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Überleben trotz Sparzwang

Das Jahrbuch für Kulturpolitik wird vom Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft herausgegeben und versteht sich als Forum und als Handreichung für Kulturpolitiker. Und die haben es in Zeiten drohenden Kulturanalphabetismus einerseits, leerer Kassen und ständiger Spardiktate andererseits nun wirklich nicht leicht. Wenn dann, wie in diesem Jahr, auch noch die "Theaterdebatte" zum Schwerpunktthema gemacht wird, kann man sich leicht vorstellen, dass Kulturdezernenten das Werk durchforsten und nach Anregungen suchen, wie denn die Quadratur des Kreises doch noch zu bewerkstelligen sei.

Von Karin Fischer |
    Dem Theater geht es schlecht, und das schon länger. Die viel gerühmte, einzigartig vielseitige deutsche Theaterlandschaft, gekennzeichnet von Mehrspartenhäusern auch in mittleren Städten, vom Ensemble- und Repertoiretheater, lässt sich nach Meinung vor allem der Kulturpolitiker auf Dauer nicht finanzieren. Nicht nur, weil im deutschen Theater mit seinen fast täglich wechselnden Spielplänen ein manischer, personal- und kostenintensiver Umbauzwang herrscht. Nein, das so genannte "Baumolsche Gesetz" hat schon in den 60er Jahren und ganz allgemein festgestellt: Lohnsteigerungen können im Kulturbereich nicht durch Produktivitätszuwächse, sondern nur durch die öffentliche Hand aufgefangen werden. Die Berliner Kulturberaterin Cornelia Dümcke stellt lakonisch fest:

    Es ist eine Binsenweisheit: Wenn man das deutsche Stadttheater so weiter betreibt, wie es heute existiert, wird es gesetzmäßig immer teurer. ... Grundsätzlich neue Finanzierungsmodelle bei Beibehaltung von Spezifik und Rahmenbedingungen des deutschen Stadttheatermodells sind momentan nicht bekannt.

    "Schuld" daran ist die Krise der öffentlichen Haushalte. Seit kurzem schlagen die kommunalen Sparvorgaben auch auf die Kulturetats durch, die in den Städten zu immerhin 35 bis 65 Prozent von den Theatern beansprucht werden. Die Theater wiederum geben bis zu 85 Prozent der Gesamteinnahmen fürs nichtkünstlerische Personal, also für den "Apparat", aus. Der Finanzdruck allein durch die jährlichen Lohnkostensteigerungen ist erheblich. Die Theatertanker müssen, wollen sie überleben, beweglicher werden, signalisiert Kulturstaatsministerin Christina Weiss vor allem den Kapitänen schon im Vorwort des Jahrbuchs:

    Alles steht auf dem Prüfstand. Das Theater muss sich neu beweisen – auf der Bühne und vor allem in seinen Betriebsstrukturen. Es reicht nicht mehr nur aus, nur an einem Schräubchen zu drehen, man muss die ganze Maschine überholen.

    Oder in eine GmbH überführen, ein Modell, das Christina Weiss favorisiert als Antwort auf die drohende finanzielle Austrocknung der Theater; im Buch wird diese Rechtsform unter anderen in gebührlichem Bürokratendeutsch vorgestellt. Als eine Art geistiger Schirmherr für den Band dient der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau, der im Jahr 2002 ein "Bündnis für Theater" ins Leben gerufen hat. Rau allerdings will, dass in den Theatern nicht nur noch über Wirtschafts- statt über Spielpläne diskutiert wird:

    Die um sich greifende Verwertermentalität trocknet eine Gesellschaft geistig aus. Ich setze dem den Eigenwert der Kultur entgegen.

    Darum geht es in dem Buch nun leider überhaupt nicht. Der Sammelband ergänzt die zahlreichen öffentlichen Konferenzen und Symposien, die seither stattgefunden haben, indem er neben den 'üblichen Verdächtigen’ aus der Intendantenriege - Tom Stromberg oder Stefan Märki - oder aus der Politik - Michael Vesper, Antje Vollmer, Monika Griefahn und Günter Nooke - auch andere Stimmen zu Wort kommen lässt: VertreterInnen des Freien und des Privattheaters; Kulturmanager, Statistiker und Evaluateure; Theaterwissenschaftler und Kulturdezernenten. Was sie zusammengetragen haben, ergibt die kleinteilige Auffächerung eines Problems, das fast so viele Facetten hat wie Sorgenkinder und übrigens nicht allein unserem Jahrhundert vorbehalten ist, wie der Blick vieler Autorinnen und Autoren in die Historie zeigt. Das Konzert der Aufsätze macht ferner den gesellschaftlichen Hintergrund transparent, dem die weitgehend kunstferne Diskussion dieser Tage mit geschuldet ist. Denn die Erosion jener Bürgerkultur, der bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts das Theater vor allem kulturelle Selbstvergewisserung über einen literarischen Kanon sowie gesellschaftliche Repräsentanz und Integration bedeutete, ist weit fortgeschritten. Seither hat sich aber nicht nur die Angebotspalette der Medien- und Freizeitgesellschaft vom 20-Kanal-Fernsehen bis hin zum mächtig beworbenen privaten Musicalbetrieb permanent erweitert. Auch der Konsens, das Theater sei, wenn nicht "moralische Anstalt", dann doch eine zentrale Instanz gesellschaftlicher Diskurse, muss hinterfragt werden. Die Selbstverständigungsrituale der multimedialen Gesellschaft finden in Talkshows statt; das Millionenpublikum im Theater ist dagegen eine hochsubventionierte Minderheit. Und ein Teil dieser Minderheit will gepflegt literarische Theaterkunst konsumieren, sieht sich aber oft höchst verstörenden künstlerischen Experimenten ausgesetzt. Polemisch ausgedrückt: Wer tagsüber bei Aldi Champagner kauft, will abends noch lange nicht René Polleschs "Pablo in der Plusfiliale" vorgesetzt bekommen. Das ist so, aber dennoch ist es ein gefährliches Spiel, wenn der Theaterkritiker Peter Iden im Namen eines amorphen Publikums so genannte "Texttreue" gegen avancierte Theaterkunst ausspielt:

    In vielen Theatern hat, was in Hinsicht auf gesellschaftliche Verbindlichkeiten verloren ging, Intendanten und Regisseure veranlasst, auch ihrerseits jede stringente Beziehung zu den älteren oder auch neuen Texten, zu den Schauspielern wie zu dem seiner unscharfen Kontur wegen ohnehin für vernachlässigbar erachteten Publikum preiszugeben und sich im Umgang mit ihren Stoffen ganz ihren am Theater "Einfall" genannten Willkürlichkeiten der szenischen Interpretation zu überlassen. Auf jeden Fall gut ist, was einem bei der Probe als putzige Assoziation halt gerade so durch das Hirn flutscht.

    Idens Pucher-, Petras- oder Marthaler-Bashing beweist nicht die mangelnde Qualität des Theaters, sondern einzig den konservativen Standpunkt einer Theaterkritik, die nicht zur Kenntnis nehmen will, dass politisches Theater heute anders auf die Bühne kommt. Als Schule der Wahrnehmung etwa, die inmitten der alltäglichen Bilderflut am ästhetischen Differenzierungsvermögen arbeitet.

    Idens Kritik zielt jedoch auf eine Grundfrage, die der Sammelband zwar stellt, aber nicht beantworten mag: Wie viel ist eigentlich der Gesellschaft ihr Theater wert? Die Instrumente, die das Buch als Hilfestellung anbietet, spiegeln nur die konzeptionelle Hilflosigkeit, die die gesamte Debatte prägt. Nicht dass es einfach wäre, ein Forschungsobjekt zu evaluieren, das aus lauter unvergleichbaren Fällen besteht. Warum dann aber vorgeben, Besucherumfragen oder eine Theaterstatistik seien mehr als ein unverständliches Zahlenkonvolut, das erst noch zu interpretieren wäre?

    Was dieser Sammelband deutlich macht: Es gibt sie nicht, die überschauende Kompetenz von Theatermanagern, die maßgeschneiderten Vorschläge von Experten der Kommunalpolitik oder "Reform-Künstlern"; nur einzelne, interessengeleitete Ansätze, unverbundene Erfahrungsberichte, einige hilfreiche Beispiele – die Bühnen von Weimar, Hildesheim oder Magdeburg - und die prinzipiell immer richtige Forderung nach flexibleren, effizienteren Strukturen. Auch der interessante Blick ins Ausland hilft nicht wirklich weiter: Von Frankreich, Rumänien oder Kuba aus lebt das deutsche Stadt-Theater immer noch auf einer Insel der Seligen. Mit etwas Mühe lässt sich aus den vielen Einzelbeiträgen dennoch herausdestillieren, wo verwaltungstechnisch seine Zukunft liegt: In einem besseren Selbstmanagement, bei dem die Gewerkschaften eine gewisse Bringschuld haben (Stichwort: Tarifverträge). Im Überdenken des Repertoire-Systems in Richtung auf kostengünstigere en suite-Spielpläne, die auch den Austausch mit anderen Häusern erleichtern. Und in einer deutlich größeren Vernetzung mit freien Gruppen, die der Entwicklung des Theaters seit den 70er Jahren einerseits und seiner veränderten Funktion innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses andererseits gerecht würde.

    Vielleicht kann das Jahrbuch für Kulturpolitik auch dazu beitragen, die Kommunikation zwischen Theatermachern und Lokalpolitikern künftig weniger konfrontativ zu gestalten. Die Frage, was gutes Theater sei und was es wert sei, kann es nicht beantworten. Die wird weiterhin allabendlich auf der Bühne entschieden – in der schönen Konfrontation der Inszenierung mit ihrem Publikum.

    "Jahrbuch für Kulturpolitik 2004. Thema: Theaterdebatte". Es wird herausgegeben vom Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft und ist erschienen im Essener Klartext Verlag. 444 Seiten, 19,90 Euro.