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Überproportionale Verstärkung

Technik. - In Stuttgart fand jetzt das internationale Regelungstechnik-Symposium der International Federation of Automatic Control statt. Nach Russland und den USA war 2004 Deutschland Gastgeber für über 300 Forscher aus 50 Ländern. Und am Standort Stuttgart mit DaimlerChrysler, Porsche und Bosch bestimmten neben den automobilen Themen verbesserte Regelungstechnik für Kraftwerke und Steuerungssysteme für unbemannte Flugzeuge das Tagungsprogramm.

Von Peter Welchering | 03.09.2004
    Eine Vollbremsung auf regennasser Fahrbahn. Das Auto bricht aus, die Räder blockieren. Aber Antiblockiersystem und das elektronische Stabilisierungssystem haben eingegriffen und einen Unfall verhindert. Dahinter steckt viel Mathematik, das Ganze basiert auf unglaublich komplizierten Gleichungen. Um die ging es auf dem Stuttgarter Symposium zur nicht-linearen Regelungstechnik. Dieter Westerkamp von der VDI-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik erläutert das nicht-lineare Prinzip am Autobeispiel.

    Ein lineares System wäre folgendes: Wenn wir normal bremsen, dann bremst der Wagen ab, wenn wir doppelt so stark bremsen, bremst der Wagen doppelt so stark ab. Aber in dem Moment, wo die Reifen blockieren, da kommt dann zusätzliche Bremswirkung hinzu. Und da kommt dann dieser Sprung, wo wir dann nicht mehr von einem linearen System sprechen könne, da wird es nicht-linear.

    Blockieren die Räder, muss das Stabilisierungssystem des Kraftfahrzeugs in Sprüngen reagieren, um mit dieser Situation fertig zu werden. Bricht der Wagen nach rechts aus, muss voll gegengesteuert werden. Aber nur ganz kurz, sonst wird das Ausbrechen noch verstärkt. Bei den Richtungsanweisungen, die das Stabilisierungssystem dabei geben muss, geht es hin und her. Mal rechts, dann ganz schnell links. Ein lineares Steuerungssystem wäre damit überfordert. Genauso wie mit einer Notbremsung. Was da ein nicht-lineares System leisten muss, erklärt der Systemtheoretiker Professor Frank Allgöwer so:

    Wenn ich die Bremse nur ganz leicht antippe, dann soll nur ganz wenig passieren, aber wenn ich eine Notbremsung mache und hau so richtig drauf, dann soll da ganz stark gebremst werden, also viel mehr als das doppelte oder dreifache, so dass wir halt zu einem schnellen Stop kommen.

    Ein lineares Bremssystem würde hier den vierfachen Druck aufs Bremspedal feststellen, und den Bremsdruck auf die Räder um das Vierfache verstärken. Der Bremsweg wäre zu lange für eine Notbremsung. Gefordert ist da nämlich eine Verstärkung um das Sechzehn- oder Zwanzigfache. Und so definiert Professor Allgöwer dann auch eine nicht-lineare Regelung:

    Dementsprechend ist es ein System, dass auf Eingangssignale anders reagiert, als dadurch, das man zum Beispiel bei der Verdoppelung eines Signals eine Verdoppelung des Ausgangssignals erreicht.

    Nichtlineare Systeme müssen schneller regieren, müssen mit der Druck reagieren, als das Eingangssignal ihn eigentlich anfordert, und sie müssen flexibler reagieren. Also das, was wir Menschen auch jeden Tag machen. Frank Allgöwer.

    Unsere Umwelt ist ein nicht-lineares System. Also wir müssen nicht nur nicht-linear auf die Umwelt reagieren, sondern die Umwelt selbst ist bereits nicht-linear. Und wenn etwas nicht-linear ist dann gibt es unterschiedliche Ansätze. Wir könne z.B. versuchen, sie durch einen Regelungsansatz zu linearisieren, sie dazu zwingen, dass sie sich so verhält, wie wir uns das wünschen: Verdoppelung führt zu einer Verdoppelung Aber zum zweiten kann man diese Nicht-Linearität auch gezielt ausnützen, um Effekte zu erreichen.

    Zum Beispiel in einem Kernkraftwerk. Werden Brennstäbe in den Reaktor eingefahren, passiert das linear. Im Notfall ist aber die nicht-lineare Steuerung gefragt. Lineare Regelung würde hier zur Katastrophe führen. Frank Allgöwer:

    In einem ganz bestimmten Bereich ist es sicherlich sehr sinnvoll sehr fein zu regulieren, ob in einem Kraftwerk die Brennstäbe in das Kühlmittel wie weit eingeführt werden. Das ist eine sehr einfache Regulierung. Wenn jetzt aber irgendwo mal was passiert, dann möchte ich nicht nur ein kleines bisschen schneller rausgehen, sondern ich möchte blitzschnell rausgehen. Also das ist ein ganz anderer Effekt, und das wäre dann ein nicht-linearer Effekt. Bei der Änderung einer Eingangsgröße, dass sch dann sehr stark was an der Ausgangsgröße ändert.

    Nicht nur für Kernkraftwerke sind auf der Stuttgarter Tagung neue, hocheffiziente nicht-lineare Regelungssysteme vorgestellt und diskutiert worden. Eingesetzt werden können sie in unbemannten Flugzeugen, zur Verbesserung der Sprachqualität beim Handy oder zur Steuerung von Herz-Assistenzpumpen bei Operationen. Der nicht-lineare Ansatz für die Systemsteuerung macht hier Riesenfortschritte.