Ahmed al-Attar wirkt älter als sein Alter. Er ist 23 und klingt ernsthaft und überlegt. Auf der Terrasse eines Luxushotels in Abu Dhabi sitzend, sinniert Attar über die Krise, in der Dubai steckt. Auf seinem Blog nennt er sich "Scheich der Kontroverse"; doch das, was er über Dubai sagt, denken wohl die meisten Menschen in Abu Dhabi:
"Ich glaube, da ist Enttäuschung, dass zugelassen wurde, dass die Sache so schlimm wurde. Aber es gibt auch das Bewusstsein, dass wir ein Land sind, dass wir nicht zulassen werden, dass Dubai pleitegeht und dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, um zu verhindern, dass der gute Ruf von Dubai leidet. Wir werden unser Schwesteremirat ermuntern, die Krise als eine Chance zu begreifen, sich zu bessern und nicht noch einmal in solche Schwierigkeiten zu geraten."
Attars Offenheit ist ungewöhnlich in einer Kultur, die es vorzieht, Probleme außer Sichtweite der Öffentlichkeit zu lösen. Seit das staatliche Firmenkonglomerat "Dubai World" vor drei Wochen mitteilte, einen Teil seiner Schulden umstrukturieren zu wollen, hängt ein großes Fragezeichen über dem "Modell Dubai". Fast die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes von Dubai wurde im Bau- und Immobiliensektor erwirtschaftet. Mit der weltweiten Finanzkrise vor rund einem Jahr brach dieser Sektor ein. Die Preise gaben so sehr nach, dass nun einige der Tochterunternehmen von "Dubai World" ihre Schulden nicht mehr tilgen können. Achmed al-Attar sorgt sich jetzt um die Vorbildfunktion, die Dubai so lange für den Nahen Osten hatte:
"Lassen wir die Schadenfreude, mit der Dubai jetzt fertig werden muss, beiseite. In Wirklichkeit hat Dubai gegen den Terrorismus gekämpft - ganz einfach, weil es den Menschen einen Weg aufzeigte. Es sagte ihnen: Wenn du hart arbeitest, großartige Ideen hast und zu uns kommst, um etwas zu erschaffen, dann kannst du Geld verdienen, in Sicherheit leben und ein gutes Leben haben - und dann gibt es keinen Grund, den Weg des Schlechten zu gehen."
Dubai ist eines der sieben Emirate, die den Staat Vereinigte Arabische Emirate, kurz VAE, bilden, 1971 wurde er gegründet. Ein anderes der sieben, und zwar das größte und mit Abstand ölreichste Emirat, ist Abu Dhabi. In Dubai sind die Al-Maktoums an der Macht, in Abu Dhabi die Al-Nahyans. Beide kommen aus derselben Stammesföderation und man ist verwandt: Die Mutter des jetzigen Herrschers von Dubai war die Tochter eines Herrschers von Abu Dhabi. Die Nahyans von Abu Dhabi und die Maktoums von Dubai dominieren die VAE. Die Historikerin Frauke Heard-Bey lebt seit mehr als 40 Jahren im Land und kennt es hervorragend:
"Als dann 1971 die Föderation stand, war die Hoffnung und Erwartung von vielen Leuten in der Föderation, dass das jetzt doch ziemlich zentral regiert wird. Am Zentrum ist Abu Dhabi mit seinem Geld, und Abu Dhabi hat ja auch die ersten Jahre bis zum letzten Pfennig die Föderation bezahlt. Und die Tatsache, dass dann eben Dubai sich ziemlich im Detail immer wieder ausgeklinkt hat - oder sich nie eingeklinkt hat - und irgendwann eben doch das Bild vermittelt, dass man es immer besser weiß… Das ist irgendwann eben … Wenn sich wie jetzt eben zeigt, dass man vielleicht nicht alles besser gewusst hat - ist das nicht so ganz gut angekommen."
Aus der Not, über nicht genug Öl und Gas zu verfügen, machte Dubai schnell eine Tugend. Man schob gewaltige Infrastrukturprojekte an, ausländische Investoren folgten, schließlich glich die Stadt einer gewaltigen Baustelle. Nicht nur den eher bedächtigen Geistern in Abu Dhabi ging das zu schnell - auch so manch einem Bürger von Dubai, so der Politologin Ebtisam al-Kitbi. Sie nennt die aktuelle Schuldenkrise eine Erleichterung, auch wenn sie sich gewiss nicht freue.
"Was sicher ein riesiges Problem in Dubai war: Sie haben Hunderte Projekte gleichzeitig gestartet - und zwar alles basierend auf Immobilien. Es funktionierte - zumindest sah es so aus. Aber ich war nie davon überzeugt. Ich habe immer gesagt: Das widerspricht dem, was wir mal über Ökonomie gelernt haben. Zu hohe Schulden und eine Wirtschaft, die nicht produktiv ist! Das ist alles künstlich."
Kein Emirati möchte wieder so armselig leben, wie in der Zeit vor dem Öl; doch viele glauben, dass ihr Land einen zu hohen Preis für Fortschritt und Luxus gezahlt hat: Etwa 80 Prozent der Bevölkerung sind nun Ausländer.
"Wenn Menschen hier herkommen und lange bleiben, werden sie irgendwann um die Staatsbürgerschaft bitten, und du musst sie ihnen dann auch geben; du kannst sie nicht undemokratisch regieren. Sie werden mitreden wollen. Wenn es Wahlen gibt, werden sie teilnehmen wollen, weil sie ja die Mehrheit sind. Und du kannst nichts mehr ohne sie entscheiden."
Die Angst, im eigenen Land die Kontrolle zu verlieren, sitzt tief. Professorin al-Kitbi hofft, dass das konservative Abu Dhabi jetzt gegenüber Dubai vernünftige, einheitliche Regeln für die Zuwanderung durchsetzt - als einer der Preise für jedwede Unterstützung.
Pikant sind die Verhandlungen, die nun hinter verschlossenen Türen zwischen beiden Emiraten laufen dürften, auch, weil jeder weiß: Diejenigen, die heute Dubai regieren, hatten sich einst von Abu Dhabi abgespalten, im Jahr 1830, und waren nach Norden gezogen. Wird Abu Dhabi nun vielleicht sogar einen neuen Herrscher in Dubai durchsetzen und auf diese Weise die Abtrünnigen wieder unter seine Fittiche holen? Der Blogger Achmed al-Attar schüttelt energisch den Kopf:
"Abu Dhabi wird es nicht riskieren, das Land, die Region zu destabilisieren, um kurzfristige Ziele durchzusetzen, die eigentlich den langfristigen Zielen schaden würden. Es wird sich nicht in eine Konfrontation mit Dubai ziehen lassen. Es wird sehr gut koordiniert agieren - mit einer gewissen Distanz, aber unterstützend. Es ist wie der ältere Bruder."
Dubai muss damit rechnen, zurechtgestutzt zu werden. Der eigene Bewegungsspielraum wird schrumpfen - zugunsten von Abu Dhabi und zugunsten des ganzen Landes. Kein Emirati wünscht Dubai Böses - aber die meisten dürften dies für ein gutes Ergebnis der Krise halten.
"Ich glaube, da ist Enttäuschung, dass zugelassen wurde, dass die Sache so schlimm wurde. Aber es gibt auch das Bewusstsein, dass wir ein Land sind, dass wir nicht zulassen werden, dass Dubai pleitegeht und dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, um zu verhindern, dass der gute Ruf von Dubai leidet. Wir werden unser Schwesteremirat ermuntern, die Krise als eine Chance zu begreifen, sich zu bessern und nicht noch einmal in solche Schwierigkeiten zu geraten."
Attars Offenheit ist ungewöhnlich in einer Kultur, die es vorzieht, Probleme außer Sichtweite der Öffentlichkeit zu lösen. Seit das staatliche Firmenkonglomerat "Dubai World" vor drei Wochen mitteilte, einen Teil seiner Schulden umstrukturieren zu wollen, hängt ein großes Fragezeichen über dem "Modell Dubai". Fast die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes von Dubai wurde im Bau- und Immobiliensektor erwirtschaftet. Mit der weltweiten Finanzkrise vor rund einem Jahr brach dieser Sektor ein. Die Preise gaben so sehr nach, dass nun einige der Tochterunternehmen von "Dubai World" ihre Schulden nicht mehr tilgen können. Achmed al-Attar sorgt sich jetzt um die Vorbildfunktion, die Dubai so lange für den Nahen Osten hatte:
"Lassen wir die Schadenfreude, mit der Dubai jetzt fertig werden muss, beiseite. In Wirklichkeit hat Dubai gegen den Terrorismus gekämpft - ganz einfach, weil es den Menschen einen Weg aufzeigte. Es sagte ihnen: Wenn du hart arbeitest, großartige Ideen hast und zu uns kommst, um etwas zu erschaffen, dann kannst du Geld verdienen, in Sicherheit leben und ein gutes Leben haben - und dann gibt es keinen Grund, den Weg des Schlechten zu gehen."
Dubai ist eines der sieben Emirate, die den Staat Vereinigte Arabische Emirate, kurz VAE, bilden, 1971 wurde er gegründet. Ein anderes der sieben, und zwar das größte und mit Abstand ölreichste Emirat, ist Abu Dhabi. In Dubai sind die Al-Maktoums an der Macht, in Abu Dhabi die Al-Nahyans. Beide kommen aus derselben Stammesföderation und man ist verwandt: Die Mutter des jetzigen Herrschers von Dubai war die Tochter eines Herrschers von Abu Dhabi. Die Nahyans von Abu Dhabi und die Maktoums von Dubai dominieren die VAE. Die Historikerin Frauke Heard-Bey lebt seit mehr als 40 Jahren im Land und kennt es hervorragend:
"Als dann 1971 die Föderation stand, war die Hoffnung und Erwartung von vielen Leuten in der Föderation, dass das jetzt doch ziemlich zentral regiert wird. Am Zentrum ist Abu Dhabi mit seinem Geld, und Abu Dhabi hat ja auch die ersten Jahre bis zum letzten Pfennig die Föderation bezahlt. Und die Tatsache, dass dann eben Dubai sich ziemlich im Detail immer wieder ausgeklinkt hat - oder sich nie eingeklinkt hat - und irgendwann eben doch das Bild vermittelt, dass man es immer besser weiß… Das ist irgendwann eben … Wenn sich wie jetzt eben zeigt, dass man vielleicht nicht alles besser gewusst hat - ist das nicht so ganz gut angekommen."
Aus der Not, über nicht genug Öl und Gas zu verfügen, machte Dubai schnell eine Tugend. Man schob gewaltige Infrastrukturprojekte an, ausländische Investoren folgten, schließlich glich die Stadt einer gewaltigen Baustelle. Nicht nur den eher bedächtigen Geistern in Abu Dhabi ging das zu schnell - auch so manch einem Bürger von Dubai, so der Politologin Ebtisam al-Kitbi. Sie nennt die aktuelle Schuldenkrise eine Erleichterung, auch wenn sie sich gewiss nicht freue.
"Was sicher ein riesiges Problem in Dubai war: Sie haben Hunderte Projekte gleichzeitig gestartet - und zwar alles basierend auf Immobilien. Es funktionierte - zumindest sah es so aus. Aber ich war nie davon überzeugt. Ich habe immer gesagt: Das widerspricht dem, was wir mal über Ökonomie gelernt haben. Zu hohe Schulden und eine Wirtschaft, die nicht produktiv ist! Das ist alles künstlich."
Kein Emirati möchte wieder so armselig leben, wie in der Zeit vor dem Öl; doch viele glauben, dass ihr Land einen zu hohen Preis für Fortschritt und Luxus gezahlt hat: Etwa 80 Prozent der Bevölkerung sind nun Ausländer.
"Wenn Menschen hier herkommen und lange bleiben, werden sie irgendwann um die Staatsbürgerschaft bitten, und du musst sie ihnen dann auch geben; du kannst sie nicht undemokratisch regieren. Sie werden mitreden wollen. Wenn es Wahlen gibt, werden sie teilnehmen wollen, weil sie ja die Mehrheit sind. Und du kannst nichts mehr ohne sie entscheiden."
Die Angst, im eigenen Land die Kontrolle zu verlieren, sitzt tief. Professorin al-Kitbi hofft, dass das konservative Abu Dhabi jetzt gegenüber Dubai vernünftige, einheitliche Regeln für die Zuwanderung durchsetzt - als einer der Preise für jedwede Unterstützung.
Pikant sind die Verhandlungen, die nun hinter verschlossenen Türen zwischen beiden Emiraten laufen dürften, auch, weil jeder weiß: Diejenigen, die heute Dubai regieren, hatten sich einst von Abu Dhabi abgespalten, im Jahr 1830, und waren nach Norden gezogen. Wird Abu Dhabi nun vielleicht sogar einen neuen Herrscher in Dubai durchsetzen und auf diese Weise die Abtrünnigen wieder unter seine Fittiche holen? Der Blogger Achmed al-Attar schüttelt energisch den Kopf:
"Abu Dhabi wird es nicht riskieren, das Land, die Region zu destabilisieren, um kurzfristige Ziele durchzusetzen, die eigentlich den langfristigen Zielen schaden würden. Es wird sich nicht in eine Konfrontation mit Dubai ziehen lassen. Es wird sehr gut koordiniert agieren - mit einer gewissen Distanz, aber unterstützend. Es ist wie der ältere Bruder."
Dubai muss damit rechnen, zurechtgestutzt zu werden. Der eigene Bewegungsspielraum wird schrumpfen - zugunsten von Abu Dhabi und zugunsten des ganzen Landes. Kein Emirati wünscht Dubai Böses - aber die meisten dürften dies für ein gutes Ergebnis der Krise halten.