Michael Köhler: Es gehört – und damit kommen wir zum letzten Beitrag – zur Geschichte der friedlichen Nutzung der Kernenergie nach dem Zweiten Weltkrieg, dass wir glaubten, mit technischen Mitteln zivilisatorische wie auch humane Probleme lösen zu können. Der Philosoph Walther Christoph Zimmerli ist Technik-Ethiker und Präsident der Brandenburgisch-Technischen Universität in Cottbus, und ihn habe ich gefragt: ist nach den Atomkatastrophen von Harrisburg und Tschernobyl seit Fukushima nun dieser Glaube endgültig erschüttert?
Walther Christoph Zimmerli: Also dieser Glaube war, glaube ich, bei vielen Menschen nie vorhanden. Er war dann allerdings durch Harrisburg das erste Mal durch Tschernobyl massiv und jetzt, glaube ich, erneut erschüttert. Ob das endgültig sein wird, wage ich nicht zu prognostizieren. Ich fürchte beinahe, dass die große Stärke von Homo sapiens, nämlich die hohe Plastizität seines Gehirns, die auch die Begabung zum Vergessen besitzt oder hervorbringt, dass die dazu führen wird, dass wir auch dies wieder vergessen werden, oder es nach dem Muster, was ich schon damals bei Harrisburg befürchtet hatte, ad acta legen werden, nämlich nach dem Muster, sogar diese Riesenkatastrophe haben wir noch hingekriegt.
Köhler: Sie sagen es: Sie haben sich vor 25 Jahren schon in einem "Spiegel"-Essay zu Fragen von Technik, Ethik und Kernenergie geäußert. Die nichtmilitärische Nutzung der Kernenergie wurde zu einem Kernproblem auch in der Wendung zur technologischen Zivilisation. Ist das bislang als vertretbar Geglaubte nun unvertretbar? Einfacher gesagt: können wir es schlechterdings nicht mehr verantworten?
Zimmerli: Ich nehme an, dass wir, wenn wir gut beraten sind, unser gesamtes Energieerzeugungs- und –Versorgungssystem uns noch mal genauer daraufhin anschauen sollten, welchen Mix unterschiedlicher Energiequellen wir in Zukunft für richtig halten werden. Ich glaube, auch hier wiederum wird es weder die eine richtige, noch die eine falsche Entscheidung geben. Mit Sicherheit ist es so, dass all diejenigen, die schon seit Langem gesagt haben, dass Betreiben von Kraftwerken, Kernenergie-Kraftwerken ein großes und vielleicht in bestimmter Hinsicht auch nicht verantwortbares Risiko darstelle, dass die nachträglich gesehen recht bekommen, sodass wir dann vielleicht auch unsere Einstellung gegenüber anderen Problemen, die wir mit Energietechnologie haben, also etwa zum Beispiel das CO2-Problem, überdenken müssen.
Köhler: Ich stelle mal die faustische Frage an den Technikethiker, Professor Zimmerli. Dürfen wir, was wir können und was wir tun?
Zimmerli: Wir dürfen längst nicht alles natürlich von dem, was wir können, und vor allen Dingen wir können nicht alles, was wir tun. Das heißt, vieles von dem, was wir tun – und die neuesten Ereignisse in Japan zeigen uns das wieder deutlich -, vieles von dem, was wir tun, ist von Randbedingungen abhängig, die wir gar nicht überschauen können und die wir gar nicht im Griff haben. Das heißt mit anderen Worten, Technik betrifft immer nur einen Teil, und selbst wenn wir die Technik in optimaler Weise versuchen auszulegen, sind wir immer noch zum Teil jedenfalls Mitglied eines größeren Systems, oder Teil eines größeren Systems, und das heißt eben Natur. Und an der Stelle gibt es eben nichts anderes als die Vorsichtswarnung, die uns sagt, übertreibt's nicht.
Köhler: Macht man es sich zu einfach, wenn man die Schuld nur beim Betreiber sucht?
Zimmerli: Fraglos! Die Frage nach der Schuld ist bei solchen Katastrophen immer schnell gestellt, aber sie hat weder in Tschernobyl, noch in anderen Zusammenhängen jemals irgendetwas gebracht. Die Frage kommt zu spät, sondern eigentlich sind, wenn man so will, diejenigen Schuld, die ein Technologiesystem aufbauen, von dem sie wissen, dass nicht alle Konsequenzen vorhersehbar sind, und die müssen deswegen auch diese Mischrechnung oder Mischkalkulation anstellen, was sie denn in Kauf nehmen wollen und was nicht. Und das betrifft letztlich alle. Wir wissen, dass Ereignisse, wie wir sie jetzt gerade erleben, sofort die Mehrheit der Bevölkerung umschwingen lassen in ihrer Meinung. Das wird allerdings nicht lange vorhalten. Das heißt, wir müssen immer in solchen Situationen, in denen die Mehrheit der Bevölkerung meint, dass hier wieder ein zentrales Thema zu diskutieren ist, müssen wir wirklich drangehen und es auch diskutieren.
Köhler: Moderne ist gewissermaßen der Ausgang aus dem Mythos in aufgeklärtere Zeiten. Ist Technik nicht vielleicht der Mythos unserer Tage, ein irrationaler Sonnenkult, oder was auch immer?
Zimmerli: Ja, gewiss. Technik als Teil einer wissenschaftlich-technischen Rationalität, als Teil der Moderne also, wird selber zum Mythos in dem Maße, in dem man sie für eine vollständige Selbstaufklärung hält. Zweitens aber muss darüber hinaus gesagt werden, dass wir hier in einer Art zweiter Dialektik der Aufklärung leben. Das heißt, wir wissen, dass das so ist, und wir sind darüber hinaus auch durchaus in der Lage, Reflexionen darüber anzustellen, und das bedeutet, dass, sagen wir mal, die erste Front gegenüber der wissenschaftlich-technischen Aufklärung sich unterdessen in eine zweite Front verschoben hat, in der die wissenschaftlich-technische Aufklärungskritik selber einer Kritik unterzogen werden muss, sodass es nicht mehr die klare Position gibt, hier die Technik-Befürworter und dort die Technik-Gegner, sondern heute sind vielfach Gegenaufklärer die besseren Aufklärer.
Köhler: Der Philosoph Walther Christoph Zimmerli, Technik-Ethiker und Präsident der Brandenburgisch-Technischen Universität Cottbus.
Walther Christoph Zimmerli: Also dieser Glaube war, glaube ich, bei vielen Menschen nie vorhanden. Er war dann allerdings durch Harrisburg das erste Mal durch Tschernobyl massiv und jetzt, glaube ich, erneut erschüttert. Ob das endgültig sein wird, wage ich nicht zu prognostizieren. Ich fürchte beinahe, dass die große Stärke von Homo sapiens, nämlich die hohe Plastizität seines Gehirns, die auch die Begabung zum Vergessen besitzt oder hervorbringt, dass die dazu führen wird, dass wir auch dies wieder vergessen werden, oder es nach dem Muster, was ich schon damals bei Harrisburg befürchtet hatte, ad acta legen werden, nämlich nach dem Muster, sogar diese Riesenkatastrophe haben wir noch hingekriegt.
Köhler: Sie sagen es: Sie haben sich vor 25 Jahren schon in einem "Spiegel"-Essay zu Fragen von Technik, Ethik und Kernenergie geäußert. Die nichtmilitärische Nutzung der Kernenergie wurde zu einem Kernproblem auch in der Wendung zur technologischen Zivilisation. Ist das bislang als vertretbar Geglaubte nun unvertretbar? Einfacher gesagt: können wir es schlechterdings nicht mehr verantworten?
Zimmerli: Ich nehme an, dass wir, wenn wir gut beraten sind, unser gesamtes Energieerzeugungs- und –Versorgungssystem uns noch mal genauer daraufhin anschauen sollten, welchen Mix unterschiedlicher Energiequellen wir in Zukunft für richtig halten werden. Ich glaube, auch hier wiederum wird es weder die eine richtige, noch die eine falsche Entscheidung geben. Mit Sicherheit ist es so, dass all diejenigen, die schon seit Langem gesagt haben, dass Betreiben von Kraftwerken, Kernenergie-Kraftwerken ein großes und vielleicht in bestimmter Hinsicht auch nicht verantwortbares Risiko darstelle, dass die nachträglich gesehen recht bekommen, sodass wir dann vielleicht auch unsere Einstellung gegenüber anderen Problemen, die wir mit Energietechnologie haben, also etwa zum Beispiel das CO2-Problem, überdenken müssen.
Köhler: Ich stelle mal die faustische Frage an den Technikethiker, Professor Zimmerli. Dürfen wir, was wir können und was wir tun?
Zimmerli: Wir dürfen längst nicht alles natürlich von dem, was wir können, und vor allen Dingen wir können nicht alles, was wir tun. Das heißt, vieles von dem, was wir tun – und die neuesten Ereignisse in Japan zeigen uns das wieder deutlich -, vieles von dem, was wir tun, ist von Randbedingungen abhängig, die wir gar nicht überschauen können und die wir gar nicht im Griff haben. Das heißt mit anderen Worten, Technik betrifft immer nur einen Teil, und selbst wenn wir die Technik in optimaler Weise versuchen auszulegen, sind wir immer noch zum Teil jedenfalls Mitglied eines größeren Systems, oder Teil eines größeren Systems, und das heißt eben Natur. Und an der Stelle gibt es eben nichts anderes als die Vorsichtswarnung, die uns sagt, übertreibt's nicht.
Köhler: Macht man es sich zu einfach, wenn man die Schuld nur beim Betreiber sucht?
Zimmerli: Fraglos! Die Frage nach der Schuld ist bei solchen Katastrophen immer schnell gestellt, aber sie hat weder in Tschernobyl, noch in anderen Zusammenhängen jemals irgendetwas gebracht. Die Frage kommt zu spät, sondern eigentlich sind, wenn man so will, diejenigen Schuld, die ein Technologiesystem aufbauen, von dem sie wissen, dass nicht alle Konsequenzen vorhersehbar sind, und die müssen deswegen auch diese Mischrechnung oder Mischkalkulation anstellen, was sie denn in Kauf nehmen wollen und was nicht. Und das betrifft letztlich alle. Wir wissen, dass Ereignisse, wie wir sie jetzt gerade erleben, sofort die Mehrheit der Bevölkerung umschwingen lassen in ihrer Meinung. Das wird allerdings nicht lange vorhalten. Das heißt, wir müssen immer in solchen Situationen, in denen die Mehrheit der Bevölkerung meint, dass hier wieder ein zentrales Thema zu diskutieren ist, müssen wir wirklich drangehen und es auch diskutieren.
Köhler: Moderne ist gewissermaßen der Ausgang aus dem Mythos in aufgeklärtere Zeiten. Ist Technik nicht vielleicht der Mythos unserer Tage, ein irrationaler Sonnenkult, oder was auch immer?
Zimmerli: Ja, gewiss. Technik als Teil einer wissenschaftlich-technischen Rationalität, als Teil der Moderne also, wird selber zum Mythos in dem Maße, in dem man sie für eine vollständige Selbstaufklärung hält. Zweitens aber muss darüber hinaus gesagt werden, dass wir hier in einer Art zweiter Dialektik der Aufklärung leben. Das heißt, wir wissen, dass das so ist, und wir sind darüber hinaus auch durchaus in der Lage, Reflexionen darüber anzustellen, und das bedeutet, dass, sagen wir mal, die erste Front gegenüber der wissenschaftlich-technischen Aufklärung sich unterdessen in eine zweite Front verschoben hat, in der die wissenschaftlich-technische Aufklärungskritik selber einer Kritik unterzogen werden muss, sodass es nicht mehr die klare Position gibt, hier die Technik-Befürworter und dort die Technik-Gegner, sondern heute sind vielfach Gegenaufklärer die besseren Aufklärer.
Köhler: Der Philosoph Walther Christoph Zimmerli, Technik-Ethiker und Präsident der Brandenburgisch-Technischen Universität Cottbus.