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Ukraine-Konflikt
Putins geheime Online-Armee

Seit der Krimbesetzung werden deutsche Medien mit angeblicher Hörer- und Leserpost überflutet, vor allem mit Facebook-Kommentaren. Die Meinungsäußerung - ein wichtiges Feedback für Redaktionen - stammt derzeit oft von anonymen Absendern. Manche sind überzeugt: Moskau zieht dabei die Fäden.

Von Jens Rosbach | 22.05.2014
    Das Wort "Shitstorm" von einem Computerbildschirm abfotografiert.
    Mitunter erleben Redaktionen Shitstorms in den sozialen Netzwerken, in denen es Kritik über die Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt hagelt. (picture alliance / dpa - Patrick Pleul)
    "Prorussische Separatisten werben für eine Abspaltung von der Ukraine."
    Zeigt die Deutsche Welle Fernsehberichte über den Konflikt um Krim und Donbas, hagelt es häufig Kritik. Vor allem auf der russischsprachigen Facebook-Seite des Senders. Ingo Mannteufel, Leiter der Russland-Redaktion, erlebt mitunter ganze Shitstorms.
    "Das sind teilweise wüste Beleidigungen deutscher Politiker oder auch der Bundeskanzlerin insbesondere, häufig auch mit antisemitischen Untertönen, antiamerikanischen Untertönen, die sich dann gegen die Regierung in Kiew richten. Es richtet sich dann gegen unsere Berichterstattung, wir wären einseitig und wir würden nicht objektiv das darstellen."
    "Käufliche Journalisten!" kommentieren die Facebook-Nutzer. Und: "Faschistische Herren!"
    Internetnutzer mit verschleierten Identitäten
    Mannteufel wundert sich über den hasserfüllten Ton. Stutzig machen ihn vor allem aber die verschleierten Identitäten.
    "Wenn Sie sich dann die Facebook-Seite so einer Person anschauen, dann stellen Sie fest, dass die häufig sehr kurz vorher oder vor wenigen Tagen erst entstanden ist, dass sie sehr wenig Angaben zur Person auf dieser Seite finden. Also wenig Fotos, wenig Angaben zur Herkunft, Gefällt mir. Mehr noch: Man hat auch den Eindruck, dass diese Fotos, wenn es dann Fotos gibt, dass es nicht die echten Fotos sind, sondern die aus dem Internet zusammengeklaubt sind."
    Ähnliches beobachtet Boris Reitschuster. Der Moskau-Korrespondent des Magazins "Focus" wird ebenfalls von mysteriösen Internetnutzern attackiert.
    "Auffälligkeiten sind zum Beispiel, dass sich die Argumentation sehr sehr stark wiederholt – es geht bis dahin, dass die Rechtschreibfehler und die Grammatikfehler teilweise identisch sind. Und wenn man dann jemanden löscht, dann sind die innerhalb kürzester Zeit wieder da. Auch etwas, was man als Indiz werten kann, dass das Ganze gesteuert ist."
    "Prowestlicher Reporter, bist du auch von Obama und Konsorten gekauft?"
    Aufruf zum Shitstorm gegen deutsche Medien
    Eine gesteuerte, verdeckte Schmutz-Kampagne? Bereits im vergangenen Monat rief eine offenbar gefälschte Facebook-Gruppe zu einem Shitstorm gegen deutsche Medien auf. Ihr Vorwurf: Die Zeitungen und Sender berichteten angeblich nicht genug über die Montagsdemonstrationen. Hierbei handelt es sich um Protest-Veranstaltungen, auf denen teilweise Rechtspopulisten sehr scharf Stimmung machen gegen jede Putin-Kritik. Auch der Deutschlandfunk wurde mit einer Online-Attacke überflutet.
    "Bombt die Medien mit Kommentaren zu!"
    Gesteuerte Kampagne
    Anfang Mai klagten zudem das amerikanische "Forbes"-Magazin sowie der britische "Guardian" über eine gesteuerte Kampagne; der "Guardian" wurde mit bis zu 40.000 Kommentaren pro Tag überschüttet. Zieht Moskau dabei die Fäden? "Focus"-Korrespondent Boris Reitschuster ist überzeugt, dass der Kreml sogenannte Trolls beschäftigt - verdeckte Kommentatoren und destruktive Blogger.
    "Es gab eine Anweisung vom russischen Außenministerium, die offenbar aus Versehen veröffentlicht wurde bei Twitter. Und da war ganz, klar zu lesen: 'Anweisung an die Blogger: Diesen Artikel bei 'Spiegel'-Online mäßig loben auf Facebook und auf Twitter.'"
    In diesem Fall sollte ein deutsches Medium ausnahmsweise mit positiven Kommentaren bedacht werden. Der Screenshot, also die Abbildung der Moskauer Anweisung, wurde im März veröffentlicht - von einem pro-ukrainischen Twitter-Account. Kann man dem Beleg Glauben schenken?
    "Das ist authentisch, weil das Außenministerium das zugegeben hat danach, dass dieser Screenshot authentisch ist auf ihrer offiziellen Homepage."
    Reitschuster leitet, nach insgesamt 16 Jahren in Russland, die Moskauer "Focus"-Redaktion von Bayern aus: Er habe Morddrohungen erhalten und sei deshalb nach Deutschland zurückgekehrt. Der Journalist hat nach eigenen Angaben einen Teil der Kreml-Propagandamaschinerie selbst gesehen - vor vier, fünf Jahren, bei einem Putin-treuen Jugendverband.
    "Frech wie ich bin, bin ich in ein Zimmer, in das man hätte nicht hinein dürfen. Da saßen in etwa 50 junge Männer und Frauen hinter Computern. Und ich habe da ein bisschen reingeschaut - und die schrieben die Kommentare dort und man hat mich dort heraus geholt. Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, vielleicht würde ich es auch nicht glauben."
    Die Deutsche Welle bestätigt solche Berichte. Russland-Redakteur Ingo Mannteufel ließ im vergangenen Herbst einen Report senden über staatlich finanzierte Geheimblogger in St. Petersburg.
    "Die kriegen dann 40 Euro pro Tag und abgerechnet wird eigentlich nach Anzahl der abgegeben Kommentare - und man rechnet so mit 1000 Kommentaren am Tag. Und dafür kriegt man 40 Euro."
    Der Verein Reporter ohne Grenzen warnt: Die Massen-Agitation, auch durch Hörerpost und Leserbriefe, könnte die deutschen Medien durchaus einschüchtern. Vorstandsmitglied Gemma Pörzgen macht sich Sorgen:
    "Was ich daran schwierig finde ist, wenn man den Eindruck hat, dass eine Redaktion sich durch diesen Druck von Leserbriefen bemüßigt fühlt so einen Konsens zu erreichen. Also so nach dem Motto: naja so einerseits und andererseits. Weil ich schon glaube, dass man natürlich aufpassen muss, dass man nicht bestimmten Lügen aufsitzt. Und viele dieser Propaganda-Medien sind offensichtlich welche, die lügen."
    "Klassische Desinformationspolitik"
    Expertin Pörzgen verweist auf schlecht gefälschte Geschichten im Moskauer Fernsehen. Etwa über einen angeblichen deutschen Spion in der Ukraine. Oder über einen angeblichen ukrainischen Arzt, der bei der Brandkatastrophe in Odessa nicht helfen durfte. Augenscheinlich reine Kriegspropaganda. Elmar Brok, CDU-Politiker und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europa-Parlament, fühlt sich an finstere Sowjet-Zeiten erinnert.
    "Das ist klassische Desinformationspolitik, wie man das von früher her kennt. Und dabei macht man das sehr geschickt."
    Gibt es im Ukraine-Konflikt nicht auch von der Gegenseite Kampagnen und Internet-Aktionen? Deutsche-Welle-Journalist Ingo Mannteufel resümiert, dass zwar der ein oder andere Kiewer Blogger über die Stränge schlage. Aber nur in Ausnahmefällen.
    "Da ist mir jetzt so nicht aufgefallen, dass es da auch so eine konzertierte Aktion gibt. Insofern ist mir das nicht bekannt."