Vergangenes Wochenende am St. James’s Park in Newcastle: "Wir steigen ab mit einer Milliarde auf dem Konto", singen die Fans des nordenglischen Clubs und rauschen dann ab ins Stadion. Und es könnte eine Tatsachenbeschreibung sein mit dem Abstieg und den Milliarden, denn Newcastle ist aktuell Vorletzter in der Premier League. Und ist seit kurzem steinreich. Das Konsortium, das den Club übernommen hat, besteht zu 80 Prozent aus dem Staatsfonds Saudi-Arabiens, PIF. Der Kaufpreis von Newcastle United: 360 Millionen Euro. Die Finanzkraft des saudischen Fonds: rund 400 Milliarden Euro.
Craig Connor, ein Fan Anfang 30, vergleicht das jüngste Übernahme-Ereignis mit der Geburt seiner Tochter. Von Skepsis, dass das Geld aus Saudi-Arabien kommt, aus einem Land, das in westlichen Hemisphären zuletzt vor allem mit Menschenrechtsverletzungen Schlagzeilen machte, keine Spur. Im Gegenteil: Zum Zeichen seiner Ehrerbietung trägt Craig Connor eine saudische Kopfbedeckung, die Kufiya. Auch die grüne Flagge Saudi-Arabiens mit weißer Schrift hat er dabei, gekauft direkt um die Ecke in Chinatown. Für ihn: Symbol der Erlösung.
"Wir haben 14 Jahre ohne Investitionen hinter uns. Not und Elend. Wir sind jede Woche hier gewesen, und nie gab es mal einen Erfolg. Wir kämpfen jede Saison gegen den Abstieg. Jetzt haben wir Hoffnung!"
Neuer Investor verheißt Erfolg
Der Vorbesitzer von United, Mike Ashley, genießt in Newcastle wahrlich keinen guten Ruf. Der Sportartikelhersteller hat den Club zwar aus den Schulden herausgehalten. Allerdings dümpelt der Traditionsverein seit Jahren im Mittelmaß, wenn nicht gar am Tabellenende der Premier League oder auch mal in Liga zwei herum. Der neue Investor verheißt Geld. Neue Spieler. Erfolg.
"Wir wollen gar keine Mbappés. Eher Jesse Lingards und Dele Alils, damit wir auf die nächste Stufe kommen. Und von da aus sehen wir weiter." Englische Nationalspieler aus der Premier League sollen es schon sein. Aber ein Superstar wäre übertrieben. In zehn Jahren wollen sie die Premier League gewinnen. Angesichts der nun schier unendlichen finanziellen Möglichkeiten fast ein bescheidener Wunsch. Am Ende ruft Craig Connor noch: "Saudi owned and proud", im Besitz von Saudi-Arabien und stolz darauf.
Fans, die das saudische Investment kritisch sehen, sind rund ums Stadion nicht zu finden. Rosie Somerville und David Conway, die zusammen auf dem Weg zum Spiel sind, versuchen zu erklären, wieso: "Wenn man einem Team in der Liga erlaubt, Investoren zuzulassen, dann muss man es allen erlauben. Ich wüsste nicht, wieso man ein Team besonders dafür kritisieren sollte."
David: "Ich finde es unfair, dass Newcastle jetzt kritisiert wird. Das Vereinigte Königreich handelt schon seit Jahren Waffen mit Saudi-Arabien. Da geht es um Milliarden Pfund im Vergleich zu einer relativ kleinen Investition in Newcastle."
"Jeder Bürger in Saudi-Arabien ist stolz"
Abdul, ein Mann Anfang 20, kommt selbst aus Saudi-Arabien. Auch er trägt die traditionelle Kleidung mit der Kopfbedeckung, die man von Scheichs kennt. "Ich hoffe, wir können dem Club helfen. Ich hoffe, Newcastle wird einer der besten Clubs der Welt. Ich bin so stolz. Jeder Bürger in Saudi-Arabien ist stolz"
Auf Kritik an der Menschenrechtssituation in seiner Heimat angesprochen, sagt er: "Um ehrlich zu sein, spreche ich auch zu Hause nicht so gerne über Politik. Ich bin nur hier, um Spaß zu haben. Um den Club zu unterstützen."
In seinen Händen hält der Student Abdul ein Newcastletrikot. Frisch draufgeflockt: Die Buchstaben MBS. Kurz für Mohammed bin Salman, den saudischen Kronprinzen. Er ist zudem Vorsitzender des saudischen Staatsfonds, der Newcastle United gekauft hat.
Aber MBS ist nicht nur das. Als saudischer Verteidigungsminister begann er den Krieg im Jemen. Ein Killerkommando aus dem engsten Kreis des Kronprinzen hat internationalen Ermittlern zufolge den Mord an Jamal Khashoggi in Auftrag gegeben. Drei Jahre ist es her, dass der saudische Journalist in der Botschaft seines Landes in Istanbul getötet wurde. All das scheint rund ums Stadion in Newcastle keine Rolle zu spielen. Menschenrechtsorganisationen sehen den Kauf des britischen Traditionsclubs als Teil einer Imagekampagne.
"Es sind gemischte Gefühle"
Einen Kilometer entfernt vom Stadion, in der Innenstadt von Newcastle ist Glenn Jameson gerade auf einem Spaziergang. Auch er, Anfang 30, ist Fan von Newcastle United. "Ich liebe das Team. Es macht mich traurig, dass das Geld aus so einer problematischen Quelle kommt. Vor allem was den ethischen Umgang mit Menschen betrifft, im Land selbst und außerhalb."
Glenn Jameson nennt als Beispiele die Ermordung von Jamal Khashoggi. Und die Ungleichbehandlung von Frauen sowie der LGBTQ-Community. "Ich werde jetzt nicht aufhören, den Club zu unterstützen. Ich war schon als Kind Fan. Ich werde den Erfolg, den das Geld mit sich bringt, genießen. Aber es wird eine gewisse Traurigkeit mit sich bringen. Es sind gemischte Gefühle."
Gemischte Gefühle hat wohl auch der Rest der Premier League angesichts des möglichen neuen Konkurrenten. Es ist schwer abzusehen, wie schnell der Erfolg von Newcastle kommt – und welche Veränderungen die saudische Investition noch so mit sich bringt. Eines steht aber fest: Bis das Transferfenster im Januar öffnet, werden die Fans noch auf Neuzugänge warten müssen.