Montag, 06. Mai 2024

Archiv


Übersetzen für die türkische Demokratie

2200 angehende Dolmetscher und Übersetzer studieren in Germersheim, einer Außenstelle der Universität Mainz. Seit Beginn der Unruhen in Istanbul engagieren sich Mitarbeiter und Studierende für die türkische Demokratiebewegung. Über ihre Website "translateforjustice" verbreiten sie Texte der Demonstranten in vielen Sprachen.

Von Ludger Fittkau | 26.06.2013
    Dilek Dizdar klickt auf dem Computerbildschirm in ihrem Uni-Büro in der Germersheimer Festung. Fotos mit bunten Menschengruppen und Zelte sind zu sehen, eine Frau hält ein rotes Plakat hoch, auf dem in schwarzer Schrift steht: Solidarität mit Istanbul. Darunter Texte der Demokratiebewegung auf dem Taksim-Platz in elf verschiedenen Sprachen. Die Website ist überschrieben mit "translateforjustice – eine unabhängige Plattform freiwilliger Übersetzer aus allen Ecken der Welt". Dilek Dizdar ist Professorin für Interkulturelle Germanistik und Translationswissenschaft auf dem Germersheimer Campus der Uni Mainz:

    "Heute kommt noch Persisch dazu. Also Ukrainisch, Russisch, Niederländisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Türkisch, Polnisch, Niederländisch, Arabisch haben wir jetzt."

    Die 43 Jahre alte Dilek Dizdar ist in Tübingen geboren und hat Sprachwissenschaften in Istanbul und später in Mainz studiert. Seit Langem macht sie sich große Sorgen über die politische Entwicklung in der Türkei. Vor allem der politische Druck, den die Regierung auf die Hochschulen ausübt, ist für Dilek Dizdar schwer erträglich. Deshalb ist für sie die Bewegung auf dem Taksim-Platz eine Art politischer Befreiungsakt.

    "Es ist vor allem der Geist der Bewegung. Ich hätte das nicht mehr für möglich gehalten nach den Repressionen der vergangenen Jahre. Dass da nicht wirklich was in Gang gekommen ist, hat mich sehr betrübt und auch ein bisschen frustriert eigentlich. Und deswegen finde ich das jetzt großartig und natürlich ist das jetzt eine große Solidarität in dem Sinne."

    Sich in der "Dolmetscherschule" der Festung Germersheim mit der türkischen Demokratiebewegung solidarisieren - das heißt vor allem präzise übersetzen. Die Resolutionen der Protestler auf dem Taksim-Platz, Erklärungen von Ärzteverbänden, Analysen von kritischen Sozialwissenschaftlern. Dilek Dizdar und ihre Mitstreiter achten sehr darauf, dass die Texte aus unabhängigen Quellen und von glaubwürdigen Nicht-Regierungsorganisationen stammen:

    "Genau. Die Erklärung der Solidaritätsbewegung selbst, der Plattform, der Taksim-Plattform übersetzen wir regelmäßig sehr zeitnah. Hier – am 23.6. kam die raus und ein paar Stunden später erscheint das dann in deutscher Übersetzung. Und das sind dann teilweise Übersetzungen, die nicht nur einen Abschnitt lang sind oder so. Hier ist sogar noch ein Gedicht von einem bekannten türkischen Dichter dabei, das ist dann ja auch immer eine Herausforderung, so was zu übersetzen."

    Nächtelang übersetzen Studierende des Master-Studiengangs "Translation, Sprache, Kultur" die Texte. Besonders engagiert sind Studierende, die aus der Türkei zum Studium in die Festung Germersheim gekommen sind. Ihre Namen nennen wir hier nicht, weil in der Türkei schon Übersetzer der Texte vom Taksim-Platz verhaftet wurden und sie irgendwann ja wieder in die Türkei zurückkehren:

    "Ich komme aus der Türkei, ich mache hier meinen Master. Es kann sein, das ich zurückgehe, aber trotzdem habe ich keine Bedenken, weil ich wirklich mitmachen möchte."

    "Im Moment ist das Wir-Gefühl so groß, dass wir alle davon überwältigt sind – also ich für meinen Teil habe solche Bedenken nicht."

    Bedenken nämlich, dass der türkische Staat mit Repression auf ihre Übersetzungsarbeit reagieren könnte. Doch auch Professorin Dilek Dizdar lässt auf der Homepage mit den Übersetzungen Vorsicht walten und nennt die Namen der Übersetzerinnen nicht. Sie weiß, dass die türkische Regierung in den letzten Jahren wenig Respekt gegenüber den Hochschulen gezeigt hat:

    "Große Universitäten wie die Middle-East-University in Ankara zum Beispiel, die hat das erlebt, dass die Polizei auf den Campus gekommen ist, um Demonstrationen zu verhindern beziehungsweise niederzuschlagen, und das hat teilweise sogar die Studierenden in den Hörsälen getroffen."

    Um die Demokratiebewegung in der Türkei zu unterstützen, wollen die Studierenden in der Festung Germersheim auf unbestimmte Zeit weitermachen mit ihren Übersetzungen. Auch dann, wenn die Massenaktionen auf dem Taksim-Platz nachlassen. Die angehenden Dolmetscher sind davon überzeugt, dass die Bewegung in der Türkei neue Protestformen entwickeln wird:

    "Ja ich denke schon, ich lese im Internet viele kreative und phantasievolle Slogans. Ich staune jedes Mal, wie kreativ die Leute in dieser Not-Situation sind."

    "Ich würde sehr, sehr gerne mit meiner Familie in Izmir auf die Straße gehen und demonstrieren. Natürlich kann man von hier aus nicht so etwas machen. Aber weil ich nicht dabei sein kann, leiste ich von hier aus meinen Beitrag zu diesem Projekt."