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Ukrainische Politiker in Erklärungsnot

Im Jahr 2000 wurde der ukrainische Journalist Georgij Gongadse entführt und ermordet. Gongadses Zeitung hatte mit investigativen Berichten über Korruption in der ukrainischen Regierung für Schlagzeilen gesorgt. Jetzt ist in den politischen Mordfall überraschend Bewegung gekommen: Neun Jahre nach dem Mord wurde jetzt in der Nordukraine ein Hauptverdächtiger gefasst.

Von Clemens Hoffmann |
    Nur Stunden nach der Festnahme kursierte das Video bereits im Internet: Ein bärtiger Mann liegt am Boden, die Hände auf den Rücken gefesselt. Ein Geheimdienstler, der das Ganze filmt, fragt ihn, auf welche Art er an der Ermordung des Journalisten Gongadse beteiligt gewesen sei. "Direkt beteiligt", antwortet Pukatsch.

    Olekasandr Ilchenko hat sich die gestellt wirkenden Szenen bereits unzählige Male angesehen. Der Journalist berichtet für die Kiewer Tageszeitung Segodnja über den Gongadse-Mord. Erst im vergangenen Jahr wurden drei ehemalige Polizisten wegen des Mordes zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Pukatsch, der vierte Beteiligte, war flüchtig. Warum der 56-jährige frühere Offizier den Fahndern ausgerechnet jetzt ins Netz ging, darüber kann auch Journalist Ilchenko nur spekulieren:

    "Er hat sich nicht wirklich versteckt. Er lebte in diesem Dorf, alle kannten ihn, er gab sich als pensionierter Kapitän aus. Man hätte ihn schon viel früher finden können. Seit vier Jahren sucht man diesen Mann angeblich überall, in Israel, in den USA, sogar in Australien wird nach ihm gefahndet. Ist es nicht seltsam, dass der meistgesuchte Verbrecher der Ukraine in einem Dorf sitzt und Kühe melkt?"

    Gut möglich, dass den Fahndern ein Zufallsfang gelang. Ebenso plausibel aber auch, dass Pukatsch auf höchsten Befehl hin festgesetzt wurde. Schließlich untersteht der Geheimdienst, der den Zugriff leitete, dem Präsidenten. Womöglich solle mit dem Gefangenen Politik gemacht werden, vermutet der Politologe Olexij Haran von der Kiewer Mohyla-Akademie

    "Es sieht so aus, als ob der Geheimdienst wusste, wo er war, und sie seine Verhaftung bis zum jetzigen Zeitpunkt aufgeschoben haben - nämlich bis zum Beginn des Wahlkampfs. Das wirft natürlich einige Fragen auf."

    Am 17. Januar wird in der Ukraine ein neuer Präsident gewählt. Amtsinhaber Juschtschenko, dessen Umfragewerte seit Monaten vor sich hindümpeln, hat kaum noch Aussichten, an der Macht zu bleiben. Falls Pukatsch auspackt und die Hintermänner des Mordes an Gongadse nennt, könnte dies für politische Verwerfungen sorgen, glaubt Segodnija-Journalist Ilchenko.

    "Das Ziel dieser politischen Operation könnten wichtige, hochrangige Politiker in der Ukraine sein, zum Beispiel der ehemalige Präsident Kutschma, der Parlamentssprecher Lytwyn und andere wichtige Leute des ukrainischen Establishments, von denen bisher noch gar nicht die Rede ist."

    Der Fall Gongadse - ein hochbrisanter, politischer Krimi: 2001 tauchen Tonbandaufnahmen auf. Darauf soll der damalige Präsident Kutschma zu hören sein, wie er seinen Innenminister Krawtschenko anweist, mit dem unliebsamen Journalisten Gongadse "aufzuräumen" und "klarzukommen". Auch Kutschmas damals engster Mitarbeiter, der Chef der Präsidialverwaltung Wolodymyr Lytwyn, soll eingeweiht gewesen sein. Kutschma und Lytwyn bestreiten alle Vorwürfe. Der Innenminister, der 2005 zu dem Mord aussagen sollte, wurde am Morgen der Vernehmung mit zwei Schusswunden am Kopf tot in seiner Datscha bei Kiew gefunden. Ob der jetzt festgenommene Polizeioffizier Pukatsch die Auftraggeber des Mordes wirklich nennen wird, ist offen. Meldungen, er habe bereits Verantwortliche benannt, ließ Pukatsch aus dem Gefängnis dementieren. Der Journalist Ilchenko ist skeptisch, ob die Verantwortlichen je zur Rechenschaft gezogen werden.

    "Ich kenne Leute in der Miliz, die Kutschma immer noch "Mein Präsident" nennen. Er hat noch immer versteckten Einfluss auf wichtige Politiker."

    Auch Politologe Haran bezweifelt, ob je die ganze Wahrheit im Fall Gongadse ans Licht kommen wird. Trotzdem sieht er Fortschritte in seinem Land: Vergleichbare Morde seien in der heutigen Ukraine undenkbar:

    "Wir können über den Fall offen und frei reden, die Presse schreibt darüber, im Fernsehen und im Internet finden sich Informationen. Das ist ein Unterschied zur Kutschma-Zeit. Wenigstens im Bereich der Redefreiheit hat die orangene Revolution Ergebnisse gebracht. Manch einem scheint das nicht viel zu sein, aber wenn wir uns andere postsowjetische Gesellschaften ansehen, ist das gar nicht so schlecht."