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“Überraschung, Schock und Wut”

Die Armstrong-Ermittler glaubten, sie hätten in den letzten zwei Jahren hinreichend Belastungsmaterial zusammengetragen, um den Radprofi und seine Geschäftspartner wegen Betrug und Drogenhandel und vor Gericht zu bringen. Jetzt bleibt ihnen nur noch eins: Enttäuschung.

von Jürgen Kalwa | 09.02.2012
    Es war die einsame Entscheidung eines einzigen Mannes – Bundesstaatsanwalt Andre Birotte – der Ende der letzten Woche in Los Angeles mit einem Federstrich die Anstrengungen der amerikanischen Strafverfolgungsbehörden im Fall Lance Armstrong zunichte machte. Eine offizielle Begründung gab es nicht. Spekulationen gibt es viele. Doch seit ein paar Tagen sickert immerhin durch, dass die betroffenen Ermittler ebenso verblüfft auf die Nachricht reagierten wie ein Großteil der Öffentlichkeit. Mit Überraschung, Schock und Wut, sagt Tom Goldman.

    ""Sie bekamen die Nachricht eine halbe Stunde vor der Bekanntgabe. Und das obwohl es Anzeichen gab, dass Armstrong und andere vielleicht schon im nächsten Monat angeklagt würden. Wegen Betrug, Drogenhandel und Zeugenbeeinflussung.”"

    Tom Goldman ist Reporter bei National Public Radio – dem amerikanischen Gegenstück zum Deutschlandfunk – und bestens vernetzt. Er war der Erste, der am Dienstag in der Sendung "Morning Edition” beschrieb, wie ratlos die Beamten waren. Denn ihrer Meinung nach fehlte keine Glied in der Indizien- und Beweiskette gegen Armstrong und sein Geschäftspartner. Die Webseite Cycling News zitierte unabhängig davon einen nicht genannten Kenner der Materie, der erklärte: Die Beweislage sei "absolut überwältigend”.

    Weshalb sich einige Erwartungen mit der Ankündigung der amerikanischen Anti-Dopingagentur verbinden, in einem eigenen Verfahren Licht in das Dunkel zu bringen. Die USADA will sich um Einblick in die Akten der Staatsanwaltschaft bemühen. Das Vorhaben könnte jedoch schon bald scheitern. Denn die Entscheidung darüber liegt ebenfalls bei Birotte.

    So kommt es darauf an, ob und wann ein ganz anderer Prozess ins Rollen kommt: Dabei handelt es sich um eine von Floyd Landis angestrengte Klage auf der Basis eines besonderen Gesetzes, das amerikanischen Staatsbürgern die Möglichkeit gibt, der Bundesregierung und ihren Verwaltungen zu helfen, sich gegen betrügerische Machenschaften zu wehren. Das Gesetz gilt auch für die Post, die den Status einer quasi-staatlichen Einrichtung besitzt. Sie hatte dem U.S. Postal Team von Lance Armstrong im Laufe der Jahre 31 Millionen Dollar an Sponsorengeldern überwiesen.

    "Das Verfahren läuft”, berichtete die "New York Daily News” am Wochenende. "Es werden weiter Beweise zusammengetragen.”