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Überwachung im laufenden Betrieb

Technik. - Wenn Menschen sich die Haut aufschrammen oder ein Gelenk überlasten, signalisiert Schmerz das Problem und fordert eindringlich zu Gegenmaßnahmen auf. Angeknackste Maschinen bemerken Beschädigungen nicht und arbeiten klaglos weiter, bis sie auseinanderfallen. Deutsche Forscher haben jetzt eine Art Schmerznerven für Maschinen entwickelt: Sensoren, mit denen sich mechanisch stark beanspruchte Bauteile einfach beobachten lassen.

Von Michael Gessat |
    Windräder erzeugen ökologisch sauberen Strom, solange eine frische Brise weht. Und solange das Material mitspielt. Denn die Rotorblätter sind gewaltigen mechanischen Belastungen ausgesetzt. Aus einem winzigen Riss wird da schnell ein Totalschaden. Regelmäßige Untersuchungen sind also Pflicht; und eventuellen Problemen im Bauteilinneren spüren Techniker dabei mit Ultraschall nach.

    Könnte man solche Prüfsensoren also nicht direkt in die Rotorblätter mit einbauen? Doch dabei gab es bisher ein konstruktives Problem: Ultraschallwandler beruhen auf piezoelektrischen Elementen, die elektrische Spannung in hochfrequente mechanische Bewegung; oder umgekehrt ankommende Schallwellen in ein elektrisches Signal umsetzen. Piezoelektrische Materialien sind aber eine Art von Keramik, und damit normalerweise ähnlich unflexibel wie die Suppenschüssel aus Porzellan oder die Ming-Vase:

    " Keramik ist, wie sie ja jeder kennt, brüchig, es kann leicht zerbrechen, ich kann's nicht formen, nicht in jede beliebige Form anpassen. "

    Und deshalb haben Bernhard Brunner und seine Kollegen vom Fraunhofer-Institut für Silicatforschung in Würzburg ganz neue Herstellungsmethoden für piezokeramische Sensoren entwickelt:

    " Man nimmt Ausgangssubstanzen, die die Elemente Blei, Zirkon und Titan enthalten, mischt das ganze in entsprechender Zusammensetzung, und kann dann dieses Sol, wie wir es nennen, dazu benutzen, dünne Fasern zu spinnen, wie in der Textilindustrie auch: Wir wickeln die auf, können die weiterverarbeiten, brennen diese Fäden dann im Endeffekt auch zu einer Keramik. Und das sind dann piezoelektrische Fasern, etwa fünfmal so dünn wie ein menschliches Haar, und die sind dann auch sehr biegsam und flexibel. [...] Und der weitere Vorteil ist, wir haben viele, viele Tausend von diesen Fasern verarbeitet in einem Modul; sollte einmal eine der Fasern brechen im Betrieb, dann merken Sie das eigentlich im normalen Anwendungsfall nicht mehr. "

    Das Resultat der aufwendigen Produktion: hauchdünne, flexible und trotzdem robuste piezokeramische Elemente. Elemente, die sich direkt in den glasfaserverstärkten Kunststoff eines Rotorblattes einlaminieren lassen.

    Für die Strukturüberwachung im laufenden Betrieb braucht es pro Rotorblatt mehrere Module. Denn die horchen, abwechselnd als Ultraschallsender oder -empfänger geschaltet, im Team zusammen nach etwaigen Schäden:

    " Wir nehmen einen Ultraschallwandler, und dieses Modul erzeugt einen kleinen Ultraschallpuls. Der ist im Bereich von einigen 100 Kilohertz, und dieser Schallpuls breitet sich aus und wird in einigen Metern Abständen von den entsprechenden Wandlern dann wiederum aufgenommen. Und dieses Signal wird nun interpretiert. "

    Interpretiert, das heißt verglichen mit den Messwerten in einem intakten Werkstück. Denn die Schallausbreitung verändert sich bei Materialfehlern auf ganz spezifische Weise: Bei einem Riss entstehen Reflektionen; bei einer Delamination, also dem Ablösen von Glasfasergewebe aus der Kunststoffmatrix, verändert sich die Dämpfung des Signals:

    " Wir machen im Labor gerade mit unseren Kollegen in Dresden zusammen Versuche, welche gezielt eingebrachten Fehler welches Schadensbild von den Sensoren her dann ergeben. Und das ist denn eigentlich die Kunst momentan zu interpretieren, welcher Fehler dahinterliegt. Was uns sehr gut gelungen ist, ist die Ortung des Fehlers, die durch die Laufzeiten des Signals sehr gut passiert. "
    Bis die Technologie serienreif ist, werden noch einige Jahre vergehen. Aber vielleicht wächst ja bis dahin auch die Zahl schwer zugänglicher Windkraftanlagen: Bei Offshore-Windparks in der sturmgepeitschten Nordsee etwa könnte die Dauerüberwachung in der Zukunft riskante und kostspielige Techniker-Besuche auf Verdacht erübrigen. Solange das Material mitspielt und die Sensoren melden: "Alles im grünen Bereich."