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Ukraine
EU-Gipfel endet ohne Annäherung

Der EU-Osteuropa-Gipfel in Vilnius ist zu Ende gegangen - ohne eine Einigung mit der Ukraine. Deren Präsident Viktor Janukowitsch lehnte ein Assozierungsabkommen erneut ab. Stattdessen forderte er Finanz- und Witschaftshilfen von der EU.

29.11.2013
    Viktor Janukowitsch und Angela Merkel
    Janukowitsch und Merkel in Vilnius (dpa / picture alliance / Rainer Jensen)
    Die von der EU angebotenen 600 Millionen Euro an Hilfen bezeichnete Janukowitsch als demütigend. Die Ukraine sei mit ihren ernsten Finanz- und Wirtschaftsproblemen zuletzt alleine gelassen worden. Auch in der Nacht zu Freitag erarbeitete Kompromissvorschläge von EU-Seite konnten Janukowitsch nicht von seinem Nein abbringen.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel will der Ukraine die Tür aber weiterhin offen halten. "Das ist ein dickes Brett, das wir bohren müssen, aber wir geben hier keinerlei zeitliche Vorgaben", sagte sie nach einem Treffen mit Janukowitsch in der litauischen Hauptstadt. Janukowitsch hatte darauf hingewiesen, die Ukraine sei sehr stark mit Russland verwoben, schloss aber nicht aus, "in naher Zukunft" das Assoziierungsabkommen mit der EU abzuschließen.
    Lob für Moldau und Georgien
    Der ukrainische Staatschef habe auch die Schwierigkeiten mit der Gasversorgung erwähnt, so Merkel. Europa werde auch in Zukunft Gas zur Verfügung stellen, wenn die Ukraine das wolle. Merkel betonte zugleich, dass das osteuropäische Land auch noch "viele eigene Reformen" umzusetzen habe, wie es viele andere osteuropäische Länder auch getan hätten, um beispielsweise in die EU aufgenommen zu werden.
    Ausdrücklich lobte Merkel die Länder Moldau und Georgien, die zuvor ihre Assoziierungsabkommen mit der EU vorläufig paraphiert hatten. Dies sei ein "sehr mutiger Schritt", sagte Merkel und verwies mit Bezug auf Russland ausdrücklich auf "Druck", der auf diese Länder beispielsweise durch Handelsbeschränkungen ausgeübt werde.
    Proteste in der Hauptstadt für EU-Annäherung
    Auf dem zweitägigen Gipfel wollten die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Mitglieder die Zusammenarbeit mit den Ex-Sowjetrepubliken Ukraine, Weißrussland, Armenien, Aserbaidschan, Georgien und Moldau diskutieren und die Leitlinien für die Zukunft der Östlichen Partnerschaft festlegen.
    Witali Klitschko auf einer Kundgebung
    Witali Klitschko auf einer Kundgebung (dpa / picture-alliance / Sergey Dolzhenko)
    Die Ukraine hatte das jahrelang ausgehandelte weitreichende Assoziierungsabkommen am 21. November 2013 auf Eis gelegt, nachdem Russland der Ukraine mit Wirtschaftssanktionen gedroht hatte. Das Land sei wirtschaftlich "noch nicht reif" für einen solchen Schritt, behauptete Präsident Janukowitsch in einem Fernsehinterview.
    In Kiew waren am Donnerstag erneut Menschenmassen gegen die Entscheidung auf die Straße gegangen. "Heute gibt es in der Ukraine keinerlei Perspektiven", rief der Oppositionspolitiker und Boxweltmeister Witali Klitschko der Menge zu. Er erhob schwere Vorwürfe gegen den ukrainischen Präsidenten: "Janukowitsch fürchtet sich vor europäischen Standards, denn sie würden ihn dabei stören, das Land weiter auszuplündern." Tausende Studenten aus allen Teilen des Landes zogen durch das Zentrum der ukrainischen Hauptstadt, wie der oppositionsnahe 5. Kanal berichtete. In Sprechchören appellierten sie an Präsident Janukowitsch, das Abkommen doch noch zu unterzeichnen.
    Massiver Druck aus Russland
    Russland hatte mit der Androhung von Sanktionen massiven Druck auf die Ukraine ausgeübt haben, damit die Regierung das Abkommen nicht unterschreibt. Der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dmitri Peskow, behauptete, die Entscheidung über die Unterzeichnung des Abkommens mit der EU sei eine "souveräne und innere Angelegenheit" der Ukraine. Ukraines Ministerpräsident Mykola Asarow bestätigte jedoch, dass seine Regierung von Moskau zur "Verschiebung" des EU-Abkommens gedrängt worden sei.
    Russland bleibt also ein mächtiger Gegenspieler, der anders als die Europäer keine innenpolitischen und rechtsstaatlichen Reformen verlangt. Die Regierung in Moskau will die Staaten in der Nachbarschaft politisch und wirtschaftlich an Russland binden. Merkel sprach mit Blick auf die Entscheidung in Kiew von einem "strukturellen Problem" im Verhältnis zu Russland, das die künftige Große Koalition überwinden wolle. "Ein Heranrücken an Europa wird im Augenblick immer verstanden als Abrücken von Russland." Diese "Entweder-oder-Mentalität" müsse beendet werden. "Der Kalte Krieg ist zu Ende. Die Länder müssen freiwillig entscheiden dürfen und sollen freiwillig entscheiden", sagte die Bundeskanzlerin.
    Russlands Präsident Wladimir Putin und sein ukrainischer Amtskollege Viktor Janukowitsch
    Russlands Präsident Wladimir Putin und sein ukrainischer Amtskollege Viktor Janukowitsch (dpa / picture-alliance / Alexey Nikolsky)
    Nach der Kehrtwende der Ukraine ist nun nur noch mit zwei der sechs Nachbarstaaten - Georgien und Moldau - die Unterschrift unter ein Assoziierungsabkommen über eine engere Bindung an die EU gesetzt worden. "Die EU muss sich gegen den aggressiven Einfluss Russlands auf seine Nachbarn wenden und ihnen helfen, die Abhängigkeiten zu durchbrechen, die sie noch immer an Russland binden", fordert Jörg Forbrig vom German Marshall Fund in Berlin.
    Timoschenko fordert EU zum Verzicht auf Forderungen auf
    Die inhaftierte Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko rief die EU dazu auf, alle Bedingungen für die Unterzeichnung des bedeutenden Assoziierungsabkommens fallen zu lassen - auch die Forderung nach ihrer Freilassung. Wenn Präsident Janukowitsch eine positive Entscheidung fälle, solle das Abkommen noch am Freitag unterzeichnet werden. Sie setzte ihren Hungerstreik für eine Unterzeichnung fort. Ihr eigenes Schicksal sei unwichtig, betonte Timoschenko. "Heute geht es um Freiheit für die Ukraine."
    Die 53 Jahre alte Politikerin sprach ihrem Land allerdings die Europa-Tauglichkeit ab. "Ich verstehe, dass meine Freilassung auf den ersten Blick ein Test ist für die Bereitschaft der ukrainischen Führung, europäisch zu denken und zu handeln, ein Test für die Aufrichtigkeit, europäische Wert zu übernehmen", hieß es ihrer Erklärung. "Dieser Test ist nicht bestanden worden." Die Führung in Kiew denke und handele nicht europäisch. Regierungskreise in Berlin appellierten erneut an die Ukraine, die in der Haft erkrankte Timoschenko freizulassen. Das Angebot, sie in der Berliner Charité zu behandeln, bestehe weiter, hieß es. Ohne die Freilassung Timoschenkos werde es keinen Konsens in der EU über die Umsetzung des Assoziierungsabkommens geben.
    Eine Frau hält bei einer Kundgebung ein Bild von Julia Timschenko
    Julia Timschenko fordert eine Unterzeichnung des Abkommens (dpa / picture-alliance / Igor Chekachkov)