Donnerstag, 25. April 2024

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Überraschungsfilm "Michael Moore in Trumpland"
"Er erreicht, dass sogar Republikaner ins Grübeln kommen"

Der US-Dokumentarfilmer Michael Moore hat wieder einen Coup gelandet: Ohne große Ankündigung präsentierte er in den USA wenige Wochen vor der Wahl sein neues Werk: "Michael Moore in Trumpland", das den Filmemacher vor Clinton- und Trump-Anhängern zeigt. "Eine zauberhafte und überraschende Dokumentation", meint Filmkritiker Georg Schwarte im DLF.

Georg Schwarte im Gespräch mit Anja Buchmann | 20.10.2016
    Filmemacher Michael Moore bei der Premiere zu seinem neuen Film "Michael Moore in Trumpland"
    "Ein Mann, dem man anhörte und ansah, dass er Angst hat": Der rebellische US-Filmemacher in seiner neuen Dokumentation "Michael Moore in Trumpland". (imago stock&people)
    Anja Buchmann: Herr Schwarte, was geschieht in dem Film?
    Georg Schwarte: Sie haben es gesagt, es ist wirklich ein Mitschnitt eines Auftrittes von Michael Moore - und zwar wirklich in "Trumpland", und zwar in Wilmington Ohio. Da ist er in die Höhle des Löwen gegangen - das Ganze liegt übrigens ironischerweise im Clinton County.
    "Es war eine große, große Ansprache"
    Buchmann: Ja, das habe ich gelesen.
    Schwarte: Aber er hat ja schon gesagt, das ist ja nicht Clinton Country und auch das Publikum war nicht Clinton Country. Es war mindestens zur Hälfte besetzt mit Republikanern, die aus welchem Grund auch immer gekommen waren, um diesen Michael Moore zu sehen im Trumpland, im Herzen der republikanischen Wählerschichten in Ohio. Und dieser Michael Moore stand da und er war ein Mann, dem man anhörte und ansah, dass er Angst hat.
    Und zwar um sein Land, um seine Mitbürger, um sein eigenes Leben, wie es bisher war in diesen Vereinigten Staaten - und es war eine große, große Ansprache. Gar nicht so sehr an Republikaner und Demokraten, sondern es war eine Ansprache an Amerikaner, und sein Appell war: Überlegt Euch, was ihr tut.
    Und er hat ein Argument gebracht - und das war neu, das habe ich bisher noch nicht gehört, zumindest nicht in dieser Art und Weise, wie er es auf den Punkt gebracht hat: Der Frust bei den Republikanern, bei Trump-Wählern in Ohio zum Beispiel, wo die Industrie zusammengebrochen ist, der gesamte Rust Belt von Wisconsin über West Virgina, wo es den Leuten schlecht geht, wo sie keine Jobs mehr haben, wo sie sich abgehängt fühlen - dieser Frust würde umgewandelt, das ist seine These.
    Und Donald Trump würde nicht gewählt, weil sie Donald Trump so lieben, sondern sie nehmen Donald Trump - und er hat ihn einen "menschlichen Molotov-Cocktail" genannt -, den diese frustrierten Amerikaner in das System werden wollen, das sie so hassen, weil dieses System für das Elend verantwortlich ist, das sie selber gerade erleben, abgehängt zu sein, keinen Einfluss mehr zu haben.
    "Er hat versucht, die Republikaner an die Hand zu nehmen"
    Buchmann: Obwohl er ihn allerdings einen "menschlichen Molotow-Cocktail" nennt, wie sie gerade sagten, ist es ja eigentlich doch weniger eine Attacke gegen Trump, der Film ist dann doch eher eine Lobrede auf Hillary Clinton - zumindest was die "New York Times" darüber schreibt. Wie haben Sie das empfunden?
    Schwarte: Es ist ein zauberhafter Film. Ich fand ihn großartig - entgegen mancher Kritiken, die ich auch gelesen habe. Aber es ist ein überraschender Film, und ich habe nachher mit Besuchern auch im Kino gesprochen, die waren alle überrascht über zweierlei Dinge: Erstens, sie hatten einen Film erwartet, und es ist in der Tat ein Mitschnitt eines Auftritts von ihm, also sein abgefilmter Auftritt aus diesem besagten Theater in Wilmington, das war die erste Überraschung.
    Und die zweite: Trump kam im Grunde gar nicht vor. Der Name Trump fiel selten bis gar nicht. Es war keine Häme, es war kein Spott, es war über ihn. Es ging tatsächlich in erster Linie darum, dass er den Leuten vermitteln wollte: Springt über euern Schatten, ihr könnt Hillary hassen, ihr müsst sie nicht mögen, ihr könnt alle Argumente anführen, aber Donald Trump darf dieses Land nicht regieren.
    Und er hat versucht, die Republikaner tatsächlich an die Hand zu nehmen und hat gesagt: Warum wählt ihr Donald Trump? Und noch einmal - ich habe es eben schon erwähnt: Er hat appelliert an den Instinkt des amerikanischen Volkes, am Ende zusammenzurücken und zusammenzustehen und amerikanische Werte zu transportieren.
    Und seine Interpretation von Trump: Er appelliert an die Urängste Einflussverlust, Statusverlust, Dominanzverlust und er sagt: Leute, unsere Zeit - weiße Männer über 35 - unsere Zeit ist hier vorbei. 19 Prozent der amerikanischen Bevölkerung sind weiße Männer über 35. Die Show ist vorbei und es wird Zeit, dass andere Mal das Ruder übernehmen - und andere, da meint er auch eine amerikanische Präsidentin, zum ersten Mal in der Geschichte.
    "Man sah auch bei den Republikanern im Publikum: Er hat sie offenbar erreicht"
    Buchmann: Erreicht er denn die Leute mit seinen Reden? Kann man das dem Film entnehmen?
    Schwarte: Also er erreicht jedenfalls im Publikum, im Saal, in diesem Theatersaal bei seinem Auftritt, dass sogar Republikaner ins Grübeln kommen, dass sogar Republikaner, die er dann anspricht und sagt: So, jeder sagt jetzt mal irgendwas Gutes über Hillary Clinton. Er selber hat angefangen, hat drei freundliche Sachen über George W. Bush, den ehemaligen Präsidenten gesagt - unter anderem, dass er zwei wunderbare Töchter großgezogen hat, so schlecht könnte der Mann gar nicht sein. Und seine Hunde würden ihn auch mögen.
    Und dann hat er das Publikum gefragt: So bitte, jetzt freundliche Worte über Hillary Clinton und die Republikaner standen nur auf und einer sagte dann sogar witziger Weise: Sie ist überqualifiziert. Also man sah auch bei den Republikanern im Publikum - es wurde nicht überall gejubelt, es wurde nicht geklatscht und nicht immer gelacht -, aber er hat sie offenbar erreicht.
    "Er hat versucht, die Leute einzubinden"
    Und ich habe gestern im Kino eine Besucherin anschließend getroffen, die was witziger Weise Psychologin, und sie sagte: Rein gruppendynamisch hat er das wunderbar gemacht. Er hat sie nicht beschimpft, er hat versucht, sie einzufangen, sie einzubinden. Er hat nie ausgegrenzt, er hat immer den Arm offengehalten und gesagt: Leute, überlegt euch, was ihr tut.
    Ich kann euern Frust verstehen, aber - und das war auch ein Beispiel, das er nannte - Brexit. Was haben die Briten gemacht? Sie waren frustriert. Sie hatten schlechte Laune, was die EU angeht, sie haben den Molotow-Cocktail geworfen und gesagt: Raus aus der EU. Und eine Woche später waren sie alle wieder nüchtern und sagten: Was haben wir getan? Und so, seine Prognose, wird es gehen, wenn ihr Donald Trump wählt.
    Buchmann: "Michael Moore in Trumpland" heißt der neue Film des US-Amerikaners Michael Moore. Infos und Einschätzungen dazu gab es von meinem Kollegen Georg Schwarte aus New York. Ob der Film auch in Deutschland erscheint, ist bisher noch unklar. Vielen Dank, Herr Schwarte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.