haben jetzt Bodenhaltung, Auslauf. Ihre Artgenossinnen früherer Zeit waren eingesperrt in Käfigen und dann saßen in einem Käfig drei, vier, fünf Hühner, die die Fläche eines halben DIN-A-4-Blattes hatten. Darauf hat auch die europäische Ebene reagiert und hat ein Verbot der Käfighaltung ausgesprochen mit einer Übergangszeit bis 2012. Dann muss wenigstens ein Gemeinschaftskäfig angeboten werden, wo dann auch dem Bewegungsdrang Rechnung getragen wird."

    Die Richtlinie zur Käfighaltung ist nur einer von zahlreichen Beschlüssen des Europäischen Parlaments aus den vergangenen Jahren: Tierversuche wurden ebenfalls eingeschränkt und auch für die Transporte von Tieren gibt es strengere Regeln.

    Den Biobauern Graefe zu Baringdorf freut es. Er geht mit großen Schritten in die benachbarte Scheune und fährt mit einer großen Metallschaufel in einen Haufen Körner, die er dann rüber zu den Hühnern bringt. Hand für Hand wirft der Landwirt die Körner durch das Gitter. Die Biobauern wie Graefe zu Baringdorf müssen noch strengere Auflagen erfüllen, als auf einem konventionellen Bauernhof. Ohne die übergeordnete europäische Ebene, meint der grüne Politiker, wären die Verbesserungen in der Nutztierhaltung nicht möglich gewesen:

    "Die Käfighaltungslobby, die Käfigbaulobby, die Futtermittelindustrie, die Chemieindustrie, die Banken, die an solcher industrieller Produktion mehr verdienen, als an einer bäuerlichen Wirtschaftsweise, machen Druck. Und der Einfluss auf die nationale Ebene ist höher, als auf die europäische Ebene. Genau wie im Umweltbereich wären die Vorschriften von den Nationalstaaten so nicht durchzusetzen gewesen. Das Europäische Parlament ist von den nationalen Überlegungen und vom ökonomischen Einfluss ein Stück freier."

    Diejenigen Parlamentarier, die allzu viel Aktionismus für den Tierschutz ablehnen, halten sich in der Öffentlichkeit zurück - wenn auch wider Willen. Murren, sagt Baringdorf und wirft noch eine Handvoll Körner in den Käfig, habe er von seinen Kollegen nur beim Feierabendbier gehört, nie aber öffentlich:

    "Dann gibt es zwei Gruppen; eine, die sagt: Wir halten das auch für notwendig von unserer Ethik und Interessenlage; und es gibt eine andere, die aus opportunistischen Gründen sagt: Es ist besser, wir kommen dem nach, sonst stehen wir in der Öffentlichkeit schlecht da."

    Besonders schwierig sei die Auseinandersetzung mit den Kollegen aus den neuen EU-Mitgliedsländern, aus dem ehemaligen Ostblock:

    "Die hatten gegenüber der Natur eine ziemlich eigenartig distanzierte Haltung. Der Slogan in der DDR war: Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein. Auch da spielten die Tiere im Sinne der Eigenständigkeit keine Rolle. Und diese Haltung findet man noch in diesen Ländern in der Landwirtschaft. Da, wo das stattgefunden hat, war das eine rein ökonomische Betrachtungsweise und da geht die Eigenständigkeit der Kreatur etwas verloren."

    Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf schlendert weiter über seinen Hof, vorbei am Schweinestall. Hier bleibt er stehen und versucht eines der Schweine nach draußen zu locken. Der Tierschutz in Europa sei vorwärtsgekommen in den vergangenen Jahren, sagt der Biobauer. Und zwar vor allem, weil die Verbraucher ihr Einkaufsverhalten geändert haben. Seine Zeit als Parlamentarier in Brüssel ist zwar vorbei, aber die Diskussion werde er auch in Zukunft ganz genau verfolgen. Denn ohne eine weltweite Neuordnung der Nutztierhaltung seien auch die europäischen Erfolge nur relativ:

    "Das Kapital flüchtet, sobald es Auflagen kriegt - eben auch auf Tierschutz hin - und baut dann diese Fabriken in Brasilien auf. Das ist eine böse Geschichte, die wir in den Griff kriegen müssen, aber noch nicht haben. Darum sagen wir: Wenn wir nicht wollen, dass Hühner in Käfigen sitzen, dann wollen wir auch nicht, dass die in Brasilien in Käfigen sitzen; oder zumindest wollen wir nicht, dass sie die Eier ungekennzeichnet hier rein bringen können - und weiterhin Tierquälerei betreiben."


    "Jean de La Fontaine: Das Pferd und der Esel

    Man muss einander helfen in der Welt;
    Denn, stirbt dein Nachbar, kann es leicht geschehen,
    Dass seine Last auf deinen Rücken fällt.

    Ein Esel musste einst mit einem Pferde gehen,
    Das nichts als nur sein leichtes Zaumzeug trug;
    Der Esel aber war bepackt genug.
    So wandte er sich an das Pferd mit Flehen:
    "Hilf mir ein wenig, oder ich muss sterben!
    Was ich erbitte, ist für dich nicht viel,
    Die Hälfte meiner Last ist dir nur Spiel,
    Und großen Dank wirst du erwerben."
    Das Pferd schlug's ab und wollte nichts mehr hören.
    Doch als der Esel fiel, was half ihm da sein Wehren?
    Es musste mit des Esels voller Last sich plagen
    Und obendrein des Esels Haut noch tragen."

    Je weiter man in Europas Süden kommt, umso schwieriger wird das Verhältnis zwischen Mensch und Hund, umso größer das Ausmaß von Verwahrlosung und Konflikten. Das sagen zumindest die italienischen Tierschützer. Im März gerieten sie allerdings in die Defensive: Da überfiel ein Rudel streunender und ausgehungerter Hunde einen fünfjährigen Jungen im Süden Siziliens. Das Kind starb, die Polizei jagte daraufhin die Hunde und versuchte sie mit Pistolen zu erlegen.

    Seit diesem Vorfall mag niemand so recht über das Thema sprechen in Sizilien: über die Gewalt, die Hunde antun und die ihnen selbst angetan wird. Alleine in Palermo fristen mehr als 10.000 herrenlose Tiere ihr Dasein. Zwar geben die Gemeinden pro Jahr 500 Millionen Euro für das Einfangen und den Unterhalt von Hunden aus, doch die teils privat, teils kommunal betriebenen Tierheime sind wahre Sterbelager.

    Bis zu 90 Prozent der eingelieferten Vierbeiner überleben das erste Jahr dort nicht. In Sizilien kommt noch eine brutale Eigenheit hinzu: Die Mafia macht Riesengeschäfte mit Wetten bei verbotenen Hundekämpfen. Zusätzlich fließen Millionen in die Aufzucht besonders aggressiver Kampfhunde.


    Am Stadtrand von Palermo liegt der Zwinger der "Liga zum Schutz der Hunde". Rund 30 Freiwillige versuchen hier das Beste - bei einem Jahresbudget von knapp 90.000 Euro, das der kleine Verein teils aus eigener Tasche finanzieren muss. Von der Stadt gibt es keinen Cent Unterstützung. Die Betreiber hoffen auf Patenschaften in Deutschland, um weitermachen zu können. Karl Hoffmann war vor Ort:

    Hundeleben in Sizilien: Palermos Tierschützer hoffen auf Hilfe
    Der junge Mann bremst seinen Roller vor dem grünen Eisentor, nimmt den Helm ab und ruft seine Mitarbeiterin Laura, ihm zu öffnen. Dann geht Saverio Genovese schnellen Schrittes über den Vorplatz in sein Büro, setzt sich hinter den Schreibtisch, ordnet seine schicke dunkelblaue Krawatte über dem hellblauen, frisch gebügelten Hemd ,streicht sich mit beiden Händen die mittellangen schwarzen Locken zum Hinterkopf und beginnt zu erzählen.

    Es riecht stark nach nassem Hund. Und von draußen dringt endloses Gebell in das kleine Büro. Saverio kommt gerade von der Bank. Dort verdient er sein Geld. Er verkauft als Finanzberater Anleihen und Anlagefonds. Hier in dem kleinen stinkenden Büro ist er Vizepräsident. Seit zehn Jahren arbeitet der 28-Jährige ehrenamtlich im Ortsverein zum Schutz der Hunde. Und hier verbringt er auch all seine Freizeit. In Palermo ist solches Engagement dringender nötig, als sonst irgendwo in Italien. Nirgendwo im Lande gibt es so viele misshandelte Tiere.

    "Unser Tierheim kann eigentlich nur 150 Hunde aufnehmen. Derzeit haben wir 246 Tiere, also fast 100 zu viel. Deswegen nehmen wir auch keine mehr auf. Vor sechs Wochen haben die Gesundheitsbehörden unsere Tierheim sogar geschlossen. Aber der zuständige Tierarzt hat uns bestätigt, dass alle Hunde gesund sind. Ja, er hat uns sogar gelobt. Aber leider ist diese ganze Anlage seit 35 Jahren schon ein Schwarzbau. Bisher hat man uns in Ruhe gelassen, weil wir nützlich sind."

    Denn im städtischen Tierheim ist kein Platz für all die Hunde. Die Pfleger dort sind strafversetzte städtische Angestellte. Sie sind inkompetent und kümmern sich eigentlich überhaupt nicht um die Tiere.

    "Die Behörden dürfen die streunenden Hunde laut Gesetz nicht mehr einschläfern. Weil sie aber keinen Platz haben, werden nur weibliche Tiere eingefangen, sterilisiert und dann wieder freigelassen, wenn sie sich von dem Eingriff erholt haben. Nur mit den herrenlosen Kampfhunden geht das nicht. Die müssen im Tierheim bleiben, denn sie sind für Menschen gefährlich. Und das ist grausam. Diese Hunde werden dort an die Kette gelegt und an Pfähle im Hof gebunden."

    Kampfhunde. Eine besonders üble Tradition vor allem in Kreisen der Mafia. Saverio zeigt seine Hände, die aus den makellosen Manschetten ragen: überall Narben von Hundebissen. Die haben ihm wild gewordene Kampfhunde beigebracht, die bei ihm gelandet sind.

    Saverio steht auf und macht seinen Rundgang entlang der endlosen Reihe von Zwingern, in denen Gruppen von Hunden untergebracht sind, die sich miteinander vertragen. Vor einem der Gehege mit einem niedrigen massigen Hund mit beeindruckenden Kiefern bleibt er stehen.

    "Das ist ein Pitbull-Mischling. Als er zu uns kam, hatte er den Kopf voller Löcher und Wunden am ganzen Körper. Irgendjemand hat ihn halbtot vor dem Eingangstor liegenlassen. Wir haben ihn, so gut es geht, gepflegt. Auch wenn er ständig um sich biss. Er hatte unglaubliche Angst. Wahrscheinlich ist er geschlagen worden. Normalerweise werden diese Tiere in winzigen Käfigen gehalten. Dann schlägt man ihnen mit Eisenstangen auf die Schnauze, damit sie aggressiv werden. Und um ihnen beizubringen, ihre Gegner im Kampf zu töten, wirft man ihnen Welpen oder andere kleine Tiere lebend zum Fraß vor. Dieses Tier ist inzwischen wieder völlig normal."

    Das Verdienst von Saverio, der sich ein Jahr lang liebevoll um das misshandelte Tier gekümmert hat. Die Hundekämpfe sind ein beliebter Zeitvertreib bei den Mafiamitgliedern, denen es an Geld und Gewaltbereitschaft nicht fehlt, dafür umso mehr an menschlicher Kultur. Bei Hundekämpfen werden sagenhafte Beträge verwettet. Ein erstklassiger Kampfhund wird mit bis zu 15.000 Euro gehandelt. Außenstehende bekommen davon nichts mit, aber Behörden und Polizei wissen Bescheid, da ist sich Saverio sicher.

    "Wir Tierschützer sind vor allem darüber wütend, dass man eigentlich ganz genau weiß, wo sich das alles abspielt. Wenn man nur wollte, dann könnte man diese Leute hochgehen lassen und ein für alle Mal Schluss machen mit diesen schrecklichen Machenschaften. Ich wage zu behaupten, dass nur deshalb nichts geschieht, weil man sich unnötige Arbeit ersparen will. Denn wenn man einschreitet und dann ein paar Dutzend Pitbulls findet, dann weiß man wieder nicht wohin damit."

    Die Katze - oder in diesem Fall der Hund - beißt sich in den Schwanz: Wollte man sich wirklich ernsthaft um die Tiere kümmern, bräuchte man mehr Tierheime und Pfleger, aber das würde einiges Geld kosten. Und in Palermo reicht es nicht mal dafür, die Müllberge regelmäßig abzutragen, unter denen die Müllmänner oft genug auch Kadaver getöteter Kampfhunde finden.

    Dass es in Palermo, in Sizilien und in ganz Süditalien auch richtige Tierfreunde gibt, beweisen Saverio und die anderen 35 freiwilligen Helfer, die sich liebevoll so manchem Tier angenommen haben. Aber sie kämpfen auf verlorenem Posten und wünschen sich nichts sehnlicher als ein wenig Solidarität und vielleicht auch Hilfe in Form von Naturalien. Saverio appelliert an die deutschen Tierfreunde:

    "Schicken Sie uns Hundefutter und Arzneimittel. Damit würden sie uns schon viel helfen, und im Internet können Sie dann nachvollziehen, was daraus wird. Vielleicht gelingt es uns endlich, ein wirklich schönes Tierheim aus diesen Käfigen zu machen. Und Sie hätten dann die Genugtuung, dass Sie hier, weit unten im desolaten Süden, etwas Positives bewirkt haben."

    Savino rückt seine Krawatte zurecht, grüßt mit einem strahlenden Lächeln, wirft sich auf seinen Roller und braust zurück in die Bank.


    Überleben mit dickem Fell: Das waren Gesichter Europas an diesem Samstag über Tierschutz in Europa. Unsere Reporter waren Knut Benzner, Alkyone Karamanolis, Karl Hoffmann, Hans-Günter Kellner und Ruth Reichstein. Sie besuchten Tiere und Tierfreunde in Finnland, Griechenland, Italien, Spanien - und in Ostwestfalen. Die Musik hat Mathias Mauersberger ausgesucht; und die Auszüge aus La Fontaines Tierfabeln wurden gelesen von: Matthias Haase. Redakteurin am Mikrofon war Barbara Schmidt-Mattern!