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Ukraine
Kein politischer Burgfrieden

Seit rund 33 Stunden ist die Waffenruhe in der Ukraine offiziell in Kraft, zuvor versuchten beide Seiten ihre Position zu stärken, was wieder Dutzende Menschen das Leben kostete. Dieser Waffenstillstand gilt als sehr brüchig, doch die schwierige Lage im Osten des Landes eint die Politiker in Kiew keineswegs.

Von Florian Kellermann | 16.02.2015
    Die Friedensverhandlungen um die Ostukraine waren kaum beendet, da regte sich in der Ukraine der erste Widerstand: Er halte die Waffenruhe für nicht bindend, sagte Dmytro Jarosch. Jarosch ist nicht nur Anführer des Rechten Sektors, einer paramilitärischen Organisation, er ist auch parteiloser Parlamentsabgeordneter. Seine Getreuen würden den Kampf fortsetzen, wenn sie es für angebracht hielten, erklärte er.
    Auch in der Regierungskoalition stieß das Minsker Abkommen auf scharfe Kritik. Oleh Ljaschko, Vorsitzender der Radikalen Partei, polterte:
    "Warum sollen uns Moskau, Berlin und Paris vorschreiben, welche Sprache wir im Donezk-Becken sprechen sollen, und wie wir unsere Verfassung gestalten sollen. Wenn sich der Präsident darauf einlässt, gibt er zu, dass wir weniger wert sind. Dass wir kein Subjekt, sondern nur Objekt der Geopolitik sind. Diese neuen Minsker Vereinbarungen bringen der Ukraine nichts Gutes, ebenso wenig wie das erste Minsker Abkommen."
    Formal gehören der in Kiew regierenden Koalition fünf Fraktionen und 303 Abgeordnete an. Das entspricht einer Zwei-Drittel-Mehrheit, die auch die Verfassung ändern kann. Aber so steht es nur auf dem Papier. Tatsächlich nimmt das Parlament die meisten neuen Gesetze mit einer Mehrheit von nicht mehr als ein paar Stimmen an. In der Koalition zeigen sich längst Risse, die nicht nur die Regierung destabilisieren, sondern auch die Position von Präsident Petro Poroschenko. Denn, wenn er etwas verspricht, so wie in Minsk, muss das auch halten können.
    Versteckte Risse in der Koalition
    Serhij Leschtschenko, Abgeordneter von Poroschenkos Partei, kommentierte jüngst eine Abstimmung im Parlament so:
    "Es war ja nicht die erste, die ein Zerwürfnis in der Koalition zeigte. In diesem Bündnis gibt es fünf ehemalige Präsidentschaftskandidaten. Wie soll es da einig sein."
    Zwei Abgeordnete prügeln sich. Ein Bild, das früher allgegenwärtig war im ukrainischen Parlament, ist nun zurückgekehrt. So geschehen am vergangenen Donnerstag. Beide Seiten beschuldigten sich, der Korruption Vorschub zu leisten. Die beiden Streithähne gehören wohl gemerkt beide der Regierungskoalition an.
    Ebenso emotional ging es bei der Ernennung des neuen Generalstaatsanwalts zu. Präsident Poroschenko drückte den Neuen - Viktor Schokin - durch das Parlament, einen engen Vertrauten von ihm, obwohl zwei Koalitionsfraktionen nicht einverstanden waren. Auch Schokin werde das Blutbad auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz vor einem Jahr nicht aufklären so ihr Vorwurf. Schließlich hätte er das auch als ehemaliger stellvertretender Generalstaatsanwalt tun können.
    Noch weit gefährlicher für Präsident Poroschenko sind die versteckten Risse in der Koalition. Vor allem diejenigen, die die Frage von Krieg und Frieden betreffen, sagt der Politologe Andrij Jermolajew.
    "Im Moment steht die Mehrheit hinter Poroschenko, der sich bemüht, dass der vereinbarte Waffenstillstand auch eingehalten wird. Wie es aber danach weitergehen soll, da scheiden sich die Geister. Es gibt einen Flügel in der Koalition, der auf die Kommandeure der Freiwilligenbataillone hört. Sie meinen, es gebe keine Alternative zum Krieg, zu einem militärischen Sieg. Wenn sich dieser Flügel durchsetzt, wird die Situation im Donezkbecken weiter eskalieren - und die Staatsmacht in Kiew wird immer autoritärer regieren."
    Als Widersacher von Poroschenko gilt auch Ministerpräsident Arsenij Jazeniuk. Die Minsker Vereinbarungen begrüßte er zwar.
    Aber die Probe aufs Exempel steht noch aus. Parlamentspräsident Valerij Grojsman versicherte gestern, das Parlament werde alle Gesetze beschließen, die zur Umsetzung des Abkommens notwendig sind. Einfach wird das nicht. Schon im vergangenen September hatte Poroschenko Mühe, das Gesetz über einen Sonderstatus der Separatistengebiete durchs Parlament zu bringen. Die Ukraine erfüllte damit einen Punkt der ersten Vereinbarung von Minsk. Aber das neue Abkommen geht darüber hinaus. Es sieht eine noch größere Selbständigkeit dieser Gebiete vor.
    Im für ihn schlimmsten Fall muss Poroschenko auf die Stimmen des sogenannten "Oppositionellen Blocks" zurückgreifen. Diese Fraktion besteht aus Politikern der "Partei der Regionen" von Ex-Präsident Viktor Janukowitsch. Für Poroschenko wäre das eine Blamage, seine Gegner würden ihn noch viel lauter als heute als "Verräter" beschimpfen.