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Übervater Rhodan

Seit etwa einem halben Jahrhundert teilen sich zwei Serienhelden den deutschen Heftromanmarkt in brüderlicher Eintracht: Jerry Cotton sorgt im fernen New York für Recht und Ordnung; Perry Rhodan im Rest des Universums.

Von Hartmut Kasper | 05.01.2007
    Bei Perry Rhodan geht es, um es kurz zu sagen, um die Eroberung des Weltraums durch die Menschheit und ihre Bundesgenossen. Je weiter man vordringt, desto größer wird der Widerstand, doch wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Rhodan selbst verfügt über ein Gerät namens "Zellaktivator", das seine Zellen beständig aktiviert und so seine Lebensdauer auf unabsehbare Zeit verlängert. Sehr zur Freude seiner Fans und seines Verlags.

    Der Jerry und der Perry - sie sind mittlerweile ganzen Lesergenerationen ans Herz gewachsen; sie haben die Lektürebiographie von Millionen von Lesern über viele Jahre begleitet, und manchmal sogar lebenslang. Beide sind - wie Superman und Spiderman in Amerika - längst Teil der deutschen Populärkultur.

    Aus Anlass seines 45. Geburtstages in der realen Welt wurde Perry Rhodan, unserem Mann im All, eine Art Monographie spendiert. Eckard Schwettmann hat sie besorgt, der von 1996 bis 2001 zunächst Marketing-, später dann Verlagsleiter von "Perry Rhodan" war - ein Insider also.

    Sein Buch heißt "All-Mächtiger" - mit Ausrufezeichen. Man kann das als Herrschaftsanspruch einer Romanfigur lesen, die sich über Jahrzehnte in ihrem Untertitel "Erbe des Universums" nannte und sich so des Alls bemächtigt hat.

    Man kann es aber auch als Stoßseufzer verstehen: Wie soll man ein so monumentales Phänomen in den Griff bekommen, ein Textkonvolut von mittlerweile schätzungsweise 275.000 Seiten?

    Schwettmann sortiert dazu Rhodans unendliche Geschichte in einzelne Kapitel: die Science Fiction-Szene in Deutschland vor dem Eintreffen Rhodans; die Konzeption und die Autoren der Serie; ihre Illustratoren; der Verlag; die Fans; das Merchandising; die Übersetzungen und last, but wirklich not least: ihr ehemaliger Marketingleiter, der, wie wir uns erinnern, mit dem Autor des Buches identisch ist.

    Mit über einhundert Seiten den größten Teil nimmt das Kapitel ein, in dem die ehemaligen und aktuellen Autoren der Serie zu Wort kommen und portraitiert werden. Viele Mitarbeiter der Gründergeneration um Karl-Herbert Scheer und Walter Ernsting sind längst verstorben. Viele der Rhodan-Ruheständler und die derzeit aktiven Autoren hat Schwettman interviewt. Doch die Gespräche sind durchaus nicht immer gleich ergiebig.

    Natürlich ist es amüsant, zu erfahren, wie die einzelnen Autoren selbst zu Perry Rhodan gekommen sind, dass sie ihr erstes Heft - wie der Wiener Autor Michael Markus Thurner - zunächst einmal "sorgsam mit der Kneifzange im Abfallkübel entsorgt" haben, weil es darin um irgendwelches "Hyperdimesextadingsbums" ging; oder dass es ihnen, wie dem österreichischen Kabarettisten Leo Lukas, von der Mama anlässlich einer Blinddarmoperation geschenkt wurde, als Trostpflaster also.

    Verwunderlicher Weise monieren einige der Serienautoren, dass der Humor bei Rhodan doch oft zu kurz gekommen sei. Sollte es gerade den Autoren, also Rhodans engsten Mitarbeitern, entgangen sein, dass die Eroberung des Weltraums eine Sache ist, die ernst genommen sein will?

    Peinlich wird es, wenn einer der mittlerweile ausgeschiedenen Autoren auf diesem Weg der uneinsichtigen Rhodan-Chefredaktion melden darf, wie bedauerlich es doch sei, dass die Leser auf seine "Glanzleistungen" momentan verzichten müssen.

    Wirklich schade aber ist es, dass Autoren wie dem derzeitigen Chefautor der Serie Robert Feldhoff oder dem Kabarettisten Leo Lukas nicht wesentlich mehr Platz eingeräumt wird. Denn diese beiden analysieren durchaus scharfsichtig die eigene Serie und deren utopischen Gehalt, wenn sie bemerken, "dass die gesellschaftliche Grundlage, die Perry Rhodan schildert, eigentlich eine Utopie der sechziger Jahre war. Nämlich nicht arbeiten müssen, nicht zwingend Verantwortung zu tragen."

    All dies, dürfen wir ergänzen, nahm der hypertechnische Zukunftsstaat mit Übervater Rhodan an der Spitze seinen Bürgern ab. "Heutzutage", meinen Feldhoff und Lukas, sei "die Aussicht, nicht zu arbeiten, keine Utopie mehr, sondern eine Dystopie." Darauf habe die Serie reagiert, wenn sie in ihren Romanen zeigt, dass jeder Mensch "gebraucht" werde, "und zwar jeder einzelne."

    So macht sich jede Utopie weniger ein Bild von der Zukunft, als vielmehr von der Gegenwart.
    Bilder sind auf dem Heftromanmarkt übrigens ein eigenes Thema, denn mehr als jedes Buch im Ledereinband lebt der Heftroman - zumal der Science Fiction-Roman - von seinem Titelbild.

    So wird völlig zu Recht Johannes Bruck, dem langjährigen Illustrator der Serie, ein eigenes Kapitel gewidmet. Schwettmann teilt dessen Schaffen kunstsinnig ein in eine rote, blaue oder violette Periode und weist darauf hin, dass Bruck "John Lennon und ( ... ) den Vietnamkrieg thematisiert" habe. Leider fehlen in diesem ansonsten geradezu bilderwütigen Werk gerade die so analysierten Titelbilder.

    Ebenso fehlt der Hinweis darauf, dass Bruck sich für seine Montagen häufig an Vorlagen aus alten amerikanischen Men´s Adventure Magazinen bedient hat, was an sich ja nicht ehrenrührig ist.

    Da wir bei den Fehlanzeigen sind: Vielleicht fällt es Lesern, denen die Serie vertraut ist, nicht als Manko auf, aber es erstaunt doch, dass ein großformatiges Buch über ein literarisches Phänomen sich von Zitaten aus dem Werk fast völlig frei hält.

    Auch über das Verhältnis der "Perry Rhodan"-Serie zu ihren Kritikern wird wenig gesagt. Dabei wäre das ein besonders spannendes Thema gewesen: von der frühen, denunziatorischen Phase, in der sich das von Hans Magnus Enzensberger herausgegebene Kursbuch mit massivsten Manipulationen des Textes hervortat, bis zu der akademischen Rezeption, die seit Mitte der 1990 Jahre in der Serie eines der komplexesten Phänomene der literarischen Populärkultur erkannt hat.

    Dass wir stattdessen einiges über die ebenso löbliche wie umtriebige Person des Autors Eckard Schwettmann erfahren, entschädigt da nicht wirklich.

    Doch da das Werk im Untertitel "Faszination Perry Rhodan" heißt, darf man davon ausgehen, dass es sich vordringlich an jene richtet, die dieser Faszination bereits erlegen sind, oder die es in jüngeren Jahren einmal waren.

    Sie alle werden ihren Spaß haben an dieser Hommage, an den unzähligen Abbildungen und langen Listen von Romantiteln und Rhodan-Devotionalien. Wer der Welt größte Weltraumserie aus alten Tagen kennt, darf hier noch einmal in seiner Kindheit blättern; und wem der berühmteste Raumfahrer aus deutscher Feder heute noch allwöchentliches Lesevergnügen bereitet, der wird sich freuen, das ganze Panorama des Perry Rhodan-Universums hier so handlich aufgeschlagen zu sehen. Denn anders, als die zweieinhalb Kilogramm fürchten lassen, die das an liebevollen Details reiche Buch auf die Waage bringt, bleibt das Werk insgesamt doch leicht zu lesende Kost.