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Überwachung im Orwellschen Ausmaß

"Ambient Assisted Living" - der ungelenke Anglizismus steht für technische Anwendungen, die uns Gebrechen und Einsamkeit mit technischer Hilfe erträglicher machen sollen. Beispielsweise multimediale Dienste, die uns mit unseren Pflegern, Ärzten und Angehörigen vernetzen. Dabei ist es um den Datenschutz eher schlecht bestellt.

Von Daniela Siebert |
    Es ist eine schöne neue Welt mit Anführungszeichen, an der die Ingenieure und Programmierer da gerade basteln. Denn viele der AAL-Lösungen für alte, gebrechliche oder auch nur hilfebedürftige Menschen sehen Überwachung Orwellschen Ausmaßes vor. Ganze Wohnungen und Häuser werden durch Mikrofone, Kameras, Bewegungsmelder oder Sensoren aller Art kontrolliert, um den Bewohnern gegebenenfalls helfen oder auch bloß das Licht einschalten zu können.

    "Das Wort Monitoring benutzen wir dafür, weil Überwachung halt so einen negativen Beigeschmack hat und das wollen wir auch gar nicht. Wir haben beispielsweise auch einen optischen Sensor – andere nennen es Kamera – wir nennen es Sensor, weil er etwas anders funktioniert: Das heißt, wir haben ein Bild, was vom Computeralgorithmus ausgewertet wird und danach wird das Bild weggeworfen und nur das Ergebnis weitergegeben. So ist sichergestellt, dass das Bild niemals nach außen kommt aus dem Badezimmer beispielsweise, sondern nur das Ergebnis."

    Lars Rölker-Denker gehört zu denen, die wissen, dass solche AAL-Anwendungen auch äußerst heikle Seiten haben. Denn er ist für den Niedersächsischen Forschungsverbund "Gestaltung Altersgerechter Lebenswelten" im Arbeitskreis Datenschutz aktiv. Damit ist er schon einmal wenig repräsentativ für das was sonst im Bereich AAL-Forschung so passiert, glaubt man Gabriele Nellissen, Professorin für Recht der Sozialen Dienstleistungen an der Universität Vechta:

    "Ich habe festgestellt, dass jetzt erst ein Bewusstsein für diese Problematik entstanden ist. Die hatte man lange Zeit überhaupt gar nicht, Datenschutz war eine zu vernachlässigende Größe: Wir machen alles über die Einwilligung war immer das Prinzip – so einfach geht es nicht."

    Deshalb sind technisch inzwischen Dinge möglich, die datenschutzrechtlich noch lange kein grünes Licht haben. Beispielsweise ist noch kaum darüber diskutiert worden, was solche Überwachungssysteme für Dritte bedeuten. Denn selbst wenn ein Patient einem solchen Monitoring zugestimmt hat, gilt das nicht für Menschen, die ihn besuchen oder mit ihm telefonieren:

    "Die müssten genauso einwilligen. Denn dann werden ja auch ihre Daten bei der Überwachung mit weitergeleitet."

    Ein weiterer Aspekt liegt dem schleswig-holsteinischen Landesdatenschützer Thilo Weichert besonders am Herzen. Das Abschalten-Können:

    "Hier muss also Einflussmöglichkeit zum Beispiel gegeben sein. Auch Alte sind noch sexuell aktiv – dann in dieser Zeit vielleicht, das System auszuschalten, um jetzt nicht in den aller intimsten Bereich eingegriffen zu bekommen."

    Ausschalten führt aber viele AAL-Anwendungen ad absurdum hält Lars Rölker-Denker dagegen:

    "Wenn man ein Sturzerkennungssystem ausschaltet, ist natürlich die Gefahr, dass ein Sturz nicht erkannt wird. Das ist natürlich ein Problem. Wie will man damit umgehen? Will man sagen: Nein, man kann es nicht abschalten? Dann ist die Selbstbestimmung nicht gewahrt. Wenn man es abschalten kann ist die Sicherheit nicht gewahrt. Das ist noch nicht endgültig geklärt, wie man damit umgehen soll."

    Eine andere Großbaustelle ist der Datenschutz von telemedizinischen Anwendungen. Viele Anbieter wollen in den nächsten Monaten mit Produkten auf den Markt kommen, bei denen Patienten selbst zu Hause medizinische Daten erheben und dann rausschicken. Gewicht, Blutdruck, Zuckerwerte beispielsweise. Natürlich versichern solche Anbieter, dass sie die sensiblen Informationen nur verschlüsselt übermitteln und vor unautorisiertem Zugriff schützen. Trotzdem bezweifelt die Juristin Nellissen, dass alle entlang der potenziellen Nutzerkette – also beispielsweise Ärzte, Pflegedienste, Krankenkassen, technische Dienstleister – diese Daten ausreichend schützen und die Patienten genau informiert werden, wer möglicherweise alles auf ihre Daten zugreifen kann.

    "Im Moment glaube ich, berücksichtigen die Anbieter das nur rudimentär. Wenn überhaupt oder sind sich gar nicht dieser Gesamttragweite bewusst."

    Lars Rölker-Denker gehört zu denen, die das ändern wollen: Er hält ein sorgfältiges Rechtemanagement für zentral, damit AAL und Datenschutz nicht in Konflikt geraten:

    "Das heißt, dass nur diejenigen Personen auf die Daten zugreifen können, die auch befugt sind: Also der Arzt nur auf Daten zugreifen kann, die er sehen darf, genauso wie die Pflegekraft auch nur Daten ansehen kann, die sie sehen darf."

    Auch Thilo Weichert hält AAL und Datenschutz grundsätzlich für vereinbar. Digitale Signaturen, Verschlüsselungen und anonymisierte Datenweitergabe sind nur ein paar der Werkzeuge, die der Datenschützer dabei im Einsatz sehen will.

    "Es gibt eine Vielzahl von technischen Lösungen, aber die müssen wirklich dann auch umgesetzt werden und das ist teuer und das ist auch technisch und rechtlich nicht trivial."