Archiv


Ukrainische Demonstranten beim G8-Gipfel

Nach den schweren Krawallen im Vorfeld des G8-Gipfels ist die Lage angespannt. Denn die Angst, dass autonome Globalisierungsgegner die friedlichen Demonstrationen aufmischen, bleibt, zumal Sicherheitsexperten Probleme haben den so gannten schwarzen Block einzuordnen. Ein Teil dieser inhomogenen Gruppe kommt aus dem Ausland, viele der G8-Gegner kommen nach Polizeiangaben aus der Ukraine und Russland.

Von Florian Kellermann |
    Feierabend in Kiew, und die Parks füllen sich. Junge Leute kaufen sich am Kiosk ein Bierchen und setzen sich auf die Bänke. Ein Freizeitvergnügen, das man sich selbst bei einem Gehalt von 300 Euro im Monat leisten kann. Alte Frauen heben die leeren Flaschen auf, um sie für ein paar Kopeken an der nächsten Sammelstelle abzugeben.

    Direkt neben dem Park brausen Jeeps die Straße entlang, die Insassen in ihren Ledersitzen tragen italienische Markenkleidung. Freiheit hat der Zusammenbruch der Sowjetunion den Menschen hier gebracht, aber keineswegs Gerechtigkeit.

    Viele hoffen, dass ausländische Firmen, die seit zwei Jahren immer stärker in die Ukraine investieren, da Abhilfe schaffen. So die 55-jährige Buchhalterin Marianna Pawliwna.

    " Das ausländische Kapital kann uns doch nur helfen. Vor allem westliche Firmen kommen mit einer weiter entwickelten Unternehmenskultur hierher: Sie zahlen mehr und behandeln die Mitarbeiter besser. Von Ausbeutung kann gar keine Rede sein. Schließlich können wir in unserem Land die Regeln bestimmen, an die sich alle zu halten haben."

    So denken viele Ukrainer, vor allem in Kiew und im Westen des Landes, wo die meisten sich einen baldigen Beitritt zur EU wünschen. Die Szene der Globalisierungsgegner ist dagegen klein. Denn die Nationalisten beschäftigen sich bisher nur mit den Konflikten im Land und agitieren zum Beispiel gegen die russische Minderheit. Und die linksorientierte Bewegung ist schwach - denn "links" assoziieren viele noch mit dem Unterdrückungs-Apparat der Sowjet-Zeit.

    Trotzdem beginnen manche Ukrainer daran zu zweifeln, dass die Globalisierung ihrem Land weiterhilft. So der 29-jährige Oleh, ein Journalist.

    " Wir spüren schon viele negative Folgen der Globalisierung. Unsere jungen Frauen zum Beispiel werden von Menschenhändlern in Bordelle in ganz Europa verkauft. Und seit wir die Visumspflicht für EU-Bürger und Amerikaner aufgehoben haben, blüht bei uns der Sextourismus. Und was die ausländischen Firmen angeht: Niemand will doch auf seinen Gewinn verzichten. Fastfood-Ketten aus den USA beuten ihre Mitarbeiter hier viel stärker aus als ihre ukrainische Konkurrenz."

    Oleh hat viele Bekannte, auch aus Russland und Weißrussland, die zu den Protesten nach Rostock gefahren sind, um die 50 sind es, wie er sagt. Aber gewaltbereit sei keiner von ihnen, beteuert Oleh, ihnen gehe es nur um die politische Auseinandersetzung.

    Allerdings hat selbst er keinen rechten Überblick über die Szene der Globalisierungsgegner in der Ukraine. Denn formale Organisationen gibt es kaum, die Gleichgesinnten treffen sich meist er eher zufällig bei Parties im Bekanntenkreis.

    Das könnte sich ändern, wenn die Ukraine im kommenden Jahr der Welthandelsorganisation WTO beitritt und ihre Märkte stärker für ausländische Produkte öffnen muss. Denn dann werde es vielen Ukrainern schlechter gehen, meint Oleh.

    " Das wird ganze Wirtschaftszweige ruinieren. Zum Beispiel die Landwirtschaft: Das Land wird dann für den Anbau von Kulturen verwendet, die zwar schnellen Gewinn bringen, aber der Erde alle Nährstoffe entziehen. Ja, die Chemie- und die Metallindustrie, die können sich behaupten. Aber die High-Tech-Firmen werden untergehen, weil sie nicht mehr gefördert werden dürfen."

    Deutschland wirkt, wenn man so will, direkt an der Globalisierung der ukrainischen Wirtschaft mit. Das deutsche Wirtschaftsministerium finanziert eine Beratergruppe in Kiew. Deren Experten unterstützen die ukrainische Regierung bei der Umstellung von Plan- auf Marktwirtschaft. Die Bedenken von Oleh, ukrainische High-Tech sei nicht konkurrenzfähig, halten diese Fachleute für unbegründet. Ferdinand Pavel, der für Energie und Infrastruktur zuständig ist.

    " Wie in vielen Ländern der ehemaligen Sowjetunion ist der Ausbildungsstandard relativ hoch, gerade in den technischen Berufen. Und es ist durchaus häufig zu beobachten, dass Software-Dienstleister Büros vor allen Dingen in der Westukraine errichten."

    Oleh kann das nicht überzeugen. Er hofft, dass die Anti-Globalisierungsbewegung in seinem Land an Schwung gewinnt. Und dass seine Freunde aus Rostock neue Ideen für den Kampf gegen die weltweiten Konzerne mitbringen.